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der Mond wie damals, als er mit ihr auf der Bank
geſeſſen und ſie zum erſten Mal an ſich gedrückt und
geküßt hatte. Jetzt ſtand er mit ihr Hand in Hand
ſtumm vor der Laube, aber die Erinnerung an jene
ſelige Stunde fing an, ihn weich zu machen, er ſchlang
den Arm um Käthchen nnd zog ſie wie damals zu ſich
auf die Bank, als Dank für ihre Aufmerkſamkeit einen
Kuß auf die Lippen drückend. Sie ſaß ſtill neben ihm,
Thränen rieſelten leiſe über ihre Wangen herab — er
war da, — die langerſehnte Stunde war gekommen —
aber ſie fühlte eine Leere im Herzen, eine Leere, als
fehle etwas, ſie wußte nicht, was. Paul hob ihren
Kopf in die Höhe, er ſah die Thränen auf ihren Wan-
gen und küßte ſie ſofort.
Käthchen!“ rief er und die Stimme klang ſo zärt-
lich wie damals.
Käthchen jauchzte auf! Sie ſchlang den Arm um ihn
in ſtürmiſcher Freude.
„Paul, mein Paul!“

Achtes Kapitel.

Sechs Wochen blieb Paul bei ſeinen Eltern, Robert
hatte ſchon nach kurzer Zeit das Vaterhaus wieder ver⸗—
laſſen müſſen; die beiden Brüder waren während der
Zeit ihres Znſammenſeins freundlich, aber nicht gerade
warm zu einander geweſen. Die rauhere Außenſeite
Robert's ſtieß Paul ab und Robert, obwohl er ſeinen
Bruder innig liebte, fühlte ſich durch das etwas kühle,
wenn auch freundliche Weſen Paul's ſtets verletzt, und

zog ſich immer mehr in ſich ſelbſt zurück. So ſchieden

ſie. Robert innerlich tief betrübt, Paul heiter und
ſorglos — er zeihte ſich keines Fehlers gegen den Bru-
der und glaubte, der Zukunft das Uebrige ruhig über-

laſſen zu können. — Behielt Paul immer auch gegen

die Seinen daſſelbe freundliche, kühle Weſen, mit
dem er ſie gleich am Anfang begrüßt hatte, ſo
war er doch gegen Käthchen ſeit jener erſten trauli-
chen Wiederſehensſtunde in der wohlbekannten Niſche
der alten Kirche ganz wieder der Alte. Alles war ſeit
dieſer Stunde wieder erwacht, was der Zwang der Ge-
ſellſchaft in ſeiner Bruſt in Schlaf gelullt hatte. Er
liebte Käthchen, ja, er fühlte immer mehr, daß ohne
dieſe Liebe doch trotz alles Ruhmes und Glanzes, den
die Zukunft ihm verſprach, es recht leer und öde in
ſeinem Herzen ausſehen würde. An ihrer Seite fühlte
er den ganzen vollen Frieden eines ſtillen, heiteren
Glücks, ja er vergaß ſogar bei ihr den Mangel des
reichen, komfortablen Lebens, an das er in der Haupt-
ſtadt ſich bereits gewöhnt hatte. Ihm ſchien ſelbſt für
Momente, als könne ſie ihm Alles erſetzen, Alles, und
er meinte bei ihr beſſer, friedevoller zu ſein, als im
Strudel der großen, berauſchenden Welt. — Käthchen
ſchwamm in Wonne. Sie ſah, daß ſie Paul Alles war
und das beſeeligte ſie bis zum hoͤchſten Entzücken. Sie
freute ſich ſeines reichen Talents; er mußte ihr vor-

ſingen, vorſpielen und wonnige Schauer der Freude

füllten dann beim Anhören ihre Seele. Was war aus

Wunſch.“

ihrem Paul geworden, wie wunderbar ſchön ſang er?

Sie hatte ja noch nie ſo etwas gehört, ja, er war ein

großer Künſtler. In ſtürmiſchem Jubel ſank ſie an
ſeine Bruſt, ſie gab ihren Empfindungen warme glü-
hende Worte, wie ſie ihr aus der Seele ſtrömten.
Paul hörte lächelnd zu; wie ſüß klang ihm das Lob
aus dieſem Munde der Unſchuld und Schönheit, wie
anders als die Akklamationen jener Damenwelt, die
ihn mit ſchmachtenden Blicken verfolgte denen er freund-
lich zulächeln mußte und die er im Grunde ſeines
Herzens verachtete. Von-ſeinem Freunde Bodo erzählte
er Käthchen viel, ſie fühlte bald gleiche Sympathie wie
Paul für dieſen ſchönen, liebenswürdigen Mann. Paul
korreſpondirte eifrig mit Bodo, die Briefe deſſelben
las er Käthchen vor, die voller Bewunderung den geiſt-
vollen Wendungen lauſchte, und in ſtiller Freude auf-
horchte, wenn er ihrer und ihres beiderſeitigen Glüches
gedachte. Auch von Jenny erzählte Paul oft. Käth-
chen fragte ihn, wie ſie wohl gleich ihr ſich bilden
könne! Paul lächelte dann, aber er gab ihr willig Mit-
tel und Wege dazu an. Vorläufig ſollte ſie noch beim
Prediger des Ortes Stunden nehmen, die Koſten wollte
er trageu. Er gab Klavierſtunden und wurde gut be-

zahlt, ſeine Einnahmen im Verein mit dem Stipen-

dium machten ihm das möglich.
„Später, wenn ich mehr habe“, fuhr er fort, „mußt
Du nach der Reſidenz kommen, dann laſſ' ich Dich da
noch ausbilden.“ ö
Käthchen lächelte beglückt, ſie hatte ſchon bei ihm

zu ſingen begonnen, und er hatte ihre Stimme gut ge⸗—

funden und ihren Fleiß gelobt.
Aber die Tage des reinen ſchönen Glückes vergingen
den Liebenden nur gar zu raſch. Die Stunde des Ab-
ſchieds nahte heran und Käthchen war diesmal traurig
wie noch nie. Eine ihr unerklärliche Angſt erfaßte ſie,
die Paul vergeblich ihr fortzuſcherzen verſuchte.
„Es war eine zu ſchöne Zeit“, ſagte ſie wehmüthig,
„ich fürchte, ſie kommt nimmer wieder.“
„Warum nicht?“ fragte Paul.
„Keinem Menſchen lächelt das Glück dauernd. Man
hat mir ſtets geſagt, daß man ſtets im höchſten Glücke
ſich auf kommendes Leid bereiten müſſe — nichts iſt
bleibend auf Erden.“ ö ö
„Welch trübſelige Anſichten, Käthchen!“ ſagte Paul
lächelnd. „Das Leben muß genoſſen werden, ſo lange
es Schönes bietet, das iſt die echte Weisheit; dann
mag kommen, was da will, was es auch ſei, man muß
es ja doch tragen.“ ö
„Du haſt recht,“ ſagte Käthchen ernſt, „was da auch
kommt; Du ſollſt mich Deiner niemals unwerth finden.
„Laß uns lieber hoffen, daß Du nichts zu tragen
haben wirſt, Käthchen“, rief Paul und küßte ſie auf
den Mund. — „Laß die trüben Gedanken. Auch die

Phantaſie, mein liebes Mädchen, muß man unter das

Kommando der Vernunft ſtellen — halte Dich nur hei·
ter und von trüben Ahnni frei — das iſt mein
 
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