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Tritte des Geliebten, der Anfangs aufgeregt im Zim-
mer auf und nieder gegangen, verhallten. — Sie trat
an's Fenſter — dort ſtand ſein Pferd, der Diener
hielt es mit dem ſeinen am Zügel und verzog in höh-
niſchem Lächeln den Mund, als er Mariele's blaſſes
Antlitz am Fenſter erblickte. — In bitterem Weh ſank
ſie in die Knice und barg das Antlitz in den Händen,
ſie hörte, wie der Mann, dem ſie ihre Ehre geopfert,
aus dem Hauſe trat, wie er einige Worte mit dem
Diener wechſelte, ſie hörte, wie er in vollem Galopp
davon ritt — ſie erhob ſich nicht von den Knieen —
ſtarr und ſtumm blieb ſie liegen, bis der Abend her-⸗
einbrach, bis das Mädchen, das mit dem Kinde in's
Freie geſchickt worden war, zurückkehrte, und des Kin-
des ängſtliches Weinen ſie aus ihrer todtenähnlichen
Erſtarrung wach rief.
Da ſprang ſie auf öffnete die Thür, riß das
weinende Kind aus den Armen des erſchreckten Mäd-
chens und befahl demſelben, ſie allein zu laſſen, ſie
wollte heute Niemanden mehr ſehen.
Lange herzte und küßte ſie das Kind und bedeckte
es mit ihren Thränen, dann, als Alles ringsum ſtill

und immer ſtiller geworden und die Nacht ihren Schieier

über das brauſende Leben geworfen hatte, packte ſie
ein kleines Bündel der nöthigſten Kleidungsſtücke zu-
ſammen und nur das wenige Geld zu ſich ſteckend,
das gerade im Hauſe war, verließ ſie die Stätte ih-
res heimlichen Glückes und ihrer Schande für immer.
In der Reſidenz wollte ſie nicht bleiben, ſie fürchtete
ihrem Geliebten zu begegnen, ſo machte ſie ſich raſch
weiter auf den Weg nach ihrer Heimathsſtadt. Das
Haus des Vaters fand ſie aber leer, der alte Mann
war bereits lange todt. — Man ſagte ihr, daß ich
Lehrer hier am Orte ſei, aber eine unerklärliche Scheu
hielt ſie davon ab, ſich mir anzuvertrauen — nur im
äußerſten Nothfall ſollte das geſchehen — ſo kam es,
daß ſie, als ihre Geſundheit zu wanken begann, in
das unſerer Stadt nahe gelegene Dorf zog, wo ich ſie
denn endlich fand.“
Der Schulmeiſter ſah auf: „Und nun zur Haupt-
ſache“, fuhr er fort und öffnete den Brief. „Deine
Mutter, Agnes, hatte in ihrem gerechten Unwillen und
Zorn gegen den, der ſie und ihr Kind in's Elend ge-
ſtürzt, ſich das Verſprechen gegeben, den Untreuen
niemals wieder aufzuſuchen, ſich und ihr Kind auf
ewig von ihm zu trennen. — Sie hat ihr Verſpre-
chen gehalten — dennoch beauftragte ſie mich in ihrer
Todesſtunde im Hinblick auf Deine verlaſſene Lage,
Deine Rechte, wenn ich es für nöthig befände, bei
Deinem Bater geltend zu machen. Bis jetzt habe ich
noch keiner anderen Hülfe bedurft; ſo lange ich ſür
Dich ſorgen konnte, mein theures Weib, habe ich es
gethan —“ ö
„Und wahrlich, Niemand hätte lieber und treuer
für mich ſorgen können, als Du es gethan!“ rief Frau
Agnes und lehnte ſtill weinend ihr Haupt an die Schul-
ter des Gatten.

„Jetzt aber muß ich Dich und mein Kind bald ver-

laſſen“, fuhr der alte Mann fort und ſtrich der Gat-

tin zärtlich die Wangen — „da habe ich denn der
Worte der ſterbenden Mutter gedacht — ich durfte Deine
Rechte nicht mit mir ſterben laſſen, ich habe an Dei-
nen Vater gefchrieben —— —
Frau Agnes ſah zitternd auf.
„An meinen Vater, und wo iſt er?“
Der Schulmeiſter ſah nach oben:
„Dort, wo Deine Mutter iſt, wo auch ich bald hin-—
kommen werde, vor dem Richterſtuhle des Höchſten!
— Aber mein Schreiben iſt dennoch nicht erfolglos ge-
blieben. Dein Vater hat ſterbend der verlorenen
Tochter gedacht und teſtamentlich feſtgeſetzt, daß im
Falle dieſelbe ſich melden und ihre Abkunft genügend
nachweiſen könne, ihr ſechstauſend Thaler aus ſeinem
Nachlaß auszuzahlen ſeien. Hier dieſes Schreiben des
Rechtsanwalts, der mit der Ordnung des Nachlaſſes
von Deinem Vater betraut worden, theilt mir dieſe
freudige Kunde mit.“
Mit zitternden Händen reichte der Schulmeiſter den
Brief ſeiner Frau hin. ö
„Die Papiere, Agnes“, fuhr er dann matt fort,
„findeſt Du alle wohl geordnet in jenem Schranke,
lege den Brief dazu und bewahre ihn wohl, er ſchützt
Dich und mein Kind vor Noth!“
Frau Agnes beugte ſich zu dem Schuimeiſter
herab.
„Und der Name meines Vaters?“ fragte ſie, an
dem Stuhle des Gatten niederknieend und ihm in's
Auge blickend — „ich leſe ihn nicht in dieſem Briefe
— nenne ihn mir. —“
„Den Namen,“ — ſagte der Schulmeiſter, „den
Namen darf ich Dir jetzt noch nicht nennen — ich habe
Deiner ſterbenden Mutter verſprochen, daß Du ihn
von mir nimmermehr erfahren ſollſt.“
Frau Agnes wandte ſich ab — ein bitterer Schmerz
zuckte um ihren Mund: ö
„So werde ich nie wiſſen, wem
danke?“ ö
„Du wirſt es erfahren, doch nicht von mir, mich
laß mein Verſprechen, das ich einer Sterbenden gege-
ben, bis an mein Ende halten.“
„Dein und der Mutter Willen iſt mir heilig“, ſagte
Frau Agnes, und beugte ergeben das Haupt — der
Schulmeiſter legte ſegnend die Hand auf daſſelbe —
„Du warſt mir ein gutes, ein treues Weib — Gott
wird Dich dafür ſegnen.“
Er winkte jetzt Käthchen mit der Hand zu, näher
zu treten — ſie kniete an der Seite der Mutter nieder.
„Komm her, mein trautes Kind!“ flüſterte er mit
leiſer, kaum hörbarer Stimme, als ginge ihm die
Kraft aus — und legte ihr die andere Hand auf die
Stirn — „Du warſt die Blume meines Lebens, die
meine Tage mit Freude und Wonne ſchmückte, Gott
mache Dich ſo glücklich, als Du es verdienſt. — Und
nun verſprich mir noch eins, mein Käthchen, Du haſt
die traurige Geſchichte Deiner Großmutter gehört —
beherzige ſie. Verſprich mir, Dich nie, wie es auch
kommen möge, von äußerm Schimmer der Vornehm-

ich das Leben ver-

heit verlocken zu laſſen, trachte nie darnach, mehr zu
 
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