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Jenny blickte ihre Schweſter erſtaunt an.
„Wie verſtehſt Du das?“ fragte ſie — „ich ver-
ſtehe Dich nicht!“
„Du verſtehſt mich nicht?“ rief Marie, und ihre
großen Angen überflogen mit forſchendem Ausdruck das
Geſicht der Schweſter: „Sollteſt Du wirklich ſo ganz
in Deinen Idealen leben, daß Du nicht einmal das
ſiehſt und erfährſt, was Deine nächſten Freunde an-
geht?“
„Was ſoll ich wiſſen?“ rief Jenny, jetzt ihrerſeits
beunruhigt, „ſprich raſch — was klatſcht die Welt
wieder? Ich pflege allerdings auf derartiges Geſchwätz
nicht viel zu geben, deshalb höre ich auch ſelten
darauf!“ ö
„Dieſes Geſchwätz der Welt wird aber diesmal durch
evidente Thatſachen bewahrheitet“ — entgegnete Ma-
rie — „Gruber iſt faſt täglich in dem Hauſe der
Plato's. —“
Jenny lachte.
„Und da glaubt man, die kleine kokette Aurelie
hätte ihn bezaubert, nicht wahr? — O, da bin ich
ganz ruhig — gegen ſolche Angriffe iſt Gruber ge-
wappnet!“ — ö
ö „Gegen die Angriffe einer Aurelie vielleicht! —
doch wahrſcheinlich nicht gegen die der ſchönen Gräfin
Landsfeld?“
„Der Gräfin Landsfeld? Spricht man davon?“
fragte Jenny — „allerdings, dieſe Frau ſoll ſehr ſchön
ſein — ich kenne ſie nicht.“ —
„Ich war mit der Dame und Gruber zuſammen
kürzlich in Geſellſchaft“, miſchte ſich jetzt ſchüchtern
Doktor Bornſtädt in die Unterhaltung.
„Nun, und ihr Urtheil?“ fragte Jenny.
„Mein Urtheil“, entgegnete der Doktor ernſt —
„iſt das, daß ich noch nie etwas Schöneres, etwas
Verführeriſcheres als dieſe Gräfin geſehen habe — ich
bangte, als ich ſie ſah, um meinen jungen Freund,
der ſich nur zu ſehr der Gefahr ihrer Nähe auszu-
ſetzen ſchien.“ ö
Jenny wurde ſehr ernſt:
„Sie beunruhigen mich in der That!“ — ſagte fie.
„Ich rathe Dir!“ rief Marie, „heute ohne Gru-
ber's Braut in's Konzert zu gehen — es könnte dort
eine unangenehme Scene für Dich geben.“ ö
„Für mich?“ entgegnete Jenny, „das wäre das
Wenigſte. Aber die arme Braut“ — ſie blickte nach-
denklich vor ſich hin. — „Mein Wort zurücknehmen
kann ich indeſſen nicht mehr — übrigens“, fuhr ſie dann
ermuthigt aufblickend fort — „hoffen wir das Beſte
— die Welt redet oft über die unſchuldigſten Dinge
— auch Sie, lieber Bornſtädt, können ſich getäuſcht
haben — die Gräfin protegirt Gruber — er iſt ga-
lant und aufmerkſam gegen ſie.“ —
„Und zum Dank dafür führt die ſchöne Frau ihn
an ihrer Hand in's Paradies der Liebe“ — ſpöttelte
Marie.
„Spotte nicht“, ö
Sache iſt zu ernſt für den Scherz. Wenn es wahr

entgnete Jenny unmuthig, „die

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zwäre, was man ſagt — aber nein — ich vertraue
dem moraliſchen Sinne Gruber's zu ſehr“ —
„Wenn nur nicht die Eitelkeit denſelben bereits in
ſeinen Grundfeſteu erſchüttert hätte“, warf Marie ein.
„Wie iſt es möglich, daß ein junger Mann der aus
ärmlichen Verhältniſſen unerwartet in die Kreiſe der
ausgewählteſten Geſellſchrft kommt, den Kopf oben
behält, wenn ſich ihm huldigend die ſchönſten Frauen
dieſer Geſellſchaft nahen. Daß die Plato in ihn ver-
liebt iſt, weiß Jedermann; denn ſie trägt ihre lächer-
liche Zuneigung zu ihm offen zur Schau, man ſagt,
Herr von Plato brenne ſchon vor Eiferſucht und warte
nur des Augenblicks, um ſich in nicht zu eklatanter
Weiſe von dem läſtigen Emporkömmling zu befreien.“
„Still, ſtill!“ rief Jenny erregt, „erzähle nichts
weiter, Du nimmſt mir alle Ruhe. — Kommen Sie,
liebſter Doktor“, wandte ſie ſich an dieſen, „und ge-
ben Sie uns lieber jetzt die Theorie⸗Stunde, die wir
Nachmittag haben ſollten — ſie müßte ſonſt doch aus-
fallen — denn ich erwarte Gruber's Braut und deren
Mutter Nachmittag hier bei mir zum Kaffee!“
Der Doktor folgte ſogleich Jenny's Wunſche und
rückte Stühle an den Arbeistiſch.
Mariele ſah ihre Schweſter uberraſcht an.
„Wie?“ fragte ſie, „Du haſt dieſe Schulmeiſters-
leute zu Dir geladen?“ ö
Jenny warf ihrer Schweſter einen verweiſenden
Blick zu. ö ö ö
„Ich bitte Dich, laſſe jetzt dieſen Ton, Marie.“
Marie biß ſich auf die Lippe und ſchwieg. Jenny
Bei 1 an den Arbeitstiſch, die Andern folgten ihrem
eiſpiel. ö ö
„Darf ich auch Nachmittag hier ſein?“ wandte ſich
Marie nach einer Pauſe mit niedergeſchlagenen Augen
an ihre Schweſter. ö ö
„Du biſt alſo doch neugierig, die Schulmeiſtersleute
kennen zu lernen?“ entgegnete Jenny mit leichtem
Spott — „Nun wohl, Du ſollſt mir wollkommen
ſein! —“

Siebzehntes Kapitel.

Mit klopfendem Herzen betrat Käthchen am Nach-
mittage mit ihrer Mutter das Haus des Profeſſor
Stark. Sie ſollte alſo die geprieſene, ihr ſo oft als
Vorbild gerühmte Jenny ſelber kennen lernen, ſie
ſollte jetzt mit eigenen Augen beobachten, wie eine
feine, hochgebildete Dame ſich bewege und ſpreche. Sie
hatte in ihrem kleinen Städtchen niemals dazu Gele-
genheit gehabt. Faſt zaghaften Schrittes folgte ſie mit
ihrer Mutter dem Mädchen, das fie die Treppen hin-
auf zu Jenny's Zimmer führte. Jenny hatte es vor-
gezogen, die beiden Frauen in ihren engeren Räumen
zu empfangen, weil ſie fürchtete, das neugierig⸗rhrͤ⸗
nenreiche Weſen der nervöſen Profeſſorin könne die
vielleicht ſo ſchon befangenen Fremden noch mehr ein-
ſchüchtern. f—PFfFf
Jenny trat mit freundlichem Gruß den hereinkom-
 
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