Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Hülsen, Julius; Wiegand, Theodor [Hrsg.]
Milet: Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen seit dem Jahre 1899 (Band 1,5,Text): Das Nymphaeum — Berlin, 1919

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3617#0078
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
III. Der figürliche Schmuck.

71

Nymphe mit dem Ruder und der Nike. Auch wo man nicht mit tiefen Gängen arbeiten konnte,
hat man ins Gewand kräftige Schatten zu bringen gesucht; so hat man am Asklepios, wo nur wenige,
große Falten über die Beine laufen, zwischen ihnen die verbleibenden Flächen stark vertieft. Im
Nackten unterscheidet man sehr deutlich starke und weiche, männliche und weibliche Körperbildung,
auch dies durch wenige, wirksame Mittel. Die frische, straffe Haut der Artemis und der Nymphen
wird durch faltenlose und nicht über das Nötigste hinaus modellierte Flächen gegeben; das weiche
Fettpolster des »Dionysos« durch Unterdrückung aller Muskelgrenzen und Vermeidung harter Ober-
gänge, starke Eintiefung des Nabels und außerordentlich tiefe Unterbohrung der Inguinalfalten.
Der alte feiste Körper Silens ist charakterisiert durch wenige kräftige Fettrillen, die sich quer über ihn
hinziehen, durch einige Hautfalten am Armansatz, durch schlaffe, hängende Brust. Den muskulösen Leib
eines starken Mannes stellt man dar durch flachen Bauch und kräftiges Absetzen seines unteren Randes.
Der überstarke Herakles ist durch quellende Muskeln bezeichnet in der Art der farnesischen Statue,
die ja für die Dekoration umgearbeitet ist. So sind also alle Statuen des Nymphäums für einen gleichen
Zweck mit gleichen oder analogen Mitteln gearbeitet. Sie sind offenbar alle zu einer Zeit auf dieselbe
Bestellung hin angefertigt worden. Gordianus III. und dessen Gemahlin Tranquillina fügten Erzbilder
hinzu, von denen wir nichts mehr gefunden haben.

Endlich möge es noch gestattet sein, eine Vermutung über den Mann vorzutragen, der die Statuen
hat aufstellen lassen. Unter den Sockeln ist einer, der die Inschrift trägt: A. 'Etvöitiov Oükropa AoMiavöv
6 ofjuoc;. Dieser Lollianus muß mit dem Römer identisch sein, dessen Namen sich so oft auf asiatischen
Steinen findet (Prosopogr. imp. Rom. II S. 34) und der unter Philippus Arabs zum drittenmal Prokonsul
von Asien war. Da der Obergang der Regierung von Gordianus III. auf Philippus sich äußerlich in
aller Ruhe vollzog und der neue Kaiser bemüht war, jeden Schein einer gewaltsamen Umwälzung zu
vermeiden, so werden auch die Beamten nicht plötzlich ab- und eingesetzt worden sein. Somit könnte
Lollianus sehr wohl schon unter Gordianus III. Prokonsul von Asien gewesen sein. Da man ihm eine
Statue im Nymphäum aufstellte, so muß er Verdienste um dieses Gebäude gehabt haben, und die An-
nahme liegt nahe, daß er für den Figurenschmuck gesorgt habe. Daß die Aufstellung einer Porträt-
statue im Nymphäum ein Verdienst um dieses Gebäude voraussetzt, wird noch dadurch wahrscheinlich,
daß auch der Erbauer des Brunnens, Ulpius Traianus, eine solche hatte. Für ihn ist eine ganz gleiche
Dedikation wie für Lollianus auf einem eben solchen Sockel im Bassin gefunden worden. Beide Sockel-
inschriften scheinen wegen der Form der Sockel und der gleichartigen Fassung derselben Zeit anzu-
gehören. Das heißt: als Lollianus aus kaiserlichen Geldern die Schmuckbilder und die Porträts des
Kaisers und der Kaiserin aufstellte, gab der Demos von Milet seiner Dankbarkeit Ausdruck, indem er
dem Lollianus und, um die Symmetrie zu wahren oder auch aus Pietät, dem Erbauer des Nymphäums,
Traianus, Bildsäulen im Nymphäum stiftete. Das dürften die beiden nackten Männerfiguren Nr. 14 und
15 sein. Wo die Porträts des Herrscherpaares standen, können wir nicht mehr erkennen. Es ist freilich
darauf hinzuweisen, daß obige Ausführung nur richtig sein kann unter der Annahme, daß das Gebäude
von Titus bis auf Gordianus keinen Figurenschmuck gehabt hat. Doch scheint alles zu dieser Annahme
zu drängen.

Daher erscheint soviel sicher: Die Ausgrabungen von Milet haben uns Beispiele für die
Kunst einer Zeit geschenkt, von der wir bisher nur die Porträts des Gordianus kannten. Man
wird die Statuen besser finden als man erwartet hatte, aber die genannten Porträts und die zwanzig Jahre
früher entstandenen des Caracalla geben uns kein Recht, die Bildhauer dieser Epoche für minderwertig
zu halten.
 
Annotationen