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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 23.1875

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Heft 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.62253#0005
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Der Kisenkopf.
Novelle
von
E. v. Dmcklagr.
/I muß Ihnen doch daran
ü I fliegen, daß sich in Jh-
rer Gemeinde vermögende
und gebildete Leute an-
sässig machen, die nicht nur den
äußeren Wohlstand heben, son-
dern diesen ungeschickten Bauern-
tölpeln auch einen Begriff von
Civilisation beibringen — aber-
ganz im Gegentheil weisen Sie
meine erste, so gut wie möglich
motivirte Bitte zurück, als ob
ich ein Unrecht verlangte."
Der junge Gutsherr, Sieg-
bert Barden, sprach diese Worte
mit schlecht versteckter Gereiztheit
und hieb mit seiner Reitgerte so
energisch auf die Stulpenstiefel,
die er trug, daß der Pfarrer,
welcher ihm gegenüber saß, sich
eines leisen, wenngleich wohl-
meinenden Lächelns nicht erweh-
ren konnte.
„Wenn arm und reich, ge-
bildet und ungebildet Ihnen,
mein junger Freund, auch noch
so schroff getrennt erscheinen
mögen, so müssen Sie,mir doch
zugestehen, daß es Gebiete gibt,
wo diese Scheidung hinfällig,
ja aufgehoben wird, vor Gott,
in der Kirche und im Tode gilt
kein Ansehen der Person! Wenn
schon der Hausfriede ein heilig
Recht ist, das nur der Frevler
verletzt, wie viel heiliger muß
dem Seelsorger der Tempel sei-
nes Gottes sein, und wie könnte
es ihm in den Sinn kommen,
einer andächtigen Familie da-
durch ein Aergerniß zu geben,
daß er die Hand dazu reicht,
dieselbe aus dem Kirchenstuhl zu
vertreiben, wo sie, und ihre
Vorfahren vor ihnen, so lange
unsere Dorfkirche dasteht, an-
beteten, als die gewissenhafte-
sten Mitglieder meiner Heerde?"
„Sie wollen mich nicht ver-
stehen!" eiferte der junge Herr,
und sein hübsches Gesicht nahm
einen eigenwilligen und trotzi-
gen Ausdruck an, „von Ver-
treiben ist selbstverständlich keine
Rede, aber mir scheint diese, in
Jllustr. Welt. XXIII. I.


Galerie weiblicher Original-Kostüme. Insel Marken (Holland), (S. 27.)
Nach einer Photographie von Franz Hanfstängl in München,

dürftige Lumpen gekleidete Fa-
milie, welche in einer elenden
Erdhütte wohnt, die meinem
Jagdhunde zu schlecht sein würde,
könnte zufrieden sein, für ihren
alten geschnitzten Kirchenstuhl
eine Tasche voll blanker Thaler-
stücke einzustreichen und in irgend
einer anderen Ecke der Kirche zu
beteu! Ich wandte mich an
Sie, Herr Pastor, in der Vor-
aussicht, Sie würden der beste
Vermittler sein, finde aber eben
bei Ihnen einen so unerklärlichen
Widerstand, daß ich bereue, nicht
gleich selbst mit dem Besitzer der
Stühle gesprochen zu haben, der
ohne Zweifel mit Kußhand auf
den Vorschlag eingeht."
Der Pfarrer lächelte wieder
und klopfte leicht auf seine
Schnupftabaksdose: „Versuchen
Sie's, Herr Barden!"
„Was mich anlangt," fuhr
der Andere etwas unsicherer fort,
„so kann ich, als Mann, in der
Kirche sitzen, wo ich will, aber ich
erwarte meine Mutter, eine
Dame aus sehr guter Familie,
sie ist eine geborene Gräfin,
und ihr kann es nicht einerlei
sein, wenn halbwilde Bettler,
Sonntag für Sonntag, einen
besseren Platz einnehmen, als
die Gutsfrau selbst!"
„Ich zweifle, daß die halb-
wilden Bettler geneigt sind,
Ihrer Frau Mutter Platz zu
machen!"
„Geneigt sind?" wiederholte
Barden, indem ihm das Blut
bis zur Stirn hinaufstieg und
er hastig vom Stuhle aufstaud
— „geneigt sind, lächerlich,
man wird doch Mittel haben,
einen alten Besenbinder, einen
von Haus und Hof vertriebenen
Mann, zur Raison zu bringen,
und ich versichere Sie, verehr-
ter Herr Pastor, daß ich meiner
Energie wohl schwerere Aufgaben
stellen darf, als diese! Die Zeit
der sentimentalen Empsindelei
ist vorüber, ich leugne nicht, daß
ich den moralischen Kommunis-
mus, die gottselige Gleichmache-
rei, noch absurder finde als den
materiellen. Wir in der großen
Welt haben eben einen anderen
Maßstab, der Mensch gilt so
hoch, als er sich verwerthet, der
Stolz in Lumpen, die Philo-
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