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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 23.1875

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Heft 23
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https://doi.org/10.11588/diglit.62253#0569
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Schloß Tannenhof.
Novelle
von
H. S. Wat-rmar.

Erstes Kapitel.
Das Schloß und die Wirthschaftsgebäude waren mit
Kränzen und grünem Laube geschmückt, denn der neue Guts-
herr hatte heute seinen Einzug gehalten. Die Sonne, die
ihm so freundlich dazu geschienen, wie sie es eben nur an
klaren Spätsommertagen thun kann, war längst untergegangen

und selbst die Pechflammen, die den Abend hindurch den Hof
beleuchteten, waren dem Erlöschen nahe, und nur wenn sie
der Nachtwind mit einem stärkeren Hauche berührte, flammte
die eine oder die andere noch einmal auf und warf ihr trübes
rothes Licht auf Laub- und Blumengewinde.
Die beiden Damen, welche den Gutsherrn hieher be-
gleitet hatten, waren zur Ruhe gegangen, aber er selbst stand
noch in seinem Zimmer am Fenster und blickte in die Nacht
hinaus. Er war ein junger Mann von hoher Gestalt und
ernsten, edlen Gesichtszügen. Seine dunklen Augen schienen
Etwas zu suchen, das jenseits seines Hofes lag, ja sogar
jenseits des schwarzen Nadelwaldes, den die schmale Sichel
des sich zum Untergänge neigenden Mondes noch erkennen

ließ. Aber was sein spähender Blick auch suchen mochte, er
fand es nicht, und der junge Mann wandte sich mit einem
halb unterdrückten Seufzer vom Fenster ab.
„Nun, auf morgen denn," sagte er leise zu sich, „nachdem
ich sieben Jahre lang gewartet habe, werde ich mich wohl
noch die letzten Stunden hindurch gedulden können, die mich
von ihr trennen. Aber wer sagt mir denn, daß ich sic über-
haupt noch hier finde? Sie kann gestorben, sie kann, — nein,
nein, sie kann nicht verheirathet sein, sie kann mich nicht ver-
gessen haben. Und doch, sie mar damals noch ein Kind —
ach, welch' süßes, liebreizendes Kind! — und sieben Jahre
sind eine lange Zeit. Ueber dieß Eine wenigstens will ich
heute noch Gewißheit haben."


Jllustr. Welt. XX1I1. 23,

Stillleben. Nach dem Gemälde von C. Canedi. (S. 603.)

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