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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 23.1875

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Heft 24
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https://doi.org/10.11588/diglit.62253#0592
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Am der Mutter Schuld.
Erzählung
von
W. Einers.
(Schluß.)

Die Majorin, die in einem unheimlich dumpfen Tone ge-
sprochen, ließ jetzt ihre Hand von der Tochter Schulter sinken,
und ihre Arme vor der Brust kreuzend, sah sie sich langsam,

obwohl wir unsere gegenseitigen Besuche fortsetzen konnten,
so lagen natürlich doch immer lange Pausen dazwischen.
Helene füllte dieselben mit dicken Briefen aus — ich war zu
träge zum Schreiben und überdieß nach meiner Rückkehr in's
Vaterhaus in eine Reihe von geräuschvollen Vergnügungen
gezogen worden, die mir wenig geordnete Gedanken dafür
ließen. Ihre Seele sollte mir stets offen und klar daliegen,
aber was konnte ich von mir schreiben? Da lag Alles chao-
tisch durcheinander. Der jungen Tochter des Kommandanten
wurde überall gehuldigt; das hatte viel Reiz für mein Herz,
und das unruhige Blut in ihm fühlte sich befriedigt, wenn
es im raschen Tanz erregter klopfen konnte — es wollte immer

in Bewegung sein — es hätte stiegen und immer weiter,
weiter eilen mögen, wo es doch zu oft nur gehen sollte."
Die Majorin sprach das Alles in einem nachdenklichen
Sinnen — sie schien mehr für sich selbst in die vergangenen
Jahrzehnte zurückzukehren, als den beiden jungen Leuten eine
Enthüllung ihres Lebens geben zu wollen. Gertrud hatte die
Stirn in die flache Hand des linken Armes gelegt, welcher
sich auf die Nücklehne der Steinbank stützte — ach, so war
Fritz gewesen, wie die Mutter da von sich erzählte, und doch
hatte sie niemals einen verzeihenden Kuß für ihn gehabt!
„Als ich im nächsten Sommer, von einer Badereise mit
der Mutter zurückkehrend, Helene bei mir erwartete, traf eines

tief aufathmend, um. „Ja, der Fleck
hier ist gerade so geblieben, wie er
damals war — und auch der Weg
ist noch derselbe — nur Die, die
ihn in jener Nacht — Jedes mit
einer Leidenschaft im Herzen, gin-
gen, sind nicht mehr da. . . Zwei
sind schon Staub geworden, und
die Dritte steht hier, eine lebende
Mumie, in der Qual, das nicht
vergessen zu können —
„Verstehst Du nun, Gertrud,
warum ich Dich stets so streng
vor einer sogenannten Mädchen-
freundschaft hütete? Es konnte keine
zärtlicheren Freundinnen geben als
Helene Bernhardi und Amelie
Schlichtborn. Beide waren im glei-
chen Alter und Beide mit dem
zehnten Jahre in die berühmte Er-
ziehungsanstalt der großen Herrn-
huterkolonie G. eingetreten. Sie
bewohnten ein Zimmer zusammen
und theilten Alles, was sie hatten,
mit einander — ein Jahr begleitete
Amelie ihre Freundin während der
Ferienzeit nach dem Gute ihrer
Eltern, das nächste Jahr fuhr Helene
mit mir nach der Festung, deren
Kommandant mein Vater damals
war. So wuchsen wir Beide auf
— Helene zu einer jener sanften,
blonden Schönheiten, wie sie die
Maler zu ihren Madonnenbildern
nehmen; ich zu einem heißblütigen,
ruhelosen Mädchen.
„Aber trotzdem wir in der äuße-
ren Erscheinung wie innerlich so
verschieden geartet waren, hingen
wir doch mit warmer Neigung an-
einander, Helenen war es bei ihrem
weichen Herzen ein Bedürfniß, sich
liebend anzuschmiegen, während ich
frühzeitig begehrte, mich lieben zu
lassen und einen entschiedenen Ein-
fluß auf irgend Jemand auszuüben.
Der Austritt aus jenem Erziehungs-
hause, der mit unserem sechzehn-
ten Jahre erfolgte, mußte nun jenes
Jneinanderleben gewaltsam ändern;


Die beiden Kaiser am Brunnen in Ems. Originalzeichnung von K. Kogler. (S. 627.)

Jllustr. Welt. XXlll. 21.

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