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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 23.1875

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Heft 21
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https://doi.org/10.11588/diglit.62253#0519
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A""NUlÄWiNt2igKttl! ^ilhegang.


AtlMgiM. "JeipLig ttNtl Hirn.

Johannes der LeMng.
Eine Geschichte
von
P. K. Uoseggcr.
Ein Abendblick in das Thal der Lansach. Die Weinberge
der Hügelketten schimmern in goldhellem Grün, besäet nut den
weißen Würfelchen der Winzereien. Zahllose Ranken winden
sich über die Hänge und die noch unreifen Trauben saugen
Milde und Feuer aus den schrägen Strahlen der niedergehen-
den Sonne. Die Gartenzäune und Wegplankcn sind aus
lebendigen Gewinden, in welchen die Grillen wispern. Auf
den ungezählten Obstbäumen, deren frischdunkles Grün den
helleren Schein der Neben lieblich unterbricht, wiegen die reifen
Früchte; aber kein einzig gelbes Blatt zittert. Es ist, als ob
in dieser Gegend der Apfelbaum noch ein zweites Mal zu
blühen und zu reisen gesonnen wäre, bis nur erst das emsige
Volk der Heimser die reiche« Erstlingsgaben entgegeugenommen
haben würde. Auf den Wegen ziehen fröhliche Menschen
mit vollen Körben und Kübeln; unter den Schatten der
schillernden Flußweiden aber hockt mancher Bursche mit auf-
gestreckten Hemdärmeln und fahndet nach Forellen, die er mit
den Händen aus dem klaren Wasser der Lansach zu fangen
versteht. Muntere Thierchen mit
silberweißen Schuppen und Hellrothen
Sternchen schlüpfen auf und nieder
über die kupferbraunen Steine des
Baches. Die Heimat dieser an-
muthigen Wesen, das Gebirge, ist
ja nicht weit. Dort hinter den
Hügeln blauen und dunkeln die
Berge mit den Nadelwäldern, aus
deren Schluchten die Lansach sich
windet.
Und dort, wo der Fluß aus sei-
nen ewig schattigen Engen in das
sonnige Hügelland tritt, stehen an
seinen Ufern zur Linken und zur
Rechten auf buschigen Felshöhen
zwei Burgen.
Die eine dieser Burgen, zur
Rechten der Lansach, ist ein gar
stolzer, altcrthümlicher Bau in gothi-
schem Style, mit vielen Erkern und
vier hohen Thürmen, wovon die
zwei vorderen mit Schießscharten
und zahnartig durchbrochenen Zinnen
versehen sind, die zwei rückseitigen
aber in scharfen, steilen Dachgiebeln
auslaufen. Diese vier Thürme ragen
hoch über die Platanen und den
Kranz der Weißtaunen empor, deren
Wipfel selbst gleichsam im gothi-
schen Style prangend das weitläufige
Gebäude umfrieden. Eine breite,
wohlgepflasterte Straße mit einer
jungen Tannenallee führt zu dem
Schlosse empor. Von Strecke zu
Strecke ragen aus dem duftenden
Nadelholze altersgraue Marmor-

statuen in priesterlichem Gewände. Zu beiden Seiten des
Thorbogens dräuen auf mächtigen Sockeln zwei steinerne Löwen
und über dem Bogen prangt als Wappen ein Tiger, durchbohrt
vom Schwerte, dessen Griff in einem Krummstabe endet.
Schloßherr ist der Erzbischof Constant, Graf von Pfahlen-
stein, geheimer Kämmerer des Stuhles Petri.
Das gegenüberliegende Gebäude hat einen durchaus andern
Charakter. Der Berg, auf dem es steht, ist mit Laubholz be-
wachsen, die Straße hinan ziehen sich wilde Ranken und an-
statt des Eingangbogens wölben sich zwei wuchtige Nußbäume
über die Pforte. Das Schloß ist nach modernem Style,
theils in Spitzbogenform, theils schweizerhausartig gebaut, und
die kunstvolle Täfelung der Fenster mit den Hellen Spiegel-
scheiben, in denen sich das Laubwerk spielt, gibt dem Baue
ein freundliches, villenartiges Aussehen. Der Hof ist mit
Kalksteinwürseln gepflastert, auf welchen mail noch die Schläge
des Meißels sieht; es mögen eben nicht gar viele Rüder
darüber hingerollt sein. Ein still-traulicher Burgfrieden athmet
in diesem Gebäude, und nur die Bewohner desselben beleben
in heiterer idyllischer Weise die Behäbigkeit und Wohlstand
kündenden Räume.
Ueber dem Portale finden wir kein Wappen, weder geist-
lichen noch weltlichen Ursprungs, obwohl eine neu in das
Mauerwerk eiugefügte Marmorplatte irgend ein bedeutsames
Symbol aufzunehmen bereit scheint.

Diese neue Burg hat keine schwere Vergangenheit, wenn-
gleich die Ruinen, aus welchen sie jung entstanden ist, mit
Türken- und Magyarenblut begossen worden waren.
Max Fernbergcr, gleichwohl einst arm und mutterseits
dem Bauernstands entsprossen, war ein Mann, der sich auf
industriellem und kaufmännischem Gebiete für das Vaterland
in der Weise verdient gemacht hatte, daß ihm der Landesfürst
mehrere Orden auf die Brust heftete und ihn in den Freiherrn-
staud erhob. Baron Fernberg war sofort bestrebt, seine ge-
ringe Abkunft durchaus der Vergessenheit anhcimzuschicken
und für sein junges Adelsgeschlecht ein Stammschloß zu
gründen. Er kaufte große Grundstücke an der Lansach mit
der Ruine Lansbcrg, auf welcher er das neue, geschmackvolle
Schloß Fernberg erbaute. Obwohl noch durch tausend Gold-
fäden und Eisenstränge mit der großen Welt in Verband,
pflegte der Baron doch jeden Sommer in der stillen Abge-
schiedenheit seines Waldschlosscs zuzubringcn. Zu solcher Zeit
lebte er mit seiner kleinen Familie ganz der Natur und dem
ländlichen Sporte, in welchem er an seinem Nachbar, dem
Erzbischof Constant, der die schöne Jahreszeit gleichfalls auf
seiner Burg Pfahlenstein zubrachte, einen willkommenen Ge-
nossen hatte.
Die Entfernung der beiden Schlösser von einander war
gerade so groß, daß von dem einen aus mit einem normalen
Kugelgewehr noch das Schwarze der Scheibe zu treffen war,

Thomas More begegnet seiner Tochter. Nach dem Gemälde von F. E. Jeames. (S. 551.)


Jllustr. Welt. XXIII. 21.

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