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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 23.1875

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Heft 22
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ArLittnrlLmnlLigsUr ^nhegilng.

22. Lest.

Atottgiirt. Heilig uns Hiün.

Am der Mutter Schuld.
Erzählung
von
W. Elneru.
Einsame Rose,
Blühst so verlassen;
Willst hier im Thale
Stille verblassen?
N. Gerok.
Die Nachmittagssonne neigte sich bereits tief und warf
nicht mehr heiße, sondern nur noch freundliche Strahlen in
ein großes, mit brauner Ledertapete bekleidetes Zimmer, an
dessen einer Wand ein eisernes Bett^stell stand, welches
von einem jungen, blaß aussehenden Mann eingenommen
wurde. Obwohl er aufgerichtet in den weißen Kissen saß,
so verrieth doch der in mehrfache Bandagen gehüllte linke
Arm, welcher auf der seidenen Steppdecke lag, daß sein Zu-
stand noch einer sorgfältigen Pflege bedurfte, ja sogar das
Wundfieber schien ihn noch nicht völlig verlassen zu haben,
denn seine Augen schauten sehr aufgeregt

junge Frau Ihre Mutter war, so würde ich die Erinnerung,
welche mir beim Hören Ihres Namens den traurigen Vorfall
lebhaft zurückrief, für mich behalten haben, — nun wird mil-
der Doktor gewiß Vorwürfe machen, daß ich Sie aufgeregt
habe."
„Nein, nein, mein lieber Hauptmann, das Fieber kommt
um diese Staude so wie so und ist heut nicht heftiger als
gestern; jedenfalls aber wird meine Erregung noch stärker-
werden, wenn Sie mit Ihrer Erzählung nun auf halbem
Wege stehen bleiben, sagen Sie mir Alles, das Schlimmste
ist nicht so peinigend, wie ein ungewisses Grübeln."
„Gewiß, und da ich nun einmal ahnunaslos ein unge-
schicktes Wort gesprochen, so will ich Ihnen auf Ihr Drängen
mein ganzes Wissen in der Angelegenheit mittheilen, — leider-
ist es nicht viel:
„Als ich vor ungefähr zwanzig Jahren als angehender
Fähnrich in Liebenfclde bei meinem Bruder, welcher als
renommirter Arzt dort auch eine Privatheilanstalt für Irre
errichtet hatte, einige Wochen besuchsweise verlebte, hielt
sich zu gleicher Zeit bei dem dortigen Gerichtsdirektor eine
Schwägerin, die bildschöne, junge Fran eines Majors von

Schlichtborn auf. Sie besuchte eines Nachmittags mit ihrer
Schwester auch unser Haus, und wir promenirten Alle gegen
Abend gemeinschaftlich im Garten, welcher durch eine ziemlich
hohe Mauer von dem dicht daranstoßenden, für die Bewohner
der Anstalt bestimmten, getrennt war.
„Um ein wärmeres Tuch für Frau von Schlichtborn, die
mich vollständig bezauberte, zu holen, ging ich nach einiger
Zeit noch einmal in's Haus zurück, aber noch ehe ich es er-
reichte, höre ich ein entsetzliches Lachen hinter mir, so mark-
erschütternd, daß es selbst mich stämmigen, nervenlosen Men-
schen mit fröstelndem Grauen durchzittcrte. Ich wandte mich
erschrocken um und sehe eine der lieblichsten Erscheinungen,
fast noch mädchenhaft zart, mit erhobenem Arm und dem
fortdauernden grauenvollen Lachen auf ihren Lippen, vor
Frau von Schlichtborn stehen. Beider Augen hingen starr
an einander, bis die Letztere mit dem angstvollen Schrei:
,Nein, Helene, es kann ja nicht seinsi ihrer herbeieilenden
Schwester ohnmächtig in die Arme sinkt.
„In demselben Augenblick zuckte aber auch die arme
Wahnsinnige in den heftigsten Krämpfen zusammen und wurde
von den nun von allen Seiten herbeieilenden Wärterinnen,

nach dem Herrn in Uniform hinüber, wel-
cher auf dem kleinen gegenüberstehenden
Sopha saß.
An dieser Seite war das Fenster weit
geöffnet und gewährte einen entzückenden
Fernblick über das fruchtbare schleswiger
Land bis hinüber zu dein langen blauen
Streifen, der mit seinem silbernen Schim-
mer die Nähe der See verkündete. Am
anderen Fenster waren die Vorhänge her-
untergelassen, wahrscheinlich um des Krau-
len willen; ein an der Hinterwand des
Zimmers befindliches Feldbett deutete uoch
auf einen anderen Insassen hin, welcher
indeß nicht der erwähnte Herr sein mußte,
da dieser eine Feldmütze neben sich liegen
hatte und nur Zu einem Krankenbesuch
gekommen zu sein schien, bei dessen Ab-
stattung ihn wohl der neben ihm liegende
Stock unterstützt haben mochte.
Wenn sein rechter Fuß in seiner gestreck-
ten steifen Haltung diese Vermuthung be-
stätigte, so rechtfertigte sich gewiß auch die
andere, durch mehrere in dem Garten an
der Front des Hauses müßig umherschlen-
dernde Soldaten geweckte, daß man sich
hier in einem der rasch improvisirten La-
zarethe befand, welche während des letzten
dänischen Feldzuges durch die menschcn-
sreundliche Theilnahme begüterter Einwoh-
ner Schleswigs, deren deutsches Herz den
Befreiern von dänischer Herrschaft freudig
cutgegengekommen war, hergerichtet und
bereitwillig der Lazarethverwaltung für die
Verwundeten zur Verfügung gestellt wor-
den waren.
„Es thut mir wahrhaftig jetzt leid,
Kamerad, daß ich diese Sache berührte,"
nahm der auf dem Sopha fitzende ältere
Herr das Gespräch wieder auf. „Hätte
ich ahnen können, daß jene unglückliche




Trittstcme. (S. 579.)

Jllustr. Wclt. XXIII 22.
 
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