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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 23.1875

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.62253#0060
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Aus grauer Karde.
Kriminalgeschichte
von
Ä. D. H. Temmr.
Westphalen ist das Land der grünen Eichen nnd
der grauen Haiden, und an den grauen Hai-
den und unter den grünen Eichen lebt seit mehr
als zweitausend Jahren ein kräftiges und treues Volk.
Einst war es auch ein freies Volk.
In Westphalen zählt das Münsterland die weitesten
und die grauesten Haiden, und die mächtigsten und grün-
sten Eichen, aber der Haiden mehr und der Eichen weni-
ger, als die andern Theile des Landes der rothen Erde.
Das münsterische Volk ist darum nicht weniger kräftig
und treu, als seine anderen Brüder in Westphalen.
Weite, unübersehbare Haiden zeigt das nördliche
Münsterland auf, und an ihrem Saume ruud umher
erheben sich mächtige Laubwaldungen, dehnen sich reiche
Bauerschaften aus mit ihren großen, stattlichen Bauer-
höfen und unübersehbaren Hofesaaten, schieben die
prachtvollen Landgüter des alten, stolzen münsterischen
Adels von ihren aristokratischen Edelsitzcn ihre oft mei-
lenweiten Grenzen vor.
Man sieht auch wohl seltsame Bilder an diesen alten
münsterischen Haiden nicht so häufig jetzt mehr; im Nie-
derstift haben sie sich häufiger erhalten; in dem Oberstift,
dem eigentlichen Münsterlande, sind sie seit Anfang dieses
Jahrhunderts mehr und mehr der Kultur gewichen, die
alle Welt beleckt. Vor länger als fünfzig Jahren bin
ich ihnen noch manchmal begegnet.
Vor beinahe fünfzig Jahren zeigte sich eines von
ihnen, nur wenige Meilen von der Stadt Münster ent-
fernt, an einem Tage, der für die Gegend denkwürdig
werden sollte.
Es war auf der gelmer Haide, da wo deren äußer-
stes, südwestliches Ende zwischen uralten Eichen, Eschen
und Föhren in einen spitzen Winkel auslüuft. Die alten
Bäume gehörten zu einer großen, dichten Waldung,
vielmehr zu zweien, die hier an einander stießen; der
östliche Theil war gemeinschaftliches Eigenthum der
Bauern der Baucrschaft Diek; der westliche Theil stand
im Eigenthum des Grafen Berg auf dem adeligen Hause
Diekburg.
An dem fast kahlen Stamme einer alten Föhre auf
der Seite der Bauerschaft stand ein Mann von sonder-
barem Aussehen. Es war ein alter, grauer Mann; alt
und grau wie die Haide, als wenn sie es Beide zu-
sammen geworden wären. Er war trotz seines Alters
eine kräftige Gestalt; auch das starkknochige Gesicht war
noch breit; aber der Kopf war klein geworden, wie zu-
sammengeschrumpft unter der Zahl und Last der Jahre;
man sah nur das Gesicht aus der Mütze hervorschauen,
mit der er sein Haupt bedeckt hatte; es war eine Pelz-
mütze, auch alt und wohl von einem alten Fuchse. Er
trug sie trotz des milden Herbstwetters, und auch sein
ganzer Körper war von dicker Wolle gegen die Witterung
geschützt, und Alles war grau, die langen Strümpfe,
Lllustr. Welt. XXIII. 3.

Gefährliche Galanterie. Nach dem Gemälde von H. Lossow. (S. 83.)
 
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