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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 23.1875

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Heft 8
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https://doi.org/10.11588/diglit.62253#0194
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194

„Wer hätte sich jemals vorgestellt," sagte sie sich im Stil-
len, „und wer glaubte in diesem Augenblicke, daß dieser da
unten vorübergehende junge Mann mein Verlobter ist und
daß vielleicht der Tag nicht mehr fern, mo ich als seine Gattin
mich in seine Arme stürzen kann? Wer ahnte wohl, daß
alle meine Gedanken ihm gehören und daß er um meinetwillen
auf allen Ehrgeiz feines Lebens verzichtend einen neuen Zweck
verfolgt? Wer könnte sagen, daß wegen Gilberte favoral
der Marguis von Tregars durch die Aegidieustraße spaziert?"
Uebrigens war dieser Spaziergang im „Marais" nicht
ohne einiges Verdienst, denn die schlechte Jahreszeit war ge-
kommen und hatte eine Schicht dicken Schlammes über all' die
Gassen und Gäßchen dieses Stadttheils gebreitet, welche die
Straßenfeger stets vergaßen.
Die Wohnung des Kassirers der Kreditbank hatte ihr
früheres Ansehen wie vor dem Kriege und vor den Zuckungen
der Kommune wieder gewonnen, das traurige Einerlei, wel-
ches kaum durch die Sonnabend-Gastmahle mit den Naivetäten
des Herrn Declaret und den Wortspielen des Papa Dormo
unterbrochen ward.
Max wohnte indessen nicht mehr bei seinen Eltern. Des
väterlichen Despotismus überdrüssig, hatte er sich eine kleine
Wohnung auf dem Boulevard du Temple eingerichtet und
nur auf inständiges Bitten seiner Mutter sich entschlossen,
jeden Abend zum Essen nach der Aegidienstraße zu kommen.
Getreu dem seiner Schwester abgelegten Gelübde, arbeitete
er mit Entschlossenheit und Ausdauer, war aber noch nicht
besonders vorwärts gekommen. Tie Zeit war noch nicht
günstig, und die einmal verpaßte Gelegenheit bot sich nicht
wieder dar. Nichtsdestoweniger behauptete er seinen Posten
als Hülfsarbeiter, an der Eisenbahn und da zweihundert
Franken monatlich ihm nicht genügten, brachte er einen Theil
seiner Nächte damit zu, für den Nachfolger des Herrn Kaplan
Akten abzuschreiben.
„Es fehlt Dir doch wohl an Geld?" fragte ihn seine
Mutter, wenn sie seine geröthetcn Augen sah.
„O, es ist Alles so theuer!" erwiederte er mit einem Lä-
cheln, welches vertrauenswerth war und welches dennoch Frau
Favoral nicht verstand.
Er hatte nach und nach durch Abzahlungen alle seine
Gläubiger befriedigt. An dem Tage, an welchem er endlich
alle ihre quittirten Rechnungen beisammen hatte, präsentirte
er sie stolz seinem Vater und bat, ihm bei der Kreditbank
eine Anstellung zu verschaffen, wo er mit unendlich weniger
Mühe viel mehr verdienen könne.
Herr Favoral beantwortete seine Bitte mit Hohn.
„Glaubst mich wohl so leicht zum Narren zu machen, wie
Deine Mutter?" rief er. „Ich kenne nur zu gut das Leben,
welches Du führst!"
„Mein Leben ist das eines armen Teufels, welcher schafft,
so viel er kann!"
„Wirklich? Nun, warnm sieht man dann unaufhörlich
Frauenzimmer bei Dir, deren Betragen und Toilette zum
Skandal der ganzen Umgebung gereichen?"
„Darüber täuscht man Sie, mein Vater!"
„Ich habe selbst gesehen."
„Es ist unmöglich! Lassen Sie sich doch erklären. . ."
„Nichts! Es hieße verlorene Mühe. Du bist und bleibst
derselbe und es wäre Wahnsinn von mir, wenn ich Dich in
eine Verwaltung aufnehmen wollte, in welcher ich die Ach-
tung Aller genieße; Dich, einen Burschen, der von einem Tage
zum andern durch irgend ein verlorenes Geschöpf in den
Schmutz gezogen wird."
Derartige Aeußerungen waren nicht dazn augethan, die
Beziehungen zwischen Vater und Sohn freundlicher zu gestal-
ten. Bei verschiedenen Gelegenheiten hatte Herr Favoral zu
verstehen gegeben, daß Max ebenso, wie er auswärts wohne,
mich auswärts speisen könne, und er würde dieß sogar in be-
stimmter Weise verlangt haben, wenn ihn nicht doch ein Rest
menschlicher Achtung und die Furcht vor der Leute Mund da-
von zurückgehaltcn hätte.
Andererseits erhielten bittere Reue über verfehltes Leben,
die Ungewißheit der Zukunft, die Mängel der Gegenwart,
sowie alle unbefriedigten Begierden der Jugend Max in einem
Zustande fortwährender Erregung. Um ihn zu beschwichtigen,
erschöpfte sich die vortreffliche Frau Favoral in Vernunft-
gründen.
„Dein Vater ist gegen Dich hart," sagte sie unter Ande-
rem; „ist er es aber weniger gegen sich selbst? Er verzeiht
nichts, aber er läßt sich ebenfalls nichts verzeihen. Er begreift
die Jugend nicht, weil er selbst niemals jung war, sondern
mit zwanzig Jahren eben so ernst und steif, wie Du ihn heute
sichst. Wie soll er sich das Bedürfniß eines Vergnügens er-
klären, da ihm selber nie die Idee gekommen ist, sich eine
Stunde Zerstreuung zu machen? . . ."
„Habe ich ein Verbrechen begangen, daß ich in solcher
Weise von meinem Vater behandelt werde?" rief Max.
Dabei war er glühendroth vor Zorn und krampfte die
Finger zusammen.
„Ist unser Dasein hier nicht unerhört?" fuhr er fort. „Du,
arme Mutter, hast niemals freie Verfügung über hundert
Sous gehabt. Gilberte bringt ihre Tage damit zu, ihre ab-
genutzten Kleider wieder und wieder zu wenden, um sie aufs
Neue brauchbar zu machen. Ich bin auf die kümmerliche
Stelle eines Hülfsschreibers beschränkt. Und mein Vater hat
füufzigtauseud Livres Reuten! . . ."
Auf diese Summe veranschlagten in der That die Be-
scheidensten das Vermögen des Herrn Favoral. Herr Kaplan
Z. B., der, wie man anuahm, wohl unterrichtet "war, nahm
keinen Anstand, bemerklich zu machen, daß dieser werthgeschützte

Illustrirte Welt.
Herr Favoral, außer daß er Kassirer der Kreditbank sei, wohl
auch einer der Hauptbetheiligten der Bank sein dürfte.
Nach der seit dem Kriege von der Kreditbank vertheiltcn
Dividende mußten aber auch die Tantiemen höchst bedeutend
sein. Alle Unternehmen glückten, die Bank stand im Begriff,
eine fremde Anleihe an die Börse zu bringen und bei dieser
Gelegenheit jedenfalls ihre Kaffen zum Brechen zu füllen.
Herr Favoral wehrte sich überdieß schlecht dagegen, daß
man ihm einen verhehlten Neichthum zuschrieb. Wenn Herr-
Dormo ihm halb humoristisch sagte: „Unter uns, lieber Fa-
voral, wie viel haben Sie Millionen?" dann erwiederte er
in einer so wunderlichen Art: man werde sich in dieser Be-
ziehung wohl sehr täuschen, daß dadurch die Ueberzeugung
der Andern nur befestigt ward, und wenn sie dann einige
Tausende erübrigt hatten, so beeilten sie sich, ihm dieselben zur
zinsbaren Anlegung zu bringen, wie so viele Rentiers seines
Viertels thaten, indem sie unter sich sagten:
„Dieser Mann ist sicherer als die Bank von Frank-
reich ! . .."
Millionär oder nicht, der Kassirer der Kreditbank wurde
von Tag zu Tag unausstehlicher. Wenn Leute, die ihn nicht
kannten oder nur oberflächliche Beziehungen zu ihm hatten, wenn
selbst seine Sonuabendgäste keine belangreiche Peründeruug
an ihm entdecken konnten, bemerkten doch seine Frau und
seine Kinder mit sorgenvoller Ueberraschnng die Wandlungen
seiner Laune.
Nach Außen schien er immer derselbe gleichmüthige, ernste
und verschlossene Mensch, aber in seiner Behausung und Fa-
milie wurde er launischer als ein altes Mädchen, unbeständig,
nervös und unerträglich in seinen närrischen Einfällen. Wenn
er drei oder vier Tage kaum die Zähne von einander gebracht
hatte, erging er sich plötzlich wieder mit thörichtcr Lebhaftig-
keit in den kleinlichsten Nörgeleien und Zänkereien; anstatt
wie sonst seinen Wein reichlich mit Wasser zu mischen, trank
er zwei Flaschen unvermischt zu seiner Mahlzeit und entschul-
digte dieß damit, daß er sich nach anstrengender Arbeit etwas
aufrichten müsse.
Manchmal war er in der übertriebensten Weise lustig und
erzählte allerlei seltsame Anekdoten, untermischt mit Roth-
wülsch, welches Max allein verstehen konnte.
Am Neujahrsmorgen 1872, als er sich zum Frühstück
setzte, warf er eine Nolle von fünfzig Louisd'ors auf den Tisch
und sagte zu seinen Kindern:
„Da ist euer Neujahrsgeschenk! Theilt's euch und kauft
euch, was ihr wollt."
Und als sie sich verblüfft ansahen, fügte er hinzu:
„Nun, zum Teufel, soll mau die Thaler nicht auch einmal
anders tanzen lassen? . . ."
Diese unverhofften zweitausend Franken verwendeten
Max und Gilberte dazu, ihrer Mutter einen Shawl zu kaufen,
den sie sich schon seit zehn Jahren lebhaft gewünscht hatte.
Sie lachte und weinte vor Vergnügen und Zärtlichkeit, diese
arme Frau, indem sie das Geschenk über ihre Schultern
breitete.
„Seht, ihr lieben Kinder," sagte sie, „euer Vater ist im
Grunde doch kein böser Mensch!" Davon waren indeß Beide
nicht vollkommen überzeugt.
„So viel steht fest," wendete Gilberte ein, „daß man
fürchterlich reich sein muß, um sich ciue derartige Freigebig-
keit zu gestatten."
Herr Favoral wohnte dieser Szene nicht bei. Die Jahres-
abschlüsse fesselten ihn so gebieterisch an seine Kasse, daß er
während achtundvierzig Stunden nicht nach Hause kam. Eine
Reise, die er für Herrn von Tallier unternehmen mußte, hielt
ihn für den Rest der Woche fern. Nach seiner Rückkehr schien
er befriedigt und ruhig.
Er theilte mit, daß er, ohne seinen Kassirerposten zu ver-
lassen, sich mit den Herren Jottras, Pavin (vom finanziellen
Piloten) und Costelar zur Ausbeutung der Konzession einer
fremden Eisenbahn verbunden habe.
Costelar sei das Haupt dieses Unternehmens, dessen außer-
ordentliche Vortheile so klar und sicher seien, daß man sie im
Voraus in Zahlen veranschlagen könne.
„Und Du siehst daraus," fügte er gegen seine Tochter-
gewendet hinzu, „daß Du sehr uurecht gethau hast, Herrn
Costelar nicht zu heirathen, solange er Dich wollte. Du
findest uie wieder ciue so vortheilhafte Partie. Er ist ein
Mann, der vor Ablauf von zehn Jahren zu den finanziellen
Größen zählt."
Die bloße Erwähnung Costelar's beunruhigte Gilberte.
„Ich glaubte, Du stündest mit ihm auf gespanntem Fuße?"
sagte sie zu ihrem Vater.
Er suchte eine gewisse Verlegeuheit zu verbergen.
„Wir waren es in der That," erwiederte er, „weil er
mir nie sagen wollte, warum er sich zurückgezogen habe, allein
man weiß sich immer in einander zu schiüeu, wenu man ge-
meinsame Geschäftsinteressen hat."
Vor dein Kriege ging Favoral nie auf solche Einzcln-
heiten ciu, jetzt wurde er fast mittheilsam; aber Gilberte, die
ihn genau beobachtete, weil sie auf der Hut war, glaubte zu
erkenuen, daß diese Mittheilsamkeit mit irgend einein ihn
drückenden Geheimnisse Zusammenhänge.
Seit zwanzig Jahren hatte er nie ein Wort über die Fa-
milie des Herrn von Tallier gesprochen, nun aber hörte er
nicht auf, sie zu erwähne«. Er erzählte seine« Sonnabeud-
güsteu vou dem fürstlichen Leben des Barons, von seiner-
zahlreichen Dienerschaft, seinen Pferden, der Farbe seiner
Livreen, den Festen, die er gab, von den bedeutenden Ein-
käufen an Gemälden und anderen Schmuckgegenständen, sogar
von den Namen seiner Geliebten, denn der Baron hatte eine

viel zu hohe Meinuug von sich, als daß er nicht jedes Jahr-
einige Tausend Louisd'or zu den Füßen irgend einer Frauens-
person niedergelegt hätte, welche die Leere seiner Person und
seiner Wagen ausfüllte.
Dabei sagte Herr Favoral offen, daß er von dem Baron
nicht viel halte. Mit einer Art bitteren Hasses sprach er da-
gegen von der Baronin. Es sei ihm unmöglich, versicherte
er seinen Gästen, auch nur auuähernd die fabelhaften Sum-
men zu schätzen, die sie verschwende und in alle Winde streue.
Denn sie sei die personifizirte Verschwendung, und zwar jene
blödsinnige, alberne, geschmacklose und unwissentliche Ver-
schwendung, welche im Handumwenden ein Vermögen ver-
nichtet, welche vom Gelde nicht einmal die Genugthuung des
kleinsten Bedürfnisses, eines Wunsches oder irgend einer Lieb-
haberei zu fordern wisse.
Er führte unerhörte Züge von ihr an, so daß Frau
Declaret vor Stauneu vom Sessel emporschnellte, nnd er-
klärte dabei, er verdanke die Kenntniß derselben theils
den Vertraulichkeiten des Herrn von Tallier, der oft ge-
nug die Schulden seiner Frau bezahlen müsse, theils der
Baronin selbst, die sich nicht cntblöde, zu ihm au die Kasse
zu kommen, um zwanzig Franken zu verlangen, denn ihre
Unordnung sei so groß, daß, nachdem sie alle Ersparnisse
ihrer Dienerschaft entliehen, oft nicht zwei Sons in ihrem
Besitz seien, um sie einem Bettler aus ihrer Karosse zuzu-
werfen.
Fräulein von Tallier gefiel dem Kassirer der Kreditbank
so wenig wie ihre Mutter. Plaulos uud bis zum zwölften
Jahre mehr in der Schreibstube wie im Salon erzogen, später
von ihrer Mutter überall umhergeschleppt, bei Wettreuuen,
bei ersten Theatervorstellungen, in Bädern zu Land und an:
Meeresufer, immer von einer Schaar junger Börseumänner
begleitet, habe sich das Fräulein Gewohnheiten angeeignet,
die man sogar an einem jungen Manne abscheulich finden
würde. Sobald eine zufällige Mode auftauche, eigue sie sich
dieselbe an und finde niemals etwas zu übertrieben, wenn
sie damit nur bemerkbar werde. Sie reite, trage Waffen,
gehe auf die Jagd, spreche die Zigeuner- und Diebssprachc,
singe die leichtfertigen Lieder der Theresa, leere ein Glas
Champagner in einem Zuge und rauche Cigarren. . .
Die Hörer dieser Mittheilungen waren starr vor Erstaunen.
„Aber auf diese Weise müsse« die Herrschaften doch Mil-
lionen verbrauchen," bemerkte Herr Kaplan.
Favoral zuckte plötzlich zusammen, als habe ihm Jemand
unversehens auf die Schulter geklopft.
„Ah bah!" erwiederte er, schnell wieder gefaßt, „die Leute
siud ja reich, schauderhaft reich! . . ."
Er wechselte jetzt für deu ganzen Abend diesen Gegenstand
der Unterhaltung mit anderen, aber am nächstfolgenden Sonn-
abend sagte er beim Beginn des Essens:
„Ich glaube, Herr von Tallier hat für seine Tochter einen
Mann entdeckt.
„Meine besten Glückwünsche," sagte Dormo spöttisch.
„Und wer ist denn dieser verwegene Schäker?"
Der Kassirer zuckte die Achseln.
„Ein richtiger Edelmann," erwiederte er. „Ist das nicht
Gebrauch in unserer Zeit? Sind nicht unsere Geldleute, so-
bald sie ihre erste Million beisammen haben, wie versessen
darauf, ihre Töchter mit zu Grnude gerichteten Edelleuten zu
versorgen?"
Gilberte erbebte in einer schmerzlichen Ahnung. Sie er-
blaßte. Diese Ahnung deutete ihr etwas Thörichtes, Albernes
uud Unwahrscheinliches an, und dennoch war sie sicher dar-
über, daß sie sich nicht täuschte. Ja, so sicher war sie, daß sie
unter dem Vorwande, etwas vom Büffet zu holen, sich vom
Tisch erhob, nur um die entsetzliche Bewegung verbergen zu
können, deren sie nicht Herr zu werden vermochte.
„Uud wie heißt der Edelmann?" fragte Herr Kaplan.
„Er ist ein Marquis, mit Ihrer Er'laubniß, und heißt
von Tregars."
Gilberte hatte keinen andern Namen erwartet, und glück-
licherweise besaß sie Kraft genug, um den Schrei zu ersticken,
der aus der Tiefe ihres Herzens emporsticg.
„Indeß ist die Verbindung noch keineswegs sicher," fuhr
Herr Favoral fort. „Dieser Marquis ist noch nicht so arg
ruinirt, daß man mit ihm Fangball spielen könnte. Die Ba-
ronin freilich möchte ihn ausnehmend gerne. . ."
Eine darüber sich entspinncnde Unterhaltung verhinderte
Gilberte, etwas Weiteres zu erfahren, und kaum war das
Gastmahl, welches ihr dießmal ciue Ewigkeit zu währen schien,
zu Ende, so klagte sie über heftigen Kopfschmerz und zog sich
in ihr Schlafzimmer zurück.
Sie zitterte wie von Fieberfrost geschüttelt, ihre Zähne
klapperten. Dennoch konnte sie nicht glauben, daß Marius
sie verrieth und daß er nur den Gedanken fassen könne, ein
Mädchen der Art zu heirathen, wie ihr Vater es soeben be-
schrieben hatte, nur weil sie reich war. Es war unmöglich
anzunehmen.
Gleichwohl wollte die Erinnerung an Marius' Beschwö-
rung : sie solle nichts glauben, was über ihn verbreitet werde,
nicht recht vorhalten uud sie verbrachte den folgenden Sonn-
tag in Angst und Unruhe. Erst am Montag, ihrem gewöhn-
lichen Unterrichtstage, kam ihr ein Trost und sie wäre ihrem
alten Lehrer Signor Gismoudo Pulci fast an den Hals ge-
flogen, als er sagte:
„Mein armer Schüler ist trostlos. Man hat ihm von
einem Heirathsprojekt gesprochen, dessen bloßer Gedanke ihn:
Entsetzen einjagt, und er zittert davor, daß das Gerücht da-
von bis zu den Ohren einer Verlobten dringe, die er in sei-
ner Heimat hat und die er über Alles anbctet."
 
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