Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 24.1876

DOI Heft:
Heft 2
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.62254#0057
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Illustrirte Welt.

51

Handgelenke und Finger, um sie geschmeidig zu machen, wie ich
Lenke, und breitete endlich ihre Finger aus, bis sie aussahen, als
ob sie die ganze Klaviatur von dem brummenden bis zu dem
quiekenden Ende umspannen wollten. Dann machten diese beiden
Hände einen Sprung über die Tasten, als ob ein paar Tiger
über eine Heerde weißer und schwarzer Schafe herstürzten, und
Las Piano ließ ein Geheul vernehmen, als ob ihm Jemand auf
Len Schwanz getreten wäre. Plötzlich Todtenstille — man konnte
das Haar auf dem Kopfe wachsen hören. Dann ein stärkeres
Geheul, als ob das Piano zwei Schwänze hätte und man ihm
auf beide zugleich getreten wäre, und dann ein großes Geklapper,
Gequieke und eine Reihe von Sprüngen auf und ab, rückwärts
und vorwärts, eine Hand über die andere, mehr wie eine allge-
meine Flucht von Ratten und Mäusen als das — was ich Mu-
sik nenne."
Carambolage,
Der Dampfer „Triumph" von Plockton stieß in der Nähe
Ler Hebrideninsel Lewis mit einem Walfisch zusammen. Der Zu-
sammenstoß war so heftig, als ob das Schiff an ein gesunkenes
Wrack gerannt wäre. Unmittelbar nach demselben sah man einen
großen Walfisch todt oder betäubt in der Nähe des Schiffes auf
der Oberfläche schwimmen. Der „Triumph" aber war so arg
beschädigt, daß er in den nahen Hafen von Stornoway einlaufen
und ausgebessert werden mußte. Einige Tage darauf wurde ein
vierzig Fuß langer, todter Walfisch im Schlepptau eines Schiffes
nach North Nist gebracht, vermutlich derselbe, mit welchem der
„Triumph" carambolirte.
Ein Held der Wette.
Dieser Tage kam in Paris, so erzählen dortige Blätter, ein
.englischer Schauspieler Namens Walter Hastings an, welcher der
-Held einer der absonderlichsten Wetten ist, die je gemacht worden.
Vor zehn Jahren speiste Hastings mit Lord S. in einem Klub
und sprach während der Unterhaltung die Ansicht aus, daß die
.Jsolirhaft in einer dunklen Zelle keineswegs eine so harte Strafe
sei, wie man sich gewöhnlich einzubilden pflege. Begierig, die
Sache praktisch zu entscheiden, bot Lord S. dem Schauspieler die
Summe von 100,000 Pfd. St., wenn er sich zehn Jahre einer solchen
Einsperrung unterziehen wolle. Die Wette wurde angenommen;
Lord S. richtete in seinem Hause eine völlig dunkle Zelle von
sünfzehn Fuß Länge und zehn Fuß Breite her. Hastings stand
-es frei, Licht zu brennen, er erhielt auch Bücher und Schreib-
material und vollauf zu essen und zu trinken, das ihm aber von
-einem unsichtbar bleibenden Diener servirt wurde. Alle Be-
dingungen wurden auf's Genaueste eingehalten. Hastings blieb
zehn Jahre in der dunklen Zelle isolirt, und erblickte erst vor
Kurzem das Tageslicht wieder, worauf er die so schwer ver-
diente Geldsumme ausbezahlt erhielt. Die mit seiner Person vor-
gegangenen physischen Veränderungen sind sehr merkwürdig. Ob-
wohl erst 35 Jahre alt, hat er doch das Aussehen eines Sechzigers.
Seine Haltung ist gekrümmt, sein Gang schwankend, seine Gesichts-
farbe leichenblaß, seine Sprache gebrochen, Kopf- und Barthaare
schneeweiß. Hastings sucht jetzt seine Gesundheit zu kräftigen,
denn, wie er sagt, brennt er vor Begier, seine dramatische Lauf-
bahn fortzusetzen.
Wirksame Reklame.
Einige Harzwirthe leisten in der Ausbeutung der Sommer-
frischler geradezu Erstaunliches. „Da sitzen wir," so schreibt man
der „Volks-Zeitung", „auf der Piazza eines Hotels dicht bei den
rauschenden Wasserfällen. Ein junger Mann, augenscheinlich ein
Engländer, trabt auf einem Eselchen vergnügt und munter über
die Brücke. Harmlos will der Reiter auf der geraden Straße
weiter reiten, als der Ritter Langohr diesen Intentionen zuwider
in kurzem Bogen dem Hotel zujagt. Esel und Reiter gerathen
in einen schweren Konflikt. Der Esel will zum Hotel, der Reiter
geradeaus. Der Kampf zwischen den streitenden Mächten nimmt
gewaltige Dimensionen an. Der Reiter prügelt auf den Esel
los, der Grauschimmel bockt, schlägt aus und prdauz, jetzt fliegt
der Sohn Albions in schlankem Bogen in den Graben . . .
Neben mir steht der Oberkellner und betrachtet das Kampfspiel
mit schadenfrohem Grinsen. Als nun der gestürzte Reiter seinen
Hut aufliest, die Kniee abwischt und fluchend mit dem renitenten
Esel dem Hotel zulenkt, flüstert mein Nachbar mit vertraulichem
Lächeln: ,Den Sturz hätte sich der Herr ersparen können. Auf
dem Esel kommt Keiner beim Hotel vorbei, der nicht absteigt und
etwas verzehrt. Wir haben den Esel an's Futter gewöhnt/"
Kluge Vorsicht erfindungsreicher Wirthe, du beschämst Renz,
Carre und Polski Salamonski.
Norwegische Sitte.
Keinem Mädchen in Norwegen ist es erlaubt, einen „Ge-
liebten" zu haben, Lis sie Brod backen und Strümpfe stricken
kann; eine Folge davon ist, daß jedes Mädchen früher Brod
backen und Strümpfe stricken als lesen und schreiben kann, und
sie braucht in ersterer Beziehung niemals zum Fleiß aufgemuntert
zu werden.
Geheimnißvoll.
In einem Feuilleton über das Leben in den Ostseebädern
illustrirt ein Mitarbeiter der „Station" die höchst ergötzliche
„Mannigfaltigkeit" unter den sich dort aufhaltenden Kurgästen.
So zeichnete sich ein Rentier, dessen Korpulenz sehr lange über
seine Vergangenheit im Unklaren ließ, dadurch aus, daß er,
wenn nicht gerade irgend eine gebratene Flunder zu essen war
oder eine neue Anekdote erzählt wurde, fortwährend das Tuch
an den Röcken der Herren befühlte, an den Aermeln und Schößen
derselben mit Kennerblick zupfte oder auch derb am Kragen
riß, um so dem Schnitte etwas zu Hülfe zu kommen. Dabei
entspann sich dann gewöhnlich das folgende amüsante Gespräch:
„Fertig gekauft?"
„Bitte recht sehr, mein Herr, von meinem Schneider nach
Maß geliefert."
„Einem Schneider in Berlin?"
„In Berlin."
Der Rentier schüttelt den Kopf.
„Sie müssen das meinem Mann nicht übel nehmen," sagte
dann die Frau; „er hat das noch so von früher an sich."

Tapfere Vertkeiäigung.
(Bild S. 29.)


Die Mutterliebe macht selbst schwache und sonst durchaus
nicht mit Waffen versehene Thiere zu gefürchteten und starken
Gegnern. Eine Henne hat schon einem großen Hunde, der auf
ihre Brut zufuhr, die Augen ausgepickt, ein Kaninchen einen
Storch todtgeohrfeigt, und so stellt sich uns auch die Gemse,
welche in ihrem Felsenreviere der Hochalpen von dem furchtbaren
und bösartigen Adler angehalten wird, der es auf ihr Junges
abgesehen hat, als ein dem König der Lüfte ebenbürtiger Gegner
dar. Es nützen ihm seine scharfen Krallen nichts, seine wie
Eisenklammern greifenden Fänge, seine wie Kolbenschläge nieder-
sausenden Flügel, sein Schnabel, der wie scharfgeschliffener Stahl
zerreißt. Es nützt ihm der Vortheil des Angriffs aus der Luft
nichts, denn wohin er sich wendet, überall stellen sich ihm auf
eine ganz wunderbare Weise die kleinen, starken Hörner der Gemse
entgegen, und wenn er im Eifer und in der Wuth, auf solch'
einen unvermutheten Widerstand bei dem harmlosen Thier zu
stoßen, diesen Hörnern zu nahe kommt, schwingt die Gemse wie
toll den Kopf und reißt ihm in das Fleisch hinein, daß die
Federn nur so stieben. Es fragt sich jetzt, wer zuerst ermüdet;
entfliehen kann die arme Mutter nicht, denn es gibt keinen Punkt,
auf welchem sie der Adler nicht erreichen könnte. Ermüdet sie
in dem Kampfe, wird sie sowohl wie ihr Junges die sichere Beute
des starken Räubers. Ihre einzige Aussicht auf einen Sieg be-
ruht darin, daß der immer wüthender werdende Vogel so viel
Verwundungen durch ihre Hörner erhält, daß er aus Blutverlust
den Kampf aufgeben muß. Wir wollen letzter» Ausgang dem
tapfern, lieblich-schönen, harmlosen Thier wünschen.

Kagperke auf äem Dorfe.
(Bild S. 32 und 33.)
Die Kunst geht nach Brod, besonders bei den Künstlern des
Genres, die wir unseren Lesern hier in dem lebenswahren Ge-
mälde des Professors Lasch vorführen. Diese Künstler gehen
dem Brod nach und die Bedürftigkeit ihrer menschlichen Natur
schaut aus den Löchern und den Flicken ihrer Kleider und aus
ihren hungrigen Mienen hervor. Ein breites Lattengestell, mit
gemaltem Kattun überzogen und einem rothen Kattunvorhang
oben versehen, ist ihr Kunsttempel, ihre kunstfertigen Finger haben
sie mit Kopf, Arm und Beinen der „Puppen" bekleidet, und in-
dem sie aus der Tiefe des Theaters den Dialog führen, lassen
sie ihre Finger auf das Eifrigste agiren. Der Inhalt ihrer
Stücke ist meist jammervoll. Unendliche Prügel, die der pfiffige
Kasperle auf ein böses Weib und einen Polizisten oder den leib-
haftigen Teufel niederhageln läßt, sind Anfang und Ende fast
aller Stücke, die auf diesen Theatern aufgeführt werden und die
dennoch seit Jahrhunderten schon besonders ein Publikum von
Kindern und Landleuten ergötzen. Unsere Illustration zeigt solch'
einen wandernden Kunsttempel. Es ist eine ziemlich zahlreiche
Gesellschaft, die von dem Ertrag der Vorstellungen leben will.
Da ist der fast schwindsüchtige, stets halb heisere Mann und
sührt das Kasperle, und sein Leben besteht aus Schreien und
Zanken hinter seiner Leinwand und Zappeln mit den Fingern
oberhalb der kleinen Latte, welche die Bühne ankündigt; sein
schwarzhaariges Weib spricht und führt den Teufel, das böse
Weib oder den Polizisten — es ist nicht nur künstlerisch der stets
geprügelte Theil; in den Zwischenpausen, während Kasperle vor
dem Publikum seine Pfiffigen Plane auskramt, besorgt sie ihr
Kind und ihre Haushaltung, die aus einem Kochtopf und einigen
Brettern besteht. Ein Drehorgelmann hat sich der „Gesellschaft"
angeschlossen, er ist Orchester und seine Tochter Kindsmagd der
schwarzhaarigen Frau; außerdem geht sie mit dem Sammelteller
herum. Das Theater verbirgt kaum das Bild häuslichen Jam-
mers vor den Blicken der Zuschauer, die sich vor dem Kasperle
versammelt haben und dort harmlos und naiv an den derben
Späßen sich ergötzen. Es sind da versammelt die sehr aufmerk-
samen Kinder, für welche der Kasperle ein Ideal von Klugheit
und Komik ist, dann auch junge Bursche mit ihren Liebsten, die
sich ebenfalls an den Schnurren und tölpischen Bewegungen des
hölzernen Schauspielers ergötzen und der Fabel des Stückes mit
heiterer Miene folgen. Etwas weniger günstig sind die Alten
den Künstlern und ihrer Kunst gestimmt, denn sie können das
„Gesindel" nicht leiden und das gegenseitige Geprügel da oben
mahnt sie an mancherlei Erlebnisse, sie müssen aber schließlich
doch über den dummen Teufel und beschränkten Polizisten lachen,
auch gönnen sie dem erzbösen Weib die Prügel. Das Bild ist
reich an charakteristischen Figuren und vortrefflich komponirt.
Unter den „Künstlern" ist der Leiermann, der, erfüllt von Lebens-
noth und Verachtung, doch gespannt auf die Zuschauer sieht,
ganz besonders vortrefflich.

Ein fckwerer Entsckkust.
(Bild S. 36.)
Das ist er wirklich — denn von dem Besitz, Notabene der
guten Qualität eines solchen Eselchens hängt in Spanien sehr
oft die Existenz einer ziemlich großen Familie ab. Dieses Grau-
thierchen soll die Ernährung der Familie übernehmen; es soll
erstens unendliche Kraft im Tragen haben, unendliche Geduld
im Traben, unendliche Ausdauer im Geschäft und außerordentlich
wenig fressen. Es soll mindestens ebenso klug sein als sein Be-
sitzer und dann noch ein ewiges Leben haben, so daß es vom

Großvater auf den Enkel vererbt werden kann als ein Familien-
schatz. Aus diesem Grunde ist der Ankauf solch' eines Wunder-
thieres eine gewichtige Sache. Das Vermögen reicht nur zu einem
Eselchen aus — es wird der gesammte bewegliche Besitz der Fa-
milie in diesen behaarten Leib eingelegt. Der Alte auf unserm
Bilde, welcher sich solch' einen Familienesel anschaffen will, kämpft
daher schwer mit allen möglichen Bedenken, sobald der kritische
Moment gekommen ist, in welchem er sagen soll: st oder no
guioro — ja, oder ich will nicht. Schlägt er das Thier aus, so
kann er möglicherweise sein ganzes zukünftiges Wohl und Wehe
von sich weisen, kauft er das Grauthier und wird er betrogen,
so hat er sich sehr wahrscheinlich ruinirt. Cristoforo Gancho ist
daher heute in der schwierigsten Lage seines Lebens, schwieriger
als damals, wo er sein Weib gewählt; denn was ist bei diesen
Spaniern ein Weib gegen einen Esel. Der alte Pietro Trampa
ist bekannt als ein Schlaukopf und hat das Eselchen in der letz-
ten Zeit auffallend viel im Stall gehalten, auch sein Weib, die
große, braune Corilla, hat schon öfter im Dorfe falsch Geld ge-
wechselt und sieht mit so eigenthümlicher Spannung ihn, den
Cristoforo, an — den Einflüsterungen des Bruders vom Pietro
ist nicht zu trauen, denn dieser spricht scheinbar gegen das Ge-
schäft, indem er eigentlich mit wunderbarer Kunst und List nach
dem Esel lüstern macht. Der Bursche, den man hinaufgesetzt auf
den vielduldenden Rücken des Grauen, ist leicht und ein sehr
guter Bekannter des Eselchens, das er füttert; das will also nicht
viel sagen, wenn ihn das Thier kurze Zeit so mühelos trägt.
Alt sieht der N8no aus, aber alte Esel sind manchmal die besten
ihrer Art — also. . . Den Ausgang dieser spanisch ländlichen
Haupt- und Staatsaktion verräth uns der Maler nicht. — Wir
wollen aber im Interesse des Alten mit der Binde um den Kopf
das Beste hoffen.

Der erste stickunterrickt.
(Bild S. 37.)
Es gibt im Leben der jungen Mädchen mancherlei bedeutungs-
volle Stufen, die sowohl von den betreffenden kleinen Persönchen
selbst als auch in der Familie mit großer Wichtigkeit behandelt
werden. So ist wohl die erste, wenn die junge Dame sich zum
ersten Mal allein den Strumpf anziehen kann — das scheint der
Mutter ein ebenso vielsagender Fortschritt in der Entwickelung,
als die kleine Künstlerin darüber vergnügt ist und gewöhnlich in
ein Triumphgeschrei ausbricht; dann kommt das erste Mal die
gelungene Operation des Zopfflechtens, dann die Schleife binden,
dann die erste Nadel Herumstricken, dann der erste Saum und
schließlich das erste gestickte Blatt. Man könnte diese Punkte als
Marksteine im frühesten Lebenslauf der kleinen Damen annehmen,
und man irrt nicht, wenn man glaubt, daß die Mütter bei allen
diesen Stufen ebenso vergnügt und stolz wie ihre kleinen Eben-
bilder gewesen sind. Unsere Illustration zeigt uns die höchste
Stufe dieser kleinmädchenhaften Fertigkeiten. Emma, das Eben-
bild der Mutter, die bloß von ihrem Vater die etwas spitze Nase
und blonden Haare hat, kann schon ein Taschentuch säumen, so-
gar abnehmen beim Strumpfstricken, auch, wenn sie sich große
Mühe gibt, eine Ferse mit anderthalb Faden stricken, und jetzt
steht sie unmittelbar davor, Plattstich zu lernen. Mama zeigt
ihr mit feiner, kunstgeübter Hand, wie der Faden „übergelegt"
und festgezogen werden muß, wie man es macht, daß es schön
deckt, wie eine Oeffnung umlanguettirt und ausgeschnitten wird,
und wie auf diese Weise ein Lorbeerzweig mit Früchten entsteht.
Emma paßt gewaltig auf, denn ihre Freundin kann schon eng-
lische Stickerei machen und sie möchte doch gerne einmal diese
überraschen und sagen: „Bertha, steh', das hab' ich gestern ge-
macht." Es ist ein liebliches Bild häuslichen Glückes und mütter-
lichen, schönen Waltens, das uns der Maler in diesem der Natur
abgelauschten Stoffe hier kunstvoll vorführt.

Kuäokpk, Kronprinz von Oesterreick-Ungarn.
(Bild S. 40.)
Am 21. August 1858 ist der Kronprinz Rudolph, der voraus-
sichtlich einstige Nachfolger des Kaisers Franz Joseph auf dem
österreichischen Thron, geboren; der Prinz tritt mithin jetzt in
sein achtzehntes Lebensjahr und die Feier der Großjährigkeitser-
klärung findet in diesen Tagen statt. Wir glauben dem Wunsche
vieler unserer Leser entgegenzukommen, wenn wir ein lebenswahres,
gut getroffenes Porträt des österreichischen Thronfolgers bringen
und diesem eine biographische Skizze beifügen. Rudolph (Franz
Joseph Karl), wie der Erzherzog, Erb- und Kronprinz getauft
wurde, erblickte das Licht der Welt in der Nacht des 21. August
1858 im Lustschlosse Laxenburg bei Wien. Für das ebenso
schwierige wie glückvolle Amt des Erziehers und Kammervorstehers
wurde Generalmajor von Latour ausersehen. Alle Personen,
welche dem mit der ganzen Last der Verantwortung und der
ganzen Freude des Erfolges bebürdeten Manne nahe kamen mit
reifem, vorurtheilsfreiem Urtheile, rühmen dessen Klarheit, Ruhe
und Umsichtigkeit, so daß der edle Wissensdrang und die Durch-
bildung des reinen Charakters beim Kronprinzen seinem prinzip-
vollen Wirken ganz entsprechen.
Schon im Anfangsunterrichte, welchen Hofrath v. Becker er-
theilte, ward auf Anschauungsunterricht gesehen, und da dieser an
Objekten aus der Natur anknüpfte, ward beim Kronprinzen eine
Liebe zur Natur entwickelt, welche, gerade im Gegensätze zu den
Hof- und Burg-Stuben, nur von höchstem Werthe und Erfolge
sein kann. Der Kronprinz ist allmälig, von auserlesenen Spezial-
lehrern unterrichtet und mit scharfer Beobachtung begabt, ein
ausgezeichneter Zoologe und Mineraloge geworden, und speziell
in der ornithologischen Disziplin ersterer entwickelt er eine ganz
ungewöhnliche Kenntniß. Der Blick in die Natur, in die mannig-
faltige Bodengestaltung der Ebenen und Berge, mußte sich folge-
richtig erweitern über engere Grenzen, und so drang der strebende
Geist in das Gebiet der Geographie, auf welchem der Kronprinz
sich mit Vorliebe ganz ungewöhnliche Kenntnisse erwarb, so daß
die „geographische Gesellschaft" in Wien ihr Streben dem Kaiser-
sohne nahelegen und seine Protektion dafür zu erbitten denken
konnte. Es ist die Wissenschaft, welcher der Kronprinz sein erstes
Protektorat zuwendete, und im Bereiche dieser ist er zum ersten
Male der hohe Protektor!
 
Annotationen