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10. c^esl. Itnttgatt. ^tziflÄtg vütl Hitn.

Das KaöichLsfräusein.
Erzählung
von
Rudolf Gaumbach.
Die Einöd ist ein langgestrecktes Dorf, welches in einem
grünen Thal am Fuße des Donnersbergs gelegen ist. Letzterem
gegenüber erheben sich die Spitzen des Bielsteins und des
Drachenbergs, und ihre Vorsprünge, deren einer mit den Trüm-
mern einer Burg gekrönt ist, verengen das Thal stellenweise so
sehr, daß der Bach, welcher es durchfließt, sich hin und her
winden muß, um aus der Klemme herauszukommen. Es ist
ein Winkel, wo sich nach dem landläufigen Ausdruck Fuchs und
Hase gute Nacht sagen, und selbst in der
nächsten Stadt wußte man von dem
Ort lange Zeit nicht viel mehr, als daß
er die schmackhaftesten Forellen des Ge-
birgs liefere.
Erst vor einigen Jahren wurde die
Einöd sozusagen entdeckt; es kam näm-
lich ein gelehrter Mann in das Thal,
von dem die Bauern bald heraus hatten,
daß er ein Professor fei. Der Herr Pro-
fessor, Werner war sein Name, kletterte
auf allen Bergen herum, kroch in jede
Höhle, beguckte jeden Stein, grub hie
und da tiefe Löcher in den Boden und
ließ sich Abends Lieder vorsingen und
Geschichten erzählen. Dann reiste er nach
Hause, und als er im folgenden Jahr
wiederkam, brachte er dem Förster Dit-
mar, bei dem er gewohnt, ein Buch
mit, welches er über die Einöd geschrie-
ben hatte.
Kuriose Sachen waren darin zu
lesen; da stand z. B., daß der soge-
nannte Hexentisch auf dem Donnersberg
nichts Anderes, als ein Altar des
Heidengottes Thor gewesen wäre, daß
die Bewohner der Einöd ehemals Men-
schen und Pferde geschlachtet hätten
und dergleichen haarsträubende Dinge
mehr.
Der Förster hatte seine Freude an
dem schnurrigen Zeug, und wenn er
auch nicht Alles glaubte, was der Ver-
fasser behauptete, so gab er sich doch den
Anschein, äußerte ja auch der Herr Pro-
fessor seinerseits nie den gelindesten
Zweifel hinsichtlich der Jagdgeschichten,
welche ihm der Förster auftischte. Den
Bauern der Einöd fiel das Buch nicht
in die Hände, und das war gut, denn
wer weiß, wie sie sich für die üble
Nachrede bedankt haben würden. Und
doch beruhte das, was der Gelehrte
über das Thal geschrieben hatte, größten-
teils auf Wahrheit. Wenn die drei
Berge, die das Thal einschlossen, nur
hätten sprechen wollen, sie würden noch
ganz andere Dinge berichtet haben.
Es war einmal eine Zeit — der
Jllustr. Wclt. XXI's. 10.

Drachenberg meint, es sei erst vorige Woche gewesen — da
waren die Berge noch gar keine Berge, sondern drei kleine,
erbärmliche Inselchen, und rings herum brauste das Wasser,
in welchem dreißig Schuh lange Eidechsen herumplätscherten
und sich gegenseitig auffraßen.
Mit den Jahrtausenden wurden die Inselchen höher und
höher, und die Eidechsen machten anderen,-zierlicheren Geschöpfen
Platz, .wie Nashörnern und Elephanten, welche die Palmen
und Farren des Bielsteins abwaideten.
Wieder etwas später, als die Berge schon recht ansehnliche
Bursche geworden waren, hausten unten im Thal kleine, dick-
köpfige Menschenkinder. Sie bauten sich Hütten mitten irfis
Wasser hinein und eröffneten den Krieg gegen die Torfschweine,
Bären und Riesenhirsche. Hei, wie schmetterten die Steinbeile
auf die Schädel der Bestien nieder, wie krachten die arms-

dicken Knochen der Bären zwischen den Kinnladen der Pfahl-
bauern!
Vorbei, vorbei! -— Die plattköpfigen Männer verschwan-
den, und ein neues, hochgewachsenes Geschlecht mit Hellen Au-
gen tobte durch die Urwälder. Zischend flog der Wurfspieß in
die Weichen des grimmen Schelchs und des Wisents, und aus
den Hörnern des letztem tranken die wilden Jäger am Feier-
abend schlechtes Bier. Damals wurde der Altar auf dem
Donnersberg aufgerichtet, und in der Zwergenhöhle am Biel-
stein wohnte ein gelbhaariges Weib, vor dem die wilden Be-
wohner des Thales die Kniee beugten. In den heiligen Nächten
rauchten die Opferaltäre von Blut, und dann zogen hoch über
die Scheitel der Berge auf donnerndem Wagen die Äsen, labten
sich am aufsteigenden Duft und segneten das nebelige Land.
Das ging so eine Zeitlang fort. Eines Tages erschienen
in dem Thal anders redende Männer.
Ihr Haupt und ihre Brust waren in
Erz gehüllt, und Adler wurden vor ihnen
hergetragen, die blinkten im Sonnen-
licht. Sie geberdeten sich wie die Herren
des Landes und zwangen die Einwoh-
ner zu hartem Dienst. Ueber den Rücken
des Gebirgs hinweg bauten sie eine
steinerne Straße und die Flüsse und
Bäche überspannten sie mit hochbogigen
Brücken. Immer neue Schaaren der
Fremdlinge rückten nach, und die starken,
blauäugigen Männer mußten den klu-
gen'Eindringlingen, die von Mittag
gekommen waren, dienen — bis sich
eines Tags die Knechte erhoben und ihre
Zwingherren bis aus den letzten Mann
abschlachteten.
Dann wurde der Spieß umgekehrt;
die Bewohner des Thales zogen mit
Mann und Maus, Kind und Kegel
gen Mittag und suchten ihre ehemaligen
Unterdrücker im eigenen Land auf.
Sie verheerten ihre Felder, verbrann-
ten ihre Städte und zertrümmerten
mit der Streitäxt ihre schönen wei-
ßen Götterbilder. Keinen von Denen,
die ausgezogen waren, sahen die
alten Berge wieder, dafür aber rückten
andere Männer nach und hausten in
den Schluchten und Wäldern wie
ihre Vorgänger lange, lange Jahre
hindurch.
Wieder kamen Fremdlinge in's Land.
Dießmäl aber trugen die Ankömmlinge
kein Erz auf der Brust, sondern lang
wallende Gewänder und statt der
Schwerter Kreuze in den Händen. Und
die Fremden legten die Axt an die Eiche
des Thor und verkündeten einen neuen
Gott. Grollend verließen die Äsen ihre
Heimstatt und die starken Männer beug-
ten sich in Demuth vor dem Kreuz,
welches die Fremden ausrichteten. Andere
kamen nach, wiesen ein Pergament vor
und bauten am Fuß des Bielsteins ein
steinernes Haus mit einem Thurm, da-
rinnen hing eine Glocke. Und sie
zwangen die Ansässigen, von jedem
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Letzte Hülfe. Nach dem Gemälde von M. Ebersberger. (S. 259.)
 
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