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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 50.1902

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.56970#0040
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Ankev geworfen!
Roman
von
K. Wecy.
(Fortsetzung.)
ina hat über die Riesenschornsteine der Schiffe
rechts nnd links hingesehen, die Flaggen ge-
mustert, die Signale vernommen — fort können
mit solch einem Fahrzeug, allein in die Weite,
oder untertauchen in das Menschengewühl da, sich selber
finden, unabhängig sein. Einen Augenblick denkt sie, daß
sie doch etwas hätte, auf das sie sich verlassen könnte,
das ihr Freiheit verspräche — ihre Musik, ihre Geige.
Und wenn's nur die Freiheit einer kleinen Musiklehrerin
in der großen Stadt drüben wäre.
Ihr wird jede Unbequemlichkeit erspart, und doch
möchte sie mit der kleinen deutschen Pfarrerstochtertauschen,
die rotbackig und blondhaarig und frisch aus Württem-
berg kommt, das kinderreiche Elternhaus zu erleichtern,
den Kampf für die Existenz mutig auf die eignen Schul-
tern nehmend. Sie hat mit ihr, die in der zweiten
Klasse reiste, hie und da über die trennende Schranke
hin ein paar Worte gewechselt, nachdem sie gesehen, wie
das junge Ding die Zudringlichkeit eines Dandy aus der
ersten vornehm abgewehrt.
Da steht Fräulein Müller vor ihr.
„Ich möchte Ihnen Gutes wünschen," sagt sie mit
einem Lächeln.
„Ich Ihnen Mut und Glück!"
„Danke! Ich bin nicht einmal aufgeregt. Ich habe
es mir viel schlimmer gedacht, in einem fremden Weltteil
anzukommen."
„Können wir nichts für Sie thun? Soll unser Diener
Sie nicht bis zur Ferry begleiten, dem Trajektschiff?"
„O nein. Ich muß selber fertig werden, das würde
sonst einen hilflosen Eindruck machen. Sehen Sie, ich
habe ein blaues Tuch am Arm, nach dem wird die Vor-
steherin des Instituts schon ausschauen. Sie holt mich ab."
Und noch ein Nicken und Lächeln, und die blonde
kleine Schwäbin verschwindet in dem Gewoge, das sich die
Brücke hinabwälzt, der Halle zu.
„Ah, Herr Kapitan!"
Broesen ist langsam näher gekommen und steht jetzt
neben ihr, kein Wort sprechend, er sieht sie nur an. Und
ihr ist ganz seltsam unter diesem Blick. Ein paar Sekun-
den ist sie auch still, dann sagt sie:
„Schmerzt Ihr Handgelenk nicht? Sie haben so viel
sballo Iiaiuls bekommen!"
Er lächelt, nnd sie betrachtet die Form seines Mundes;
wie weich die ist, wie edel — Lippen, die sich wohl nie
zu einer Lüge geöffnet haben.
„O," meint er, „das wiederholt sich auf jeder Reise und
bei jedem Kapitän. Bei der Ankunft sind die Leute immer
dankbar — die Gefahr ist hinter ihnen."
„Es ist groß und schwer, die Verantwortung für so
viel Menschenleben zu tragen. Das ist's, was Sie ernst
gemacht hat, nicht wahr?"
„Vielleicht — ja, das mit."
„Man nennt Sie doch den glücklichen Kapitän!"
„Das wissen Sie?"
„Mein Vater —"
„Man nennt mich so. Die Kollegen, weil ich früh in
Jllustr. Welt. IS02. L.




Weckruf von oben. Nach dem Gemälde von T. E. Rosenthal.
S
 
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