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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 50.1902

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.56970#0066
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Anker geworfen!
Roman
von
K. Wety.
(Fortsetzung.)
„Jmperatrix" liegt
unter Dampf.
Ein buntes Leben
ist im Zollgebäude.
Koffer werden getragen, Men-
schen drängen sich, auf der
Schiffsbrücke Kopf an Kopf,
Schulter an Schulter, Flaggen
wehen; so oft eine „angesehene
Persönlichkeit" mit ihrer Um-
gebung, mitreisender Familie,
abschiednehmenden Freunden er-
scheint, erklingt Musik. Ameri-
kanische Hymne, „Deutschland
über alles," Märsche, Tänze,
Tusch wechseln ab. In einer
Stunde soll das Prachtschiff
seinen Kurs gen Süden nehmen.
Spiegelblank geputzt, mit fri-
schem Anstrich nachgeholfen,
liegt es da, die Mannschaft aus
ihrem Posten in der besten Gar-
nitur, der Kommandant mit
seinem Stabe zur Begrüßung
sür die Kommenden bereit —
ein schwimmendes Ozeanhotel.
Wer denkt an Gefahren? Das
Schneetreiben in den Straßen
war ein mächtiges gewesen, mit
allen Schaufeln und Besen wur-
den die wachstuchbekleideten
Straßenreiniger der Berge und
Hügel nicht Herr; der Zentral-
park glitzerte von Schnee und
Eis, an allen Dächern Eis-
zapfen, schwimmende Schollen
im Hafen.
Unter der Menge, die auf
dem Promenadendeck auf und
ab wogt, befinden sich auch viele
Zeitungsleute, sie interviewen
die Amerikaner, sie schreiben
die Aussprüche der Deutschen
nieder, beobachten Begrüßungen
und Abschiedsscenen. Zeichner
sind da, die Gruppen festzu-
halten — ein buntes, bewegtes
Durcheinander in frischem Win-
terfrost. Auf die Jmperatrix
sind Stöße von allen möglichen
amerikanischen und deutschen
Zeitnngen getragen worden, in
denen lang und breit und wahr
und unwahr mit hundert phan-
tastischen Zuthaten dieBegeben-
Sllustr. Welt. IS02. 3.

Kaiserin Friedrich ff.


heit am Riverside geschildert ist.
Wie neidisch Doktor Wander
das liest. Fürst Borodowsky
sieht noch blasser und dadurch
noch unbedeutender als sonst
aus. Da ist auch der drollige
Monsieur Pierre-Pierre mit
einem Maiblümchenstrauß; er
rollt seine großen Augen, bis
er die von ihm angebetete Frau
erblickt, und stürzt dann aus
sie zu. „Ihre Lieblingsblumen,
Sie sagten es einmal bei Tische."
Regina dankt ihm mit einem
Lächeln, und der Mulatte tritt
zurück; er strahlt.
Madame Selmine mit ihrer
schönen Tochter erscheint, und
hinter ihnen Mr. Croßly, so
ruhig, gemessen, wie er in
Hamburg das Schiff betreten
hat. Eine ganze Parfümwolke
entströmt den Gewändern der
Kreolinnen. Drei Reporter
lassen sich zugleich den „Schön-
heiten von Martinique" vor-
stellen. Vier Zeichner stürzen
sich auf den Baron Hellmers,
er verweigert eine Pose, auch
seine Tochter ist in ihre Luxus-
kabine verschwunden, um nicht
zum'Opfer zu fallen.
„Begnügen Sie sich mit
meinem Schwiegersohn, dem
Fürsten," sagt Hellmers, „er
wird sich gut in Ihren Blättern
ausnehmen. Aristokrat Tip —
top!"
Und der Fürst wird mit
und ohne Wappen, nachdem man
sich genau erkundigt, eingefangen
für New Horker Journale. Er
zeigt eine herablassende Geduld.
Dann kommt ein weit und
breit bekannter Sportsman
mit seiner schönen, höchst kost-
bar und auffallend gekleideten
Frau. Ihre rotgefärbten Haare
schimmern. Ein Schwarm von
Freunden begleitet den glück-
lichen Besitzer stets gewinnender
Pferde, auch seine Trainer
stehen drüben an den Fenstern
des Zollgebäudes, um ihm einige
Hurras nachzurufen. Reverends
tauchen auf, einzelne ältere
Damen, man zeigt den Bäcker-
könig von New 2)ork, einen
Deutschen, der Erfindungen an
Backöfen gemacht hat — die
Patente brachten ihm Millionen.
Als armer, in der Heimat be-
schäftigungsloser Geselle ist er
in die Neue Welt gekommen.
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