Heimweh.
Roman
von
Weinhold Hrtmann.
Elftes Kapitel.
seidenknisternder Gesellschaftstoilette
und mit einem kleinen Vermögen in
Brillanten und Smaragden besteckt,
war Frau Flemming eben aus ihrem
Ankleidezimmer getreten, als das Hausmäd-
chen ihr einen Besucher meldete.
„Ein Herr Langhammer wünscht die gnä-
dige Frau in wichtiger Angelegenheit zu
sprechen."
„Was fällt Ihnen ein?" fuhr die Herrin
sie ungehalten an. „Sie wissen doch, daß wir
eben im Begriff sind, auszugehen. Wie kann
ich mich da sprechen lassen — obendrein von
einem wildfremden Menschen, dessen Namen
ich noch nie gehört habe! Wie sieht er denn
aus?"
„Nicht gerade sehr vertrauenerweckend,
gnädige Frau! Ein ältlicher, magerer Mensch
in einem Anzug wie aus dem vorigen Jahr-
hundert."
„Eine Bettelei — natürlich! Und ich habe
Ihnen so oft gesagt, daß Sie solche Leute
ein für allemal abweisen sollen. Also erklären
Sie ihm, es sei niemand zu sprechen, und er
müßte mir seine wichtige Angelegenheit
schriftlich mitteilen."
Die Dienerin ging, aber nach Verlauf
einiger Minuten kehrte sie mit sehr verlegener
Miene zurück.
„Der sonderbare Mensch läßt sich durch-
aus nicht abweisen, gnädige Frau! Er wäre
der Bureauvorsteher von dem verstorbenen
Rechtsanwalt Dallwig, sagt er, und es han-
delte sich um eine Sache, die nicht brieflich
abgemacht werden könnte."
Frau Flemming kniff die Lippen zusam-
men und schien eine Sekunde lang unschlüssig.
Dann fragte sie:
„Ist meine Tochter schon angekleidet?"
„Die Friseurin ist eben erst gekommen,
und vor einer halben Stunde wird das
gnädige Fräulein schwerlich fertig sein."
„Nun gut! Dann führen Sie den hart-
näckigen Menschen meinetwegen in den blauen
Salon."
Sie wartete noch ein paar Minuten, ehe
sie sich anschickte', ebenfalls dahin zu gehen.
Mit einem raschen, prüfenden Blick überflog
sie von der Schwelle aus die hagere, in sich
zusammengesnnkene Gestalt des Unbekannten,
der sie inmitten des luxuriösen Gemaches
erwartete, den Hut in der Hand und ganz in
der Haltung eines demütigen Bittstellers.
„Sie wünschen, mein Herr ?"
Der hochmütige Klang ihrer Stimme schien
ihn aus tiefem Nachdenken aufzuschrecken. Er
machte ihr eine linkische Verbeugung und
JLustr. Wen. 1902. 20.
suchte verlegen nach Worten. „Ich — ich bitte um Ent-
schuldigung, wenn ich ungelegen komme, aber eine — eine
Sache von Wichtigkeit — ich war nämlich bis zu seinem
Tode der Bureauvorsteher des Doktor Hallwig — und —
und —"
„Das sagten Sie schon meinem Mädchen. Und ich
möchte Sie bitten, sich möglichst kurz zu fassen, denn ich
bin in der That sehr Pressiert."
Hartwig Langhammer zerdrückte die Krempe seines
Hutes zwischen den Fingern, und dann wurde er plötzlich
Im Versteck. Nach dem Gemälde von F. Schlesinger.
60