Ankev geworfen!
Roman
von
K. -Wecy.
(Schluß.)
llgemach rüstet man zur Abfahrt; Boote kommen,
die Barkassen werden hochgenommen, Tages-
helle ist auf dem Schiff, Licht in allen Kabinen.
Vom Strande her bietet das Schiff natürlich
einen großartigen Anblick — ob man von dem Hotel
wohl herübersieht?
„Wie das den Franzosen da imponieren wird!"
hat der erste Offizier gesagt.
Er saßt nach seinem Kops. „Sarn, ich bin so ein
wenig — nein, ich komme doch gleich auf die Brücke."
„Zu Befehl, Herr Kapitän!"
Das Ankerheben kommandiert der erste Offizier,
schon knarrt die gewaltige Kette,
da gleitet noch ein Boot heran, aus
dem Zeichen gegeben werden. Man
läßt die Treppe noch einmal her-
unter.
Broesen kümmert sich nicht darnm,
wer sich verspätet hat, ist's jemand
von der Besatzung, der auf Urlaub
war, giebt's Strafe. Ist's ein
Passagier — bah, sie hatten ihn
ruhig diesmal sitzen lassen sollen.
Mögen auspassen, dieseLandratten...
Der Anker ist hoch, das Signal
gegeben, die Schraube dreht sich,
langsam verläßt die Jmperatrix den
Hasen von Fort de France. Im
Lichtglanz die Stadt, noch eine
Weile die Konturen der Berge er-
kennbar, die Seezeichen am Hafen.
Vom Krähennest klingen die Mel-
dungen der Wache, die Schiffsuhr
glast — der Helle Glanz des Schein-
werfers leuchtet über die rauschende
Flut.
Der dienstthuende Offizier mel-
det sich aus der Kommandobrücke,
Broesen geht hinunter. Wie er den
Vorhang seiner Kabine lüstet, sieht
er eine weibliche Gestalt auf dem
Sofa kauern, sie trägt die National-
kleidung der Frauen von Martinique,
das schwarze Kleid, das weiße
Brusttuch, den buntfarbigen Turban.
Eh' er stutzend zurückfahren, fra-
gen kann, wendet sie ihm das Ge-
sicht zu — „Regina Hellmers!"
Er hat es laut gesagt.
„Ja, ich — in dieser Maske-
rade . . ." kommt es von ihren
Lippen, und sie schnellt empor.
„Aber nicht, um Sie zu fragen,
ob sie mir steht, bin ich da, Kapitän
Broesen" — und sie blickt ihn mit
flammenden Augen an —, „sondern
Jllustr. Wett. ISVL. S.
auf der Flucht, eine Unglückliche, die Sie nicht zurück-
weisen werden, dürfen!"
Er sieht sie wieder, an die er soeben da oben auf
der Brücke mit Schmerz und Hoffnungslosigkeit gedacht,
und die kleine Hand streckt sich nach ihm aus. Ganz
nahe ist er der schlanken Gestalt, ganz nahe. Und die
zitternde, weiche Stimme schlägt an sein Ohr, bittend,
seine Hilfe heischend, „eine Unglückliche".
Was er jetzt möchte, in diesem Augenblick — seine
breite Brust hebt sich, wie erlösend frei geht sein Atem,
auch in seinen Blicken flammt es; aber nur eine Se-
kunde vergißt er Himmel und Erde, Meer und Land,
und weiß nur, daß sie und er auf der Welt sind —
ganz allein; nicht so lange dauert das an, daß er eine
Bewegung aus sie zu machen, die kleinen Finger er-
greifen kann.
Nur straffer, männlicher als sonst wird seine j
Haltung.
„Frau Fürstin!"
Sie versteht ihn sofort. „Ah, Ihre Pflicht, wollen
Sie sagen?" ruft sie, fassungslos. „Ihre Pflicht wird
es sein, nicht wahr? Noch sind wir ja nicht allzu
weit von der Insel, eine kleine, schnell einzuholende
Verspätung — Ihre Pflicht, Herr Kapitän Broesen,
mich jenen beiden Leuten auszuliefern, wovon der eine
mich lachend, einer Grille halber, verkauft, um sich an
dem Experiment zu ergötzen, und der andre mich er-
kaufte und nun Anspruch auf seine Ware hat —"
„Fürstin!"
„Als Sie eintraten, nannten Sie mich Regina
Hellmers — das bin ich. Und die sagt Ihnen, lebend
bekommt mich der da drüben nicht in seine Gewalt!"
„Sie —"
Beide Hände streckt sie abwehrend aus. „Wollen
Sie weniger Mitleid zeigen als Madame Selmine,
deren Sympathien ich mich wirklich nicht rühmen
konnte?" Sie lacht scharf auf. „Und zu ihr bin ich
hilfesuchend gekommen, und sie hat mich verstanden
und mir zur Flucht Verholfen. Es hat sie erbarmt."
Ihre Zähne schlagen hörbar auseinander, ein
Schauder geht über ihren Körper hin.
Sie verhüllt ihr Gesicht, sich gegen die Kissen
beugend, es kommt alles, was sie
erlebte, ihr wieder vor Augen.
Sie sieht die blumengeschmückten
Räume in dem Hotel, so viel
Rosen, Purpurblüten und ein be-
täubender Duft, der den Atem be-
klemmt, und vom Spiegel herüber
ihr Bild, schlank, weiß, ein Aus-
druck in den Zügen, der sie selber
befremdet. Und von unten her-
auf klangen lustige Klavierweisen,
Tänze; ihr Vater spielte und sang
jene kleinen frivolen französischen
Lieder, die er so sehr liebte. Sie
hat es nicht mehr mit anhören
können, mit ansehen mögen, wie er
den amerikanischen Bäcker betrunken
macht. Jede ihrer Bewegungen
wurde von dem Fürsten bewacht;
trat sie an die offene Thür, war er
neben ihr, unter halb geschlossenen
Lidern glühten seine Augen sie an.
Sie mußte den Blick mit den Wolfs-
augen in seiner verschneiten Heimat
vergleichen — so lauerten dort wohl
die Raubtiere in Wintersnacht auf
ihre Beute, sie umschleichend, immer
näher, immer näher.
Spielend nahm er ihr ein Obst-
messer aus der Hand. „Das ist
nichts für Ihre schlanken Finger,
Madame! Ich möchte jede Steck-
nadel aus Ihrer Nähe entfernt
wissen, aus Furcht, Sie könnten sich
daran ritzen."
Ohne ihm zu antworten, ist sie
aufgestanden. Er folgte ihr, bot
ihr angesichts der Fremdengruppe
in der Halle den Arm, und auto-
matenhaft stieg sie an seiner Seite
die mattenbelegten Stufen hinauf.
Aus den zischelnden Lauten da
unten hörte sie: „Ungranä Seigneur
— a beautikul vornan!"
15
Mac Kinley, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ch.