Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 50.1902

DOI Heft:
Heft 4
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56970#0093
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Fürst Borodowsky läßt sich die Zimmer zeigen
von dem Direktor des Hotels, und Baron Hellmers
unterhält sich mit der Frau, einer ganz weiß gekleideten
Pariserin, die sich hier, entfernt von ihrer belle k'raveo,
nur „halb lebend" erklärt.
„Wissen Sie, man muß sein Vermögen machen
und dann zurückgehen. Eine Kreolin hätte mein Anatole
nicht gebrauchen können. O, diese Frauen hier! Sie
liegen den ganzen Tag im Schaukelstuhl! Die sind
keine Wirtinnen, die nicht."
Dann taucht Cäsar aus als Führer nach der Villa
„Paradies".
Ein paar Straßen, rechts, links einbiegend, an
einer Kirche vorüber, aus der viel Frauen kommen,
umschwärmt von einem Hausen Bettler jeden Alters
und Geschlechts, von denen man sich erst mit einigen
Geldstücken loskaufen kann, dann eine Anhöhe hinauf,
und man hat ein Häuschen mit grünen Jalousien und
rotem Dach erreicht.
"Voilä!" sagt Cäsar, die kleine Holzthür des Gartens
aufstoßend; über den Zaun neigen sich tropische Ge-
wächse in bunter Fülle, wild und üppig. Keine ordnende
Hand hat eingegrisfen, die Wege sind kaum abgegrenzt,
einige Steinvasen stehen, andre liegen, hier ist eine
Bank in Trümmer gefallen, dort lehnt ein Tisch gegen
einen Baum. Ein großer Kater sitzt auf einem Postament,
neben dem ein zerbrochener gipsener Amor liegt, und
sieht mit den grünen, blitzenden Augen unbeweglich
herüber. Vor der Hausthür, die offen ist, schwingt
sich an einer Kette ein schreiender Arras, und neben
ihm steht Madame Selmine, bereits umgekleidet.
„Willkommen! Sie sehen, mein kleines Paradies
ist ein wenig verwahrlost. Aber — das ist West-
indien; wir haben keine europäische Kultur und kein
amerikanisches Geld, wir Kreolen."
Sie reicht allen die Hände. In der Halle liegt
Rosette in ihrem Schaukelstuhl, und Mr. Croßly bewegt
einen Fächer über ihreni Haupt. Ein kleiner Salon und
ein Speisezimmer stoßen rechts und links an, gering
möbliert, Rohrschaukelstühle, ein paar bunte Bilder,
einige Tische mit Marmorplatten, die Sprünge zeigen,
ein großes und schlechtes Oelbild der Kreolin, das sie
in früher Jugend darstellt, Granatblüten in den schwar-
zen Haaren und einen Blumenkorb in den Händen.
„Ein französischer Maler — er war sehr in mich
verliebt. Er würde gewiß berühmt geworden sein; er-
starb, seine Mutter schrieb, er habe seine unglückliche
Liebe zu mir nicht überwunden. Uauvro llommo!"
Sehr wertlose Nippes stehen auf einem Seitentisch,
blaue Glasvasen, ein Spiegel hat einen gewaltigen Riß,
die Vorhänge an dem einen Fenster sind sehr lange
nicht gewaschen, das andre besitzt gar keine.
„Und diese Grausamkeit, die Liebenden unerhört
zu lassen, haben Sie sich nicht abgewöhnt?" fragt der
deutsche Baron.
Sie schlägt mit dem Fächer nach ihm. „Sie sind
ein unverbesserlicher Spötter!"
Im Eßzimmer serviert Belise Früchte, Mandelmilch
und Orangeade — es ist ein Gemisch von Gläsern,
Tassen und Tellern, nicht drei übereinstimmend. Das
Prachtstück bildet ein Silberkorb, dem ein Fuß fehlt.
Madame Selmine macht auf die Punka aufmerksam,
den Riesensächer über dem Tisch. „Den haben nicht
viele. Ein englischer Freund ließ ihn mir machen.
Zwei Menschen müssen ihn ziehen — es ist ein wenig
umständlich."
Sre lobt ein heimatliches Getränk, eine Mischung
von Fruchtsast, und blinzelt Hellmers an.
„So haben Sie sich mein Heim wohl nicht ge-
dacht ?"
„O doch — gerade so!"
„Warum gerade so?" fragt sie, und es ist ein
leises Vibrieren ihrer Nasenflügel sichtbar.
„Weil — ich ein Menschenkenner bin, Madame.
O, ein guter. Bedenken Sie, welche Praxis ich hinter
mir habe."
„Sie sind immer so tiefsinnig, das ist deutsche Art,
und ich bin unglücklich, mein Heim findet keine Gnade
vor Ihnen!"
Mademoiselle Rosette lächelt ihrem Verlobten zu.
„Mir ist das gleich, ob Ihnen,Le Paradis' gefällt
oder nicht — ich seh's für eine Hölle an, aus der Sie
mich befreien werden. Und je schneller, je besser!"
„luckoock!" sagt er.
Einige Wagen fahren vor; man will einen Ausflug
in die Umgegend machen. Es sind fragliche Gespanne,
aber es giebt keine besseren, schwört Cäsar. So ver-
teilt man sich. Ehe Fürst Borodowsky es ändern kann,
hat Regina dem New Aorker Bäcker den Platz an ihrer
Seite angeboten; will er in ihrer Nähe bleiben, so
muß er den Sitz neben dem Kutscher nehmen.
Die Verlobten fahren zusammen, und Madame
Selmine mit dem Baron. Es geht einem der herr-
lichen Aussichtspunkte zu, unter der köstlichsten Vege-
tation hin, einem Grün, das leuchtet, Rot, das glüht,
Palmen, die stolz dastehen; aber schwül ist die Lust,
kein frischer Hauch, der fächelt, die Sonne brennt heiß,
die Lider schmerzen.

Illustrierte Welt.

Wenn Serafine Selmine ihre Insel lobt, stimmt
Hellmers bei, und jedesmal fügt er hinzu: „Und wie
wird mir Ihr Bild in dieser leuchtenden Farbenpracht
in der Erinnerung bleiben, wenn ich im Schnee und
Eis des Nordens bin!" Und immer zuckt es dann um
den kleinen, schwellenden Mund und senkt sie die Blicke.
„Das ist aber merkwürdig!" sagt Aumüller, so oft
ihm ein Strauch, ein Baum, ein rankendes Gewächs,
eine hochstrebende Palme auffallen: „Das ist aber
merkwürdig!"
Ein ganz leichter Sprühregen, heiß und fein, trifft
die Fahrenden, es ist, als ob in einem Treibhaus eine
Sprengung vorgenommen werde. Einem großen, un-
bedachten Treibhaus gleicht das alles hier mit der
feuchten, beklemmenden Wärme.
Mr. Croßly läßt das schöne Mädchen an seiner
Seite Zukunftsbilder malen, sie macht ihn mit dem
Geschmack bekannt, in welchem sie ihre Villa am
Zentralpark, ihr zukünftiges Heim, eingerichtet zu haben
wünscht.
„llüno tasw, inäoeä!" sagt er.
Dann rollt man dem „Hotel de Paris" wieder zu.
Madame Selmine macht die Fürstin auf die turban-
artige Kopfbedeckung der vorübergehenden Frauen auf-
merksam. „Wir legen sie auch gern an, es schmeichelt
so. Und wissen Sie, daß Josephine sie in Frankreich
einführte als Frau des ersten Konsuls? Und daß alle
Damen den Turban nachahmten? Er war kostbar, und
wenn man ihn mit Brillanten schmückt" — sie fuchtelt
mit den kleinen Händen in der Luft herum — „Sie
müssen mir einmal nachher erlauben. Sie a la Mar-
tinique zu eoiffieren!"
In dem weißen, sehr nüchternen Speisesaal des
Hotels mit den halberblindeten Goldleisten ist die Tafel
gedeckt.
„Sie werden an Paris erinnert werden!" beteuert
Monsieur Anatole Caille.
Baron Hellmers lobt alles, am meisten diese köst-
liche Insel Martinique, die unvergleichliche Heimat
der unvergleichlichen Madame Selmine. Und er stößt
mit ihr daraus an, daß sie ihn, den ruhelosen Globe-
trotter, nicht vergessen wird.
inonmour!" sagt sie, aber sie lacht nicht mehr.
Ihr Gesicht ist wie verdunkelt.
„Mich, der sich wahrscheinlich wieder von alten
Schlingen einfangen lassen wird. Denken Sie an mich,
Madame! Meine erste Frau! On roviont toujours.
Wir werden alt, wir werden sanft. Ich ahne, daß es
auch der Mutter der Fürstin Borodowsky so gehen
wird. Und sehen Sie, wenn meine Tochter Regina
uns erst zu Großeltern gemacht haben wird, dann ist
es doch am Ende notwendig, daß wir der Welt ein
Bild von glückseliger Harmonie geben. Kleine Prinzen
und Prinzessinnen Borodowsky, gnädige Frau! Ich
bitte, stoßen Sie an! — Stas, dein Wahrspruch ist:
,Jch warte!' — Nun Wohl, ich warte!"
Madame Selmines Gesichtsfarbe geht ins Grün-
liche über, sie schlägt ihr Sektglas mit solcher Wucht
gegen das des Barons, daß es zerbricht.
„Ah, das ist Glück!" sagt Hellmers, „was, Au-
müller ?"
Ein kleiner brauner Bursche, ein übers Meer ge-
kommener Savoyarde, steht vor der Thür und singt:
„Illg, bette, mu bruns,
cke t'utms, je t'aime —"
und Fürst Borodowsky wirst ihm ein Geldstück zu.
„Weiter, mein Junge, weiter!"
„O, diese Männer!" zischt Madame Selmine zwi-
schen den Zähnen hin.
Der Junge kann nicht viel mehr, er beginnt wieder:
»tUa bette, nm brune!-'
„Ennuyant!" stöhnt die Kreolin.
„Sehr hübsch!" sagt der Fürst und sieht nach
Regina hinüber, „lle t'aiiuo!«
Monsieur Caille giebt dem Burschen einen leichten
Puff. „Mach Platz!"
Einige herkulische Neger kommen mit großen Gepäck-
stücken und legen sie vor der Thür ab.
„Was ist denn das?" fragt Hellmers. „Ich glaube
gar, das sind —"
„Ja!" fällt Borodowsky ein, „ich habe es an-
geordnet. Ich will hier einige Zeit bleiben."
„Altesse sind mit den Zimmern in dem ersten Stock
sehr zufrieden, außerordentlich zufrieden!" sagt Mon-
sieur Caille mit einer Verbeugung.
„Ja, aber!" Hellmers hält sich die Seiten, so muß
er lachen. „Mein lieber Stas — so so! Verstehe end-
lich, endlich! Sie sind des ewigen Fahrens müde —
hahaha! Also, gut. Mir gefällt das Selbstbestimmungs-
recht, das Sie plötzlich entwickeln." Und er reicht dem
Polen die Hand hinüber.
„Und was mich anbetrifft —"
„O," sagt Borodowsky, „darüber erwartet man
noch Ihre Befehle. Vor Mitternacht geht die Jm-
Peratrix nicht ab."
„Dann schleunigst! Warum soll man nicht hier
einige Tage verbummeln, hier oder wo anders? Aber
Sie, Franz Ludwig Aumüller, mein neuer Freund,

79

Sie müssen auch noch bleiben. Schreiben Sie dem
guten dicken Günz drüben, daß man Ihre Koffer
schickt."
„Kann ich ja auch!" ist die gleichmütige Antwort.
„Die Kammerfrau der Fürstin kommt noch mit
den letzten Sachen herüber," sagt Borodowsky.
Erst hat Regina nicht auf' die Bemerkungen der
Herren geachtet; neben Madame Selmine stehend, läßt
sie sich den Namen eines rot-grün blühenden Strauches
nennen, dann begreift sie endlich, und jeder Bluts-
tropfen weicht aus ihrem Gesicht.
„Fürst Borodowsky, Sie sagten da soeben — ich
habe wohl nicht recht verstanden —"
„Daß natürlich auch Ihre Kammerfrau herüber-
kommt, da wir hier bleiben —"
„Sie — bestimmten das, ohne jede Frage, ohne
jede Andeutung, ob auch mir
„Mit dem mir zustehenden Reckt, allerdings."
Sie wendet den Kopf nach der Richtung zum Meer-
Hin, das von hier nicht sichtbar ist.
„Das — kann ja doch nicht möglich — sein —"
Fast stammelnd kommt es über ihre zitternden Lippen.
Und sie hätte beinah laut hinaus gerufen, was sie
denkt, was sie durchzuckt: Die Jmperatrix soll fort-
fahren und ich hier dem Menschen überliefert sein,
der einen Handelsvertrag mit meinem Vater schloß...
„Nicht möglich!" sagt sie noch einmal, und beide
Hände wie abwehrend von sich streckend: „Warum
sagten Sie das nicht — drüben?"
Ein leises Lächeln zuckt um seine Lippen: „Warum
sollt' ich Ihnen und mir den Abschied von dem schönen
Schiff schwer machen? Es fiel mir auch erst ganz zu-
letzt ein, als unsre Barkassen schon in Bewegung waren.
Man wird des steten Fahrens müde — und es ist
hübsch hier."
„Wahrhaftig," fällt Hellmers ein, „und dazu eine
originelle Idee! der arme Fürst. Er hatte sich am
Niagara genug Kälte geholt. Daß er's mit einem
wärmeren Klima versuchen will, ist ihm am Ende nicht
zu verdenken. Hahaha! Ja, mein Kind, auch du mußt
lernen, trotz aller Emanzipationsgedanken, daß der
Mann das Haupt ist. Kommen Sie, Stas, zeigen Sie
mir den Platz, wo ich meine teure Persönlichkeit unter-
bringen soll, und Ludwig Franz —"
Fürst Borodowsky kommt aber nicht sogleich der
Weisung, die wie ein Befehl mit Hellmers scharfer
Stimme klingt, nach, er tritt erst zu Regina heran.
„Verzeihen Sie die kleine Gewaltthätigkeit, Fürstin,
ich denke, es kommt eine Zeit, wo wir sie beide nicht
mehr so tragisch nehmen. Wo ich über meine Eifer-
sucht lache, und Sie —"
Sie reißt die Augen weit auf.
„Eifersucht, sagen Sie! Ah!" Dann schüttelt sie
sich. „Meinen Sie damit —"
„Alle andern, die Sie sehen, denen Sie die Hand
reichen. Regina, ich leide —"
Von oben bis unten mißt sie seine kleine Gestalt,
dann dreht sie sich um und sagt zu Madame Selmine:
„Ich möchte dort hinauf. Wollen Sie mich be-
gleiten?"
„Hm!" macht Hellmers, der das Zwiegespräch
zwischen dem Fürsten und Regina nicht gehört; er half
dem Holsteiner mit der Orthographie aus, als er die
Bewegung der Verachtung beobachtet hat, mit der sie
sich von ihm gewandt hat. „Ihr kleiner Gewaltstreich
gefällt mir besser als Regina."
„Sehr schön, sehr komfortabel!" lobt der Wirt im
Heraufsteigen, „und wie Seine Altesse angeordnet, die
Zimmer der Frau Fürstin ganz mit Grün und Blumen.
O, das verstehen wir auch!"
Madame Selmine steht neben Regina unter der
hohen Palme auf der Terrasse.
„Wie herrlich!" sagt sie, aus das Riesenschiff, das
weiß und stolz im Hasen liegt, deutend.
Aber sie bekommt keine Antwort.
„Wie Sie mir leid thun!" beteuert Selmine.
Die andre sieht ihr forschend ins Gesicht.
„Ich verstehe alles! Jetzt sind Sie in seinen
Griffen. Er giebt Ihnen keine Gnadenfrist mehr,
dieser Ogre! Ja, das ist er. Und Ihr Vater —"
Sie stampft niit beiden Fiißen aus. „Macht mil-
den Hof all die Zeit lang und sagt mir hier, auf
meinem Grund und Boden: „Llackame, j'ai t'llonnoui-!
Sie sind mir eine angenehme Episode gewesen. Und
nicht einmal Franz Ludwig Aumüller hat Lust, in die
Bresche zu springen. Wie ich ihn hasse! Und der
Fürst! O, ich kenne die Männer, dieser Blick heute!
Und Sie, eine weiße, arme Taube."
All die excentrischen Ausdrücke der kleinen Dame
gleiten an Reginas Ohren vorüber, sie sieht immer
nur nach dem Schiff, das dort so still liegt und um
welches die kleinen Boote schwimmen wie Nußschalen.
Plötzlich saßt sie beide Hände der neben ihr Sitzenden.
„Wollen Sie mir helfen, ehrlich?"
Die Kreolin blickt erstaunt aus.
„Werde ich können?"
„Hören Sie mich ruhig an!"
Ganz wieder Fassung, Ueberlcgung, spricht Regina
 
Annotationen