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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 50.1902

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Heft 4
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Illustrierte Welt.

83

geboren, und ich habe schon unter seinem seligen Herrn
Vater gestanden."
Der Kürassier schaute verwundert.
„So seid Ihr wohl eigentlich Oesterreicher, Herr
Wachtmeister?"
Der Alte maß ihn feierlich von Kopf bis zu Fuß.
„Ich bin seit sieben Jahren Wachtmeister in dieser
Husarenschwadron. Wo ich vorher war, das kann
Euch gleichgültig sein, Kamerad!" Die buschigen
Brauen krausten sich und gaben dem ehrlichen alten
Gesicht einen finster-tückischen Ausdruck.
Der Kürassier, der am Biwakfeuer den Frieden
liebte, sagte nach einer Weile: „Ich meinte es nicht
schlimm. Ich dachte nur, wenn Ihr hier jeden
Schleichweg kennt, so könnte Euch das bald von
großem Nutzen sein, denn in unserm Regiment ging,
als ich abritt, das Gerücht, Eure Schwadron sei aus-
ersehen, einen seltenen Vogel abzufangen, den unser
König gar gern im Netz haben möchte — einen
Kaiserlichen Rat aus Wien oder so etwas, der viel
weiß. Den Namen kenn' ich nicht, aber in dem Bries
wird er schon gestanden haben. Denkt mal, wenn
ihr den nun wirklich finget. . .?"
„Wir machen's lieber kürzer," knurrte der Alte
verbissen.
Der andre lachte.
„Na, vielleicht dürft ihr ihn später auch hängen ..."
Und das Thema wechselnd: „Ihr seid die schneidigste
Schwadron in Eurem Regiment, das sagten sie mir
schon drüben. Ich merke, bei euch weht ein scharfer
Wind. Das liegt Wohl daran, daß ihr den jüngsten
Rittmeister bei den Husaren habt."
„Der Krieg macht die Sättel leer. Aber jung
oder nicht, unsrer weiß, was er will. Er saßt die
Schwadron hart an, aber sich schont er gewiß am
letzten. Darum haben ihn auch alle gern. Wir haben in
den sieben Jahren nicht einen einzigen Deserteur gehabt.
„Er hat aber auch seine guten Seiten," meinte der
andre Pfiffig. „Er soll ja, so jung und hübsch er ist,
kein Frauenzimmer ansehen, aber wenn der Schwa-
dron eine in den Weg läuft, dann drückt er immer
ein Auge zu, und je schlimmer eine schreit, je mehr
freut er sich." Er zwinkerte begehrlich. „Bei der
Schwadron Kalisch soll's dann manchmal sehr hoch
hergehen. Euer Alter — alle Achtung!"
Der Wachtmeister zuckte die Achseln.
„Ihr scheint ihn ja sehr gut zu kennen."
„Ich sage nur, was die andern sagen. Und wenn
er euch beim Beutemachen sonst nicht durch die Finger,
sieht, warum soll er nicht bei den Weibern eine Aus-
nahme machen?! Vielleicht ist's ihm mit der Liebe
früher einmal übel gegangen — und die Unterröcke
sind ihm für ewig verleidet."
Da schlug der Alte die Säbelscheide zornig gegen
den Reiterstiefel, daß es laut klirrte und die
Husaren im Schlaf zusammenzuckten.
„Schert Euch um Euch, Gelbschnabel!"
Er stand schwerfällig auf und ging ohne Gruß
hinüber zu den Vedetten.
Dort blieb er lange und blickte unverwandt auf
das Schloß.
Als hell dämmerndes Grau über den Waldkämmen
den nahenden Tag verkündete, kehrte der Rittmeister
ins Lager zurück, das Pferd am Zügel. Der Wacht-
meister machte ihm seine dienstliche Meldung.
Herr v. Kalisch, ein' scharfgeschnittenes, kluges Ge-
sicht mit einem leidenschaftlichen Zuge um den harten
Mund, warf einen schnellen Blick auf die schlafenden
Reiter und die langsam patrouillierende Lagerwache,
dann winkte er dem Alten. Sie traten ins Gebüsch.
Dort sprachen sie leise und angelegentlich mit-
einander wie ein junger Herr und ein alter Diener.
„Weißt du, Joseph, daß die Gräfin noch aus der
Drewsburg ist?"
„Jawohl!"
„Sie wollte nicht fort aus der Gegend wegen ihres
Kindes. Sie liebt ja auch das Schloß so sehr. . ."
„Jawohl!"
„Und weißt du noch etwas, Joseph? Morgen oder
besser heute kommt er zu ihr aus Wien, ganz heim-
lich, wohl, weil ihn die Sehnsucht nicht läßt. Und
wir sind vom Teufel ausgesucht, ihn unterwegs ab-
zufangen — ausgerechnet wir! Was sagst du dazu?"
Er sprach's mit bitterem Hohn.
„Jawohl!" Der Alte sah zu Boden.
Da straffte sich bei dem Jungen die Zornader.
„Seid Ihr aus einmal stumm geworden? Mann —
Euer Rittmeister fragt — antwortet aus der Stelle!"
Der Alte fuhr zusammen und stand stramm.
Langsam sprach er: „Er wird wohl im Wagen kommen
und nicht zu Pferde, und wenn der Herr Rittmeister den
Waben sehen, dann sollen der Herr Rittmeister ein
wenig abseits reiten. Wenn dann bei der Spitze ein
Karabiner losgeht, so war's ein Zufall, und den
Führer trifft keine Schuld."
In des Offiziers Augen zuckte ein wildes Leuchten.
„An so etwas habe ich auch schon gedacht. Der
Krieg weckt schlimme Gedanken . .. Aber nein, nein

— niemals! Schlag dir das aus dem Sinn, Alter!
Schon dieser ganze Auftrag ist meinem Gefühl schreck-
lich. — Und dein Zufall hieße in jeder Sprache
Mord." Fast weich fuhr er fort: „Sieh mal, Joseph,
wir kennen uns beide so gut. Du weißt alles, du
bist der einzige gewesen, der mich nicht verließ, als
mich alles verließ. Ohne dich lebte ich kaum mehr.
Nicht wahr, wenn sie mich hart und rücksichtslos
nennen, wenn sie vor mir zittern, wie vor dem Gott-
seibeiuns, — du, der du mich von Geburt an
kennst, weißt, daß das nur Maske ist, ein großes
Herzeleid zu decken? Wenn ich mich nicht mit Eis
umpanzerte, ich ertrüge das Leben auch heute nicht
mehr! Aber in einem Punkte verstehen wir uns doch
nie. Du haßt den Mann, der sie mir nahm, und ich
hasse die Frau, die mir alles nahm. Du lebst von
deinem Haß, ich lebe von meinem. Also lassen wir
jeden Gedanken zu Haus. Wir haben unfern Befehl,
wir führen ihn aus. Wir fangen einen großen Herrn
aus Wien ab, den wir beide nicht kennen, und der
uns hoffentlich auch nicht wiedererkennt. Und wir
wollen nur beten, daß uns dabei kein Weiberrock geniert;
denn, sähe ich sie beisammen, — ich wüßte vielleicht auch
nicht, was ich thäte. Also leg dich ruhig noch zwei
Stunden schlafen. Ich habe überall 'rumgehorcht,
die Kaiserlichen sind uns schwerlich aus den Fersen,
und Zeit ist genug. Vor Mittag kann der Gras un-
möglich die Paßhöhe erreichen."
Der Wachtmeister stand stramm und bewegungslos
wie ein alter Soldat und nicht wie ein alter Diener.
Der Rittmeister trat ganz nahe zu ihm heran
und sagte freundlich: „Gieb mir die Hand! . . . Wer
weiß, ob's nicht zum letzten Male ist. Im Kriege
ahnt man ja nie. . . Aber ich liebe den Krieg —
irgend eine Liebe muß man ja doch haben —, ich fürchte
nur, es geht bald zum Frieden. Meinst du, daß mit
dem Frieden auch uns der Friede kommt?"
Die beiden schieden. Der Wachtmeister zog sich
den alten Mantel fester um die Schultern und warf
sich neben seinem Braunen ins tauige Gras, die
Nachtruhe nachzuholen. Herr v. Kalisch setzte sich
ans Lagerfeuer und starrte auf den verglimmenden
Holzbrand. Er spürte keine Müdigkeit, seine Nerven
waren überreizt und sein Sinn krankhaft hellhörig
heute. Seine einsamen Stunden füllten immer die-
selben Bilder. Er sah seinen Vater vor sich, der als
österreichischer Oberst gestorben. Gar nicht weit von
hier lag er begraben aus einem kleinen Gut, in
einem kleinen Erbbegräbnis. Die Kalisch waren
nie mit Glücksgütern gesegnet gewesen. Und sich
selbst sah der junge Offizier als thörichten Knaben,
als hoffnungsfrohen Jüngling, hier in dieser Gegend,
auf diesem Platz, wo seine schlesische Heimat war, wo
er jeden Fleck kannte. Das Leben lag so lachend vor
ihm damals; wohl am meisten darum, weil ihm ein
weicher Mädchenmund gar verheißend entgegenlächelte.
Es ging alles hübsch leicht. Sie war die arme Com-
tesse v. Drewsburg und er der arme Leutnant von
Kalisch bei einem billigen österreichischen Kavallerie-
regiment ganz, in der Nähe. Sie liebten sich von
Herzen. Der Krieg, die Ehren waren vor der Thüre
— warum sollte nicht ein Priester die jungen, hübschen
Menschen zusammengeben, wo niemand etwas da-
gegen hatte, der alte Graf Drewsburg zuletzt, dem
kaum noch eine Zinne auf feinem Schloß gehörte?
Und wie liebte ihn die reizende Braut, wie hatte sie
ihm hundertmal glückselig zugeflüstert, daß ihr Herz
ihm ganz, ihm ganz allein gehöre!
Schon lag der Brandgeruch des Siebenjährigen
Krieges in der Luft, die Kaiserlichen träumten von
einem großen Sieg über den kleinen Friedrich von
Brandenburg ... Da — es war nur Zufall —
kam ein Vetter aus Wien, auch ein Drewsburg,
auf das Schloß des alten Grafen. Er war nicht
mehr jung, aber er war in großer Stellung — und
so reich! . . . Und dann . . . dann . . . Hier ver-
schwommen immer des jungen Offiziers Erinnerungen.
Es gab Mädchenthränen, die er nicht zu deuten wußte,
und leidenschaftliche Ausbrüche eines heißen Gefühls
und Verstimmung, Vorwürfe, zuletzt Spannung,
Kälte. Endlich ein Bries, vor dem er stundenlang
versteinert saß. Die alte Geschichte: Unter vielen Bc-
teurungen die elende Wahrheit, daß die Geliebte es vor-
zog, reich statt arm zu sein. Welche Rolle der Druck der
Eltern, der falsche Glanz einer großen Stellung spielte,
er wußte es nicht, er wollte es auch nicht wissen. Er j
wäre an seinem betrogenen Gefühl zu Grunde ge- I
gangen, wenn ihm der letzte Passus des Briefes:
„Deine treue Freundin will ich bis zum letzten Atem-
zuge bleiben", nicht den Ekel über solche Jämmerlich-
keit und den Haß gegen solch frommes Lügen ein-
geflößt hätte und damit zugleich die Kraft zum Los-
reißen. Er that, was er seinem Gefühl nach thun
mußte, er warf den Kaiserlichen sein Portepee vor die
Füße und ritt hinüber zu den Preußen. Viel später
erst wurde ihm die Größe dieses Abfalls klar, wo er
mit der Frau auch zugleich das Vaterland haßte und
aufgab, aber er sagte nur finster: „Thut nichts. Was

ich bin, das bin ich wenigstens ganz!" Und in diese
freiwillige Verbannung war ihm der alte Diener
seines Hauses ohne Wimpernzucken und ohne Skrupel
gefolgt.
' Jetzt, nach genau sieben Jahren sanden sich die
beiden in der alten Heimat wieder. Unter finsteren
Gedanken verging beiden die schlaflose Nacht.
Erst am späten Morgen sattelte die Schwadron. Aus
gedeckten Waldpfaden klommen die Pferde zur Kamm-
höhe. Eine gelbe, dunstige Herbstsonne stieg über die
Berge, durch die Fichtenstämme ging ein müdes Säu-
seln. Herr v. Kalisch ritt stumm und finster. So oft er
das Auge hob, grüßte die Drewsburg mit ihren grauen
Türmen durchs Grüne... Wenn der andre nicht gewesen
wäre, wenn diese sieben Jahre nur ein böser Traum, oder
wenn er selbst da oben auf dem Schlosse süße mit ihr!
Und mit den Gedanken an die heißgeliebte Frau kam auch
der Haß gegen den Räuber seines Glücks. Er scheuchte
den bösen Wunsch. Was konnte der andre dafür?
Nichts! Sie allein war schuldig, nahm ihm den
Frieden. Der alte Wachtmeister ritt hinten bei dem
Gros der Reiter, aber wenn Herr v. Kalisch zurück-
blickte, deuchte ihm, die alten Soldatenaugen dort
leuchteten in unbeirrtem Haß. Aus dem Berge ord-
neten sich die Husaren im Versteck rechts und links von
der weißen Landstraße, die sich aus Böhmen mühsam
emporwand. Sie'mußten lange harren. Mittag war
schon vorüber, als endlich Staubwolken weit unten
die nahende Beute verkündeten. Die Husaren schauten
mit Adleraugen. Erst kamen zwei Dragoner, ahnungs-
los, die Säbel in der Scheide. Don fern schon klang
ihr lustiges Lachen. Der Rittmeister kniff die Lippen
— es war sein altes Regiment. Sie ritten vorüber.
Jetzt kam der Wagen, ein schwerer gedeckter Reise-
wagen, rechts und links trabten Bedeckungsmann-
schasten, auch Dragoner, die blanke Waffe wie zur
Parade gezogen. Der Rittmeister in seinem Versteck
hob den Säbel, das Zeichen zum Angriff. Aus dem
Dickicht brachen wie die Wölfe seine Reiter, ihm selbst
strauchelte im Sprunge das Pferd.
„Ergebt euch!"
Einen Moment stutzten die Kaiserlichen — der
Wagen hielt jäh — dann nahmen sie entschlossen den
ungleichen Kampf auf.
Als der Rittmeister seinen Rappen wieder hoch
hatte, blitzten hinten auf der Landstraße durch wir-
belnden Staub Reiterhelme und geschwungene Säbel.
Es war der Rest der feindlichen Schwadron, der im
Galopp zu Hilfe kam.
„Laßt den Wagen! Hierher!" rief er mit schmet-
ternder Stimme, die Gefahr sofort erkennend.
Doch nicht alle vernahmen im Waffenlärm sein
Kommando; um den Wagen hatte sich ein Reiter-
knäuel verwirrt. Der Rittmeister raffte zusammen,
was noch frei war. Noch war kaum die Hälfte ein-
geschwenkt, da stob gegen sie der österreichische Choc.
Er sand einen mutigen Gegner. Während noch Pferd
gegen Pferd und Mann gegen Mann in wüstem
Durcheinander rangen, schrillte eine verzweifelte Frauen-
stimme durchs Gewühl.
„Um Jesu willen, Joseph, um Jesu willen töte
ihn nicht! Zu Hilfe, zu Hilfe!"
Herr v. Kalisch zuckte wie von einer Natter ge-
stochen zusammen. Es war ihre Stimme, —und er
vermochte nicht zu widerstehen. Mit einem wilden
Fluch hieb er den Dragoner, der ihn bedrängte, vom
Sattel, dann wandte er den Rappen und sprengte
zurück zu dem Wagen. Dort kniete zwischen toten
und verwundeten Reitern sein alter Wachtmeister auf
einem älteren Herrn in Zivil, der ohnmächtig dalag.
Er hatte ihm die Pistole an die Schläfe gesetzt, und
eine schwarzgekleidete Frau versuchte sie ihm vergebens
zu entreißen.
„Töte ihn nicht, töte ihn nicht!" rief sie noch einmal.
Da fuhr die Hand, die die Pistole hielt, von einem
schweren Hieb getroffen, jäh zur Seite.
„Führst du so meine Befehle aus?" Kaum hatte
der Rittmeister es gerufen, da fuhr er sich nach der
Stirn, wankte und fiel aus den Bügeln.
Als er nach schwerer Ohnmacht erwachte, lag er
im Straßengraben; sein Haupt ruhte in einem Frauen-
schoß. In ehrerbietiger Entfernung stand, was von
seiner Schwadron noch geblieben.
„Haben wir gesiegt?" fragte der Todwunde.
„Ja, ihr habt gesiegt, und wir sind in euren Hän-
den." Es war ein blasses, schönes Gesicht, das sich
über ihn neigte. „Erkennst du mich nicht mehr,
Hans?" flüsterte die Frau.
„Ja."
„Kannst du mir vergeben?"
„Wozu die Komödie, wenn's zum Sterben geht?"
Sie neigte sich tiefer auf die blutüberströmte Stirn.
„Höre mich dennoch, Hans! Ich habe dich immer
geliebt und liebe dich noch, dich allein. Die sieben
Jahre waren sieben Jahre der Qual, und was ich
damals that, begreife ich heute nicht mehr . . . Ich
liebe den andern ganz gewiß nicht, aber ich hab's
nun einmal gethan, und — er ist ja der Vater meiner
 
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