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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 50.1902

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Heft 7
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https://doi.org/10.11588/diglit.56970#0171
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weite Ebene des Salemerthals. Zwischen Mimmenhausen
und Neufrach liegt ihre Station <430 Meter), zugleich
Zweigstation für die künftige Nebenbahn nach Frickingen.
Der Stephanskanal und die Deggenhauser Aach werden
mit 20 Meter weiten Brücken überspannt; dann kommt
der Bahnhof für das Pfarrdorf Bermatingen. Durch
hügeliges Gelände wird, nachdem vorher noch die Land-
straße auf einer etwa 600 Meter langen Rampe über die
Bahn weggeführt ist, der Bahnhof Markdorf (435 Meter)
erreicht, der nicht unmittelbar bei der Stadt steht und
doch noch bedeuiende Schüttungen, sowie umfangreiche
Entwässerung des moorigen Untergrundes erforderte; bei
der Bahnhofsanlage wurde auch auf die spätere Ein-
mündung einer von Ravensburg ausgehenden Bahn Rück-
sicht genommen. Von Markdorf ab fällt die Bahn; Lipbach
bleibt rechts; die Niederung der Brunniaach wird aus
einem Damm überquert. Die letzte badische Station
Kluftern liegt auf einem Höhenrücken gegen Efrizweiler
zu. Ueber die württembergische Station Fischbach wird
Friedrichshafen erreicht.

Die Ameise und die Grille.
(Bild S. I5S.>
Sie waren miteinander in die Schule gegangen, zwei
arme Dorfwaisen, irgendwo in der Auvergne, die schwarze
Marie-Anne und die blonde Fanchon. Die eine ein stilles,
fleißiges Kind, die andre ein leicht lustig Singvögelchen,
unbekümmert um den morgigen Tag. „Ameise und Grille!"
„Der Marie-Anne wird's sicher noch gut gehen im Leben,
die Fanchon — na, wir werden ja sehen!" sagte der alte
Schulmeister, ob auch die Meinungen im Dorf geteilt
waren.
Und da die beiden älter wurden, sorgte der Maire
jeder für ein Plätzchen in der Hauptstadt, da mußten sie
dann ihre eignen Wege gehen. Und sie gingen sie; die
Wege gingen aber auseinander, und sie sahen sich wenig,
Paris war ja so groß.
Die Marie-Anne fuhr fort, still und fleißig zu sein,
heiratete einen braven Jungen, gründete ein Wäscherei-
geschäft, und sie brachten sich durch, schlecht und recht.
Die Fanchon aber, die 's von jeher besser haben wollte,
fand auch, was ihr besser dünkte, ging bald in Seide
und Sammet und schickte sich, als ob sie's so gewöhnt
gewesen. Die beiden trafen sich einmal; Fanchon nickte
gnädig, Marie-Anne dankte, betroffen, ernst.
Als sie sich wieder sahen, saß Marie-Anne vor der
gerichtsgeschloffenen Thür ihres Heims, eine gramgebeugte
Witwe. Schlag um Schlag war's gekommen und hatte
ihr junges Glück zertrümmert: Siechtum mit seinen Mühen
und Kosten, Schwinden der Kundschaft, Sterbebett und
endlich die Pfändung.
Sie war eben durch den Thorweg gekommen in vor-
nehmer Sänfte, getragen von reich livretierten Lakaien,
Mademoiselle Fanchon de Lais, wie sie jetzt hieß. Und
sie gedachte hochmütig der Worte des alten Dorfschul-
meisters, der ihr nachgesagt, daß sie's zu nichts bringen
würde, indes es der Marie-Anne gut gehen werde im
Leben. — Verzeih ihr Gott den Blick, mit dem sie, aus-
gestiegen, die volle Börse zieht, sie der trostlos vor sich
hinschauenden Schulfreundin hinzustrecken.
Die Marie-Anne mißt die goldschimmernden Netze mit
verlangend wägendem Blick. Es läge Rettung in jenen
Maschen — und neben ihr graut das Elend.
Einen kurzen Augenblick der Ueberlegung nur, und
sie wird „Nein" sagen, „Nein und abermal Nein!" Sie
weiß, warum.
Und der alte Dorfschulmeister wird recht behalten.
W.

Am Mgütermg.
Skizze aus dem Eisenbahndienst
von
Kans Kerwig.
/Arn dünnes Aprilregengeriesel erfüllt nachmittags
die Luft. Die schwarze Ledertasche des Heizers,
der weit außerhalb der Stadt dem Lokomotiv-
schuppen des Güterbahnhofes zustrebt, glänzt naß, und
seine neue Dienstmütze ist mit einem Silberschleier be-
deckt. Er wandert einige schlammige Zustreckwege, da
es schon etwas spät ist, überschreitet, nicht zum Nutzen
seiner Stiefel, mehrere Dutzend Geleise und betritt end-
lich den kreisförmig gebauten Schuppen, in welchem
auf radial angeordneten Geleisen die Maschinenkolosse
stehen und warten, bis sie gebraucht werden. Der
Rauch, der dick aus den Schloten einiger, die frisch
angeheizt wurden, quillt, soll durch das über dem
Schlot befindliche Abzugsrohr, welches aus dem Dach
ragt, gehen, thut dies aber nur teilweise und erfüllt
mit seinem größeren Teil das Haus mit einer atem-
beklemmenden Atmosphäre.
An einigen Maschinen wird von Schlossern ge-
hämmert und repariert, bei andern wird der Kessel
ausgewaschen, so daß die Nachbarschaft überschwemmt
ist; an den angeheizten gehen einige Putzer umher und
wischen mit Putzwolle und Petroleum Oel und Staub
von Rädern und Gestänge.
Der Heizer ist nun an seiner Maschine angekommen,
stellt seine Ledertasche hinauf und steigt selber vor-
sichtig nach, um sich seinen Anzug nicht zu beschmieren.
Oben ist das erste, was er thut, daß er diesen aus-

Hllustrierte Welt.

zieht und dafür einen blauen Ueberanzug aus dem
Tenderkasten langt. Dann holt er sich ein Hand-
laternchen hervor, zieht das Oelgefäß mit dem Brenner
aus dem Gehäuse, weil ihn das letztere bei dem Oelen
der Maschine an den schwierigeren Punkten nur stören
würde, und zündet das Lämpchen an mit einem Streich-
holz aus der ungeheuren Schachtel, auf der mit roten
Buchstaben steht: Nur zum Dienstgebrauch.
Jetzt schüttet er sich das Schmieröl aus mächtigen,
Milchkannen ähnlichen Gefäßen in kleinere Hand-
kännchen und klettert hinab. Zuerst nimmt er das
Unangenehmste vor, die Schmierung der Steuerung,
die sich zwischen den Rädern unter dem Kessel befindet.
Unter jedem Maschinenstande läuft ein breiter Längs-
kanal, von dem aus man die unteren Teile der Loko-
motiven erreichen kann. Den Boden dieses Kanals
bedeckt ein glitschriges Schmiersal von Wasser, Oel,
Petroleum, Ruß, Putzwolle und so weiter. Durch
dieses bahnt sich der Heizer vorsichtig seinen Weg,
bückt sich sehr tief und schlüpft in den dunkeln Raum
unter dem schwarzen Untier. Nun heißt's den Kopf
in acht nehmen, denn überall drohen Haken, Brems-
wellen, Stangen, Bahnräumer, Achsen und Lagerkasten
in ihrer eisernen Unerschütterlichkeit! Und dann kommt
noch der fingerdicke Oel- und Staubschmutz dazu, der
alles überzieht und dem srischgewaschenen blauen Anzug
mit Flecken droht.
Endlich ist er bis zu der Triebachse vorgekrochen,
auf welcher die Steuerungsexcenter sitzen. Aber von
unten aus kann er nicht an die Oelgefäße derselben
heran, er muß also mit kühnem Entschluß und einem
Wenig schützender Putzwolle die schmierigen Stangen
und Achsen anpacken und sich in die Höhe ziehen.
Dann spreizt er die Beine meterweit auseinander und
stemmt sich mit ihnen auf die beiden Ränder des
Kanals. Dabei rennt er sich hinten irgendwo den
Kopf an gegen ein Ding, das er gar nicht kennt, und
bleibt infolgedessen hinfort in einer ängstlich gebückten
Stellung. Dazu hält er in der einen Hand das offene
Lämpchen, in der andern das Oelgefäß. Das Oelen
geht ja so auch ganz gut, solange die gefederten
Deckelchen der Oelgefäße leicht zu erreichen und un-
schwer niederzudrücken sind. Aber die Stellung der
Excenter ist so verwünscht, daß man an die beiden
hintenliegenden gar nicht heran kann. Bei den Ver-
suchen in dieser Richtung verbrennt sich unser Heizer
die Finger an der offenen Flamme, findet aber endlich
einen Platz, wo er das Lichtchen hinstellen kann, drückt
mit der einen Hand den Deckel nieder und gießt mit
der andern das Oel ein. Und im Behagen dieser
glücklichen Situation gießt er so lange, bis der dicke
Strom zu beiden Seiten überläuft. Erschreckt zieht er
die Kanne empor und wirft durch die heftige Bewegung
das Lichtchen in den Kanal, wo es sofort erlischt.
Fluchend klettert der Heizer in der Stockdunkelheit
hinunter, wühlt im Schlamm, bis er sein Laternchen
wiedergefunden hat. Nun hat er aber keine Streich-
hölzer bei sich, muß wieder heraus, und nach längeren
Schwierigkeiten hat er in Zeit von einer Stunde etwa
seine Maschine geölt. Nachdem er noch einige Dichtungs-
ringe in die Stopfbüchse, das Loch, durch welches die
arbeitende Kolbenstange aus dem Dampfcylinder tritt,
gepackt hat, damit nicht zu viel Dampf nutzlos entweichen
soll, steigt er befriedigt auf den Führerstand hinauf.
Nun heißt's noch den Zentralölapparat zu füllen, der,
vom Führerstand aus kontrollierbar, die Dampfkolben
und -schieben zu schmieren hat. Der Heizer nimmt
eine Kanne voll grünen Oeles, das so dick und steif
ist wie Butter, und stellt es aus den Dampfkessel, um
ihm die nötige Flüssigkeit durch Erwärmen zu geben.
Doch da bemerkt er mit Schrecken, daß der Kessel
ja vollkommen kalt ist! Ein Blick auf die Druckuhr
und in das Feuerloch belehren den Erbleichenden, daß
die Maschine überhaupt nicht unter Feuer steht! Wie
soll er denn in einer Stunde damit fahren können?
Wütend schreit er in das Maschinenhaus:
„Zum Donnerwetter, da ist ja noch kein Feuer
drin!"
Aus allen Ecken tauchen jetzt die schmutzigen Putzer
auf und ergießen ein wildes Gelächter über den Heizer,
der vergessen hat, zuerst nach der Seele des Ganzen,
dem Feuer, zu sehen.
„Da kann ich ja eher Heizer sein!"
„Bezahl mal schnell eine Flasche Bier!"
„Hast du denn wenigstens Feuer an deiner Zigarre?"
So höhnt die Schar durcheinander. Der älteste
der Putzer aber klärt den Heizer endlich auf:
„Ihr fahrt ja heute gar nicht mit dieser Maschine.
Ihr habt die 1275."
Inzwischen kommt auch der Führer mit seiner
Provianttasche an, besieht sich die Bescherung und sagt:
„Na, da Hilst nichts. Da wollen wir uns mal
schnell an die 1275 machen und die ölen."
Der Führer legt nun kräftig mit Hand an, und
bald ist die 1275 zur Abfahrt bereit.
Sie wollen, da es höchste Zeit ist, aus dem Hause
fahren. Aber die Drehscheibe liegt noch nicht nach
ihrem Geleise, und voll Zorn läßt der Führer die

Dampfpfeife in ihrer heftigsten Stärke schreien, daß
alle die grauschwarzen Eisenbahnsperlinge aus dem
rußigen Gebälk des Schuppens hinaus ins Freie fliegen.
Endlich kommt die Bedienungsmannschaft, dreht ge-
mütlich an den Handkurbeln, bis die Scheibe richtig
liegt, ein kleines optisches Signal und ein Pfiff zeigen
dem Führer an, daß er darauf fahren kann. Wie
mancher ist auch schon etwas zu früh darauf gefahren
und so neben das Geleise geraten, auf Kosten der
Drehscheibe natürlich, die dabei in Trümmer ging.
Während sie nun mit unheimlicher Langsamkeit
gedreht werden, steigt der Führer noch einmal hinaus
auf das Laufblech, das um den Kessel führt, und sieht
in dem viereckigen Kasten oben auf dem Kessel nach,
ob auch Sand darin ist, da das Wetter neblig und
die Schienen daher sehr glatt sind. Der Vorrat scheint
ihm genügend. Aus alter Gewohnheit nimmt er seinen
Rückweg um das Vorderteil des Kessels herum, sieht
zu, ob die RauchkaMmerthür fest geschlossen ist, und
kehrt dann auf den Fiihrerstand zurück.
Dort war inzwischen der Heizer beschäftigt, den
hohen Berg staubiger Kohlen, der auf dem Tender
anfgetürmt ist, mit dem Schlauch der Jnjektordruck-
leitung gehörig naßzuspritzen, damit ihnen während
der Fahrt der scheußliche Staub uicht in Angen und
Mund fliegen sollte. Aber es waren diesmal besonders
hartnäckige Kohlen; das Wasser rann von dem schwarzen
Staubhügel herab, ohne sich einsaugen zu lassen, wie
wenn man Milch in Niehl schüttet. Nachdem der Führer
gebührend hierüber geschimpft hat, macht er den Heizer
darauf aufmerksam, daß vorn in die großen Signal-
laternen Petroleum gegossen werden muß.
Inzwischen ist die Drehscheibe in der richtigen
Stellung angelangt und festgekeilt worden, wieder er-
scheint eine Signalscheibe und ertönt ein Pfiff, die
Maschine rumpelt langsam herunter auf das Festland.
Aber da liegt schon wieder die nächste Weiche falsch.
Die Lokomotive muß stehen bleiben und hat es doch
so eilig, denn in einer Viertelstunde ist Abfahrtszeit,
und so lange hat sie auch gerade noch über Weichen
„auszuwechseln", bis sie vor den Zug kommt. Wütend
läßt der Führer wieder fürchterliche Pfiffe in die Lust
steigen, bis in der Ferne der Weichensteller zu sehen
ist, der im Trab von seinem Frühstück zu seiner Pflicht
gerannt kommt, um nur dem verräterischen Pfeifen
Einhalt zu thun. Aber in seinem Zorn hört der
Führer nicht eher aus zu pfeifen, bis der arme Mensch
dicht herangekommen ist und die Weiche glücklich um-
gelegt hat.
Unterdessen war der Heizer heruntergesprungen und
hatte die Gelegenheit benutzt, um Petroleum auf die
Laternen zu gießen. Dabei bemerkte er, daß der
Glascylinder auf der einen Laterne in mehrere Stücke
zerbrochen war. Auf regulärem Wege einen neuen zu
besorgen, war keine Zeit mehr. Er stahl sich also an
eine Maschine, die gerade angekommen war und deren
Heizer und Führer aus dem Kohlenladegerüst standen.
Heimlich schlich er an die Vorderseite und nahm kalt-
blütig einen ganzen Cylinder aus der Laterne, wäh-
rend er die Scherben des zerbrochenen hineinlegte.
Die 1275 setzte sich also wieder in Bewegung. Da
es jetzt der Führer etwas eilig hatte, um nicht wegen
Verspätung zur Verantwortung gezogen zu werden, so
übersah er, daß die Weiche, aus der er jetzt heraus-
fahren mußte, geschlossen war. Er fuhr also ruhig
drauf los und schnitt die Weiche auf, das heißt der
Spurkranz des ersten Rades trennte die Weichenzunge
von dem Geleise, an dem sie anlag, und stellte sich so
die Weiche selbst.*) Allerdings war ein Uebelstand
bei dieser verbotenen Methode: die Leute nämlich, die
sie verboten hatten, hatten schlauerweise, um zu er-
kennen, ob ihr Verbot auch eingehalten wurde, einen
geheimnisvollen Bolzen in den Mechanismus der Weiche
eingefügt, der die Aufgabe hatte, bei der verbotenen
Manipulation zu zerbrechen. Dies war der sogenannte
Kontroübolzen, denn wenn er zerbrochen war, merkte
man die Unthat sofort daran, daß sich die Weiche nicht
mehr stellen ließ. Und so war der Führer, der die
Weiche zuletzt passiert hatte, verraten.
Unser Führer — Hackermax hieß er übrigens —
war denn auch sehr erbost über diese Einrichtung und
behauptete, das wäre jetzt alles Schund. Früher hätte
man eine gute Weiche eben daran erkannt, daß sie sich,
ohne Schaden zu nehmen, „ausschneiden" ließ.
Nach einigem Hin- und Herfahren ist man endlich
vor den Zug gelangt, das heißt drei Wagen, denen
der unverschämte Mensch von Zugführer den Namen
Zug geben möchte. In Wirklichkeit stehen die Bestand-
teile desselben noch aus allen möglichen Geleisen ver-
streut. Und obwohl soundsoviele Rangiermaschinen in
der Nachbarschaft unthätig stehen, muß sich die arme
Zugmaschine ihre Last selber zusammenpacken. Dazu
schreit und gestikuliert der Zugführer mit der roten
Nase gegen den Lokomotivführer, weil der etwas spät
gekommen ist. Im Dienst nämlich kehrt der Zugführer
gern den Vorgesetzten des Lokomotivführers heraus.

*) Wie bei den Straßenbahnen.
 
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