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Illustrierte Welt : vereinigt mit Buch für alle: ill. Familienzeitung — 50.1902

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Heft 15
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342

Abrahams Opfer.
Eine Erzählung aus dem Burenkriege
von
Gustaf Janson.
Autorisierte Ueöerseßung aus benr Schwedischen von
Nriedrich v. Känet.
Elftes Kapitel.
Der letzte Kampf.
^-^in halbstündiger Ritt führte die Truppe zu
dem Kopje, und dem Befehl gemäß näherten
K'sie sich ihrer Stellung von Norden. Die
Pferde wurden in einer von drei Seiten ge-
schützten Kluft sich selber überlassen, und schnell kletterten
die Männer über die Felsen empor, um ihnen dienliche
Plätze zu wählen.
Auf der höchsten Spitze des Kopje, wo eine Laune j
der Natur ein kleines Plateau gebildet hatte, das gleich
einer Brustwehr von hohen Felsen umgeben war, faßte >
van der Nath Posten, um eine ausgedehnte Uebersicht !
zu erlangen. Er sah, wie seine Leute große Steine
um sich zusammenschleppten zum Schutz gegen feindliche
Kugeln, und er nickte billigend. Es war unnötig. Be-
fehle auszuteilen oder Ratschläge zu geben, sie wußten
ebensogut Bescheid wie er. Der Instinkt lehrte sie,
was sie zu beobachten hatten, und wie gedankenlos es
gewesen wäre, einen Stiefelabsatz oder einen Teil des
Kopfes bloßzustellen.
Van der Nath lag auf dem Bauch auf dem Kopje
und sah die Vorbereitungen der Gegner.
Hier waren die Verhältnisse ungefähr die gewöhn-
lichen. Trotz ihrer überlegenen Anzahl mußte das Vor-
rücken der Engländer mit großen Verlusten verbunden j
sein, es lag in der Hand des Befehlshabers, zu ent-
scheiden, wie groß. War er ein denkender Mensch, so j
mußte ihm ein augenblickliches Ueberlegen sagen, daß
das Leben von mehreren hundert Menschen ein etwas
zu hoher Preis war für einen in seinen Folgen etwas
zweifelhaften Erfolg. Aber er war wie alle andern in
der herzlosen Vorstellung besangen, daß ein Sieg, wenn
noch so unbedeutend, nie zu teuer erkauft werden kann.
Und der Sieg mußte als sicher betrachtet werden. Von
weitem hatte man ja beobachtet, welche Unordnung in
der Burenarmee herrschte. In einer weit ausgedehnten
Linie stürzten sie nach den Bergen, und in Staub-
wolken gehüllt, bewegte sich hinter ihnen eine ver-
worrene Masse, wahrscheinlich große Proviant- und
Munitionskolonnen, die man im Stich gelassen hatte,
um schneller vorwärts kommen zu können.
Die Bergkette im Norden zu umgehen, bedurfte
einer Zeit von mehreren Tagen und verhalf de Vließ
zu dem gewünschten Vorsprung. Ueberdies wirkten
hier wie an allen andern Orten eine Menge größerer
und kleinerer Interessen ein, die nicht in direkter Ver-
bindung mit einem einzelnen Gefecht, sondern mit dem
ganzen Krieg standen. Die Machthaber, die sich selbst
und eine große Nation betrogen hatten, mußten vor
allem vor gerechtem Tadel gerettet werden: ein Sieg
sollte die gedrückte Stimmung in England heben, das
sich auf eine Unternehmung eingelassen hatte, ohne
eigentlich zu wissen, was sie war. Ministerielle Lügen,
die nicht widerrufen werden durften. Geschäftsunter-
nehmungen und Geldspekulatiotten nebst einer ganzen
Menge von andern Dingen hingen von einem glück-
lichen Treffen ab, besonders in einer Zeit, die so weit
gelangt war, aus allem Kapital schlagen zu können.
Der rastlose Eifer, der in der Ebene unter ihm
entwickelt wurde, gab van der Nath eine Andeutung
von dem, was bald eintreffen würde. Seine Anord-
nungen waren schon getroffen, und er sah sich um, um
darüber ins klare zu kommen, was de Vließ that.
Eine halbe Meile östlich von dem Kopje hörte das
steile, hügelige Gelände auf und bildete eine zweite,
einige tausend Meter breite Ebene, die flach wie ein
Stubenboden sich bis an die Berge und zwischen ihnen
und der Stellung der Dornenburger nach den hohen
Hügeln im Westen erstreckte. Ungefähr vierhundert
Meter östlich von dem Kopje endete die schmale Sen-
kung, durch welche sich die ganze Burenarmee zurück-
gezogen hatte, und aus der sich gerade die ungeordneten
Haufen der Flüchtlinge hervor und auf ebenes Feld
arbeiteten, wo ihnen keine weiteren Hindernisse be-
gegneten. Die englische Artillerie hatte aufgehört,
Granaten in die Vertiefung hinabzuschleudern, die
Beschaffenheit des Geländes verbarg ihnen vollständig,
was sich zutrug, und sie erwartete keine nennenswerte
Wirkung von einem Feuer aufs Geratewohl. Ueber-
dies beschleunigte jeder Schuß nur den Rückzug des
Feindes, und das Paßte nicht für ihren Zweck. Eine
Weile trat Stillstand ein, und die Gegner schöpften
Atem, aber nur, um so schnell als möglich ihre Dis-
positionen für Angriff wie Verteidigung zu treffen.
Wandte man den Blick gegen Norden, wie van
der Nath es that, so sah man, wie die Nachhut der

Illustrierte Welt.

Buren in den Paß einschwenkte, während die lange
Reihe von Wagen sich nach der gleichen Seite arbeitete.
Langsam ging es aufwärts, der Boden war vollständig
ausgetrocknet, nachdem der Sonnenschein der letzten
Tage in Verbindung mit einem trockenen Wind ihm
alle Feuchtigkeit entzogen hatte, und eine gewaltige
Staubwolke umgab die ganze Masse, deren eintöniges
Gesurr weit herum hörbar war.
Auf der entgegengesetzten Seite wurde die gleiche
unaufhaltsame Eile entwickelt. Die Verfolger waren
ermüdet von der endlosen Jagd, gereizt von den vielen
mißlungenen Angriffen, die immer nur die leere Luft
trafen, und wollten sich den Raub nicht entgehen lassen,
wie schon so oft früher. Im Westen brauste das Kavallerie-
regiment die Höhen entlang, in der deutlichen Absicht,
die Berge zu erreichen und in ihrem Schutz eine
Stellung einzunehmen. Aber de Vließ hatte eine solche
Bewegung vorausgesehen, und eine Menge dunkler
Punkte, die rasch von einem Felsen zum andern vor-
wärts rückten, strebten nach den bedrohten Stellen.
Dort war nichts zu befürchten, die Buren langten zu-
erst auf dem Platze an, und das einzige, was die Eng-
länder durch diese Bewegung erreichten, war, daß eine
größere Abteilung vom Paß zurückgezogen wurde.
Neue Massen wälzten sich unaufhörlich über den
Höhenkamm im Südwesten. Einige Abteilungen eilten
der Kavallerie nach, die zuerst zur Hand gewesen und
darum vorwärts geworfen worden war, während andre
auf die Ebene hinabstiegen und gegen das einzelne Kopje
rückten, das wahrscheinlich als Stützpunkt beim Angriff
auf das Zentrum der Buren ausersehen war.
Die Truppen, mit denen die Dornenburger an
diesem Tag bereits Schüsse gewechselt hatten, waren
schon aus die Ebene marschiert; ihre Kanonen waren
es gewesen, die den Rückzug bedroht hatten. Sie waren
indessen von selbst stehen geblieben, weil sie sich als zu
schwach ansahen, um etwas auszurichten, und bildeten
nun den rechten Flügel der englischen Streitmacht. Doch
rückte eine dünne Schützenlinie vorsichtig gegen die
Vertiefung, die man jedenfalls besetzt zu finden er-
wartete. Aber als nichts bemerkbar war, wurde eine
Compagnie zusammengezogen und stieg hinab, während
zwei Kavallerieschwadronen Seite an Seite mit den
Kameraden drunten langsam am Rand der schlucht-
artigen Vertiefung weiterritten. Die Artillerie protzte
auf und folgte nach, eine passende Stelle suchend, um
aufs neue ihr Feuer zu eröffnen.
Van der Nath sah voraus, daß die beiden Kavallerie-
schwadronen sich bald in Schußweite seiner Leute be-
finden würden. Mit einem Pfiff machte er seine Mann-
schaft aufmerksam und winkte ihr, so unbemerkt als
möglich auf der östlichen Seite des Kopje Stellung
zu nehmen. Alle hatten bereits die Annäherung des
Feindes beobachtet und verstanden ihn. Sich gegen
die Steine drückend, glitten sie um das Kopje und
deckten sich hinter den Vorsprüngen.
„Nicht eher, als bis ich geschossen habe," rief er
gedämpft den nächsten zu, als er die vor Eifer funkeln-
den Blicke sah, und einer flüsterte den Befehl dem
andern zu. Er wollte den Feind zu überrumpeln
suchen, um Verwirrung in seinen Reihen anzurichten
und damit den Vormarsch um eine halbe Stunde zu
verzögern.
Es war ganz still zwischen den Felsen, wo die
vierzig Mann verborgen lagen. Obwohl der Feind
infolge der Entfernung nicht einen Laut vernehmen
konnte, so wurde doch jede Unterhaltung eingestellt,
und die Mannschaft verständigte sich nur durch vor-
sichtige Winke und vielsagende Blicke. Die Spannung
wuchs mit jedem Schritt der Pferde der Kavalleristen,
und nicht die geringste Bewegung verriet, was zu er-
warten war.
Jemand berührte leicht van der Naths Arm, und
er wandte fast ärgerlich den Kopf, um den Friedens-
störer abzuweisen. Er fühlte sein Herz schneller pochen
und hatte Mühe, den Blick von den Kavalleristen ab-
zuwenden, die langsam, aber sicher näher kamen.
Es war der alte Jan van Gracht, der zu ihm
herangekrochen war und sich neben ihn gelegt hatte.
Der Alte grinste freundlich, schob seine Brille auf der
Nase zurecht und sagte freundlich:
„Diese Schnecken!" Er nickte freundlich gegen den
Reitertrupp, der sicher den südlichen Teil der Senkung
leer gefunden hatte und nun, nicht die geringste Vor-
sicht beobachtend, in einer dichten Kolonne heranrückte.
„Sind noch lange nicht in Schußweite. Wir haben
eine sichere halbe Stunde vor uns. Und hätten wir
nur hundert Gewehre mehr hier!" Erfuhr nicht fort,
sondern strich mit einem trockenen Lachen seine flachen
Hände aneinander, damit die vollständige Vernichtung
des Feindes ausdrückcnd.
Van der Nath lächelte grimmig; und ohne Ver-
wunderung oder Widerwillen über die Freude, die Jan
äußerte, zu bezeigen, antwortete er:
„Wir werden sie empfangen, wie sie es verdienen."
Aber dann erinnerte er sich, daß er ein Christ sei,
und sagte ein wenig sanfter, sich gleichsam selber ent-
schuldigend : „Was ihr nicht wollt, daß euch die Men-

schen thun sollen, das thut auch ihnen nicht! heißt es
in der Schrift."
„Es steht darin noch vieles andre, um das sich
niemand bekümmert," antwortete Jan van Gracht
trocken. „Ueberlasse das denen, die die Sache ver-
stehen, Abraham, es ist gefährlich, mehr oder Besseres
zu glauben als andre, man verliert dabei nur." Er
nahm ganz ruhig die Brille ab, hauchte sie an, rieb
sie an seinem schmutzigen Rockärmel und setzte sie wieder
auf die Nase. „Ich habe viel daran gedacht und auch
an andres," fuhr er fort, „aber wir können nichts
daran ändern, und wenn mich jemand schlägt, so schlage
ich wieder."
Van der Nath seufzte schwer; es war so.
„Nein, bekümmere dich nicht darum," sagte der
alte Jan wieder, „denke statt dessen an das, was wir
zu thun haben." Er blickte über^ die Ebene drunten
hinaus, und seine Gedanken wurden von dem Schau-
spiel da drunten in eine neue Richtung gelenkt. „Es
ist ja- unchristlich, auf seinen nächsten Nachbar zu
schießen," sagte er, „aber diese Menschen prahlen immer
damit, daß sie gebildeter seien als wir, und mit vielem
andern. Wenn sie das können, warum sollten wir
nicht auch ruhig dasselbe thun? Sie mögen es auf
ihr Gewissen nehmen, und ich bin zufrieden, wenn es
ihnen nur nicht zu schnell gelingt." Er lachte auf,
trocken und herb. „Und schnell geht es nicht. Abraham,
ist dir nichts ausgefallen, he?"
„Was denn?" fragte van der Nath zerstreut.
„Ja, alle unsre alten Führer sind fort, tot oder
gefangen, und doch sind wir noch nicht besiegt. Es
ist eine wunderliche Erde in diesem Lande, überall
wachsen neue Führer aus dem Boden, sobald die alten
verschwunden find. Wenn diejenigen, die uns heute
führen, morgen fallen, so werden schnell ein Dutzend
neuer Männer aus dem Glied treten nnd dort beginnen,
wo die andern aufgehört haben. Wir haben weniger
zu fürchten als die dort" — er wies auf die Ebene
hinaus —, „sie lassen sich in ein schlechtes Geschäft
ein, sie schlagen sich nur, um etwas zu gewinnen, das,
wenn es wirklich gewonnen werden kann, sich auf lange
hinaus als wertlos erweisen wird."
Während van der Nath auf dem Bauch hinter einem
Felsblock lag und mit dem Finger am Drücker zu töten
bereit war, begannen eigentümliche Gedanken sich in
seinem Kopfe zu bewegen. Aber er wies sie fort, er
war auch müde, und was nutzte es, den Versuch zu
machen, Knoten zu lösen, die nur durchgehauen werden
konnten? Wie viele hatten das vor ihm gethan, und
nicht ein Atom hatte sich geändert. Nein, die Men-
schen schienen dazu geschaffen zu sein, um alles zu
vergessen, und die Welt lernte nicht eine einzige von
ihren vielen Ausgaben ordentlich.
„Nein, töten wir also!" sagte er laut wie zur
Antwort auf seine Gedanken. „Uns selbst und andre,
weil es so Bedingung ist."
„Ja, ja," sagte der alte Jan, „aber können wir
entgehen, so ist nichts Böses daran, nach den Rotröcken
srage ich nichts." Und ohne vermittelnden Uebergang
fügte er hinzu: „Sobald ich kann, ziehe ich mich aus
dem Spiel und wandre nach den Kolonien der Deut-
schen aus."
Van der Nath lächelte über den Alten, über die
Männer, die gleich ihm warteten, über die Reiter, die,
nichts von der Gefahr ahnend, sich immer mehr
näherten, über alles und alle. Es war wieder das
echt Menschliche, das sich in den Worten des Alten
geäußert hatte, der Egoismus, die innerste Triebfeder,
die Krieg führte und Frieden schloß, welche die ganze
Welt in Bewegung setzte. Ein jeder opferte — andre,
opferte mit dem stummen Vorbehalt, so viel als möglich
dabei zu gewinnen oder wenigstens mit heiler Haut
davonzukommen. Augenblicklich die Früchte der Mühen
andrer zu ernten, das war der Zweck, und ohne einen
Gedanken an die entsetzlichen Wucherzinsen, die eine
Generation unaufhörlich aus die von andern gemachten
Schulden bezahlen mußte, so schwindelte die Welt sich
vorwärts. Sie schrieb falsche Wechsel und überließ es der
Zukunft, sie einzulösen, unbekümmert darum, ob nicht
der Schwindel vielleicht schon am nächsten Tag entdeckt
würde.
Jan van Gracht erhob sich schnell auf dem einen
Ellbogen und rief halblaut:
„Lieg still, Kerl, sonst. . ."
Van der Nath wurde aus seinen Grübeleien ge-
weckt und sah sich nach der Ursache des Ausrufes des
Alten um. Er sand ihn sogleich. Der Missionar
hatte sich auf die Kniee geworfen und zeigte sich halb
über einem Stein, hinter dem er sich verborgen ge-
halten hatte.
„Töten oder sich töten lassen, das ist nicht schwer
zu wählen," sagte van der Nath, und dann schrie er,
wütend über die Gedankenlosigkeit, die das Versteck der
Dornenburger zu verraten drohte: „Legen Sie sich nieder,
Pastor Schmidt!"
Der nächste Nachbar des Missionars hatte die Un-
vorsichtigkeit des Alten schon bemerkt und zwang ihn
unsanft, sich wieder aus dem Boden hinzustrecken. Der
 
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