390
Sie hatte ihre Hand in seine gelegt, sie aber
schnellstens wieder zurückgezogen — sie wußte allzu gut,
was für einen harten Griff der Mann hatte. „Grüß
Gott!" sagte sie dabei. „Schaust grad' auch nicht
nach 'm Kranksein aus, Klickinger, mein' ich!"
„Na, der Aerger könnt' einen schon manchmal
fressen!" versetzte der Fuhrmann in seiner derben
Weise. „Eine Schererei ist's mit dem Botenfahren!
Gift und Gall' steigt einem oft bis in den Hals herauf.
Da bringt man dem einen zu wenig Geld vom Ver-
kauf heim, der ander' schimpft über die schäbig' War',
die man ihm wieder ausg'sucht hätt', der ander meint
gar, man hätt' ihn betrogen, und da soll ich mir nach-
her die ,abg'stohlenew Kreuzer oder Sechser! als Boten-
lohn anrechnen; er weiß aber ganz g'nau, daß er seine
Sach' bei Heller und Pfennig kriegt hat, nur ab-
schummeln möcht' er mich auf eine miserable Weis'!"
„Und du laßt dir's g'fallen?" fragte Hanni
lächelnd. „Ich mein', mit 'm Klickinger ist's nicht gut
spaßen! Das ist keiner von denen, die sich Herum-
drücken, bis sic wo einen unb'setzten Stuhl finden!"
Ueber des Fuhrmanns Gesicht zog ein Schmunzeln.
„Magst schon recht haben! Meine Sach', die mir zu-
g'hört, trau' ich mir schon zu begehren! Aber einen
Aerger giebt's halt doch bei der Sach', und der thut
einem nimmer gut, wenn man die Vierzig hinter
sich hat!"
Die Hanni lachte. „Na, wenn auch die Jahr'
nimmer, der Mann mag's schon noch ausnehmen mit
ein bißl Aerger, ziemt mich schier!"
Es war ein eigentümliches Glänzen in dem Blick,
mit dem der Fuhrmann jetzt das Mädchen betrachtete.
Er richtete sich straff auf und nickte. „Na ja, auf-
nehmen thu' ich's schon noch mit einem viel jüngeren!
Da kaust mir nicht so leicht einer d' Schneid' ab,
ja, ja!"
Hanni lachte und trat in die Schmiede ein. Sie
hatte den Vater etwas zu fragen. Sie mußte über-
laut reden, beinahe schreien, damit der Vater sie
während des Hämmerns hören konnte. Das Schmiede-
feuer daneben sprühte aus in zahllosen Funken und
Fünkchen, einzelne flogen wie winzige, flimmernde
Sternchen da- und dorthin, manche schwirrten um
Hannis Haupt, da sie sich aber in das rötlichbranne
Haar niedersetzen wollten, erloschen sie jäh. Auf dem
schönen, blühenden Mädchengesicht mit dem lebendigen
Ausdruck schwebte ein rosiger, glühender Schein und
machte es eigen reizvoll.
Sebastian Klickinger lehnte wieder am Thürrahmen.
Er starrte unverwandt in das Gesicht Hannis hinüber.
Als eine kleine Weile später Hanni wieder ins Haus
gegangen war und ihr Vater draußen bei dem Pferde
stand und den Huf aufschlug, da fuhr es Klickinger
plötzlich heraus: „Du, die Hanni möcht' ich haben!
Die wär' die rechte Frau für mich."
Der Schmiedmeister vollendete seine Arbeit schwei-
gend. Als er sich aufrichtete, schaute er Klickinger fest
an. „Sie ist nix für dich," versetzte er. „Ist ein
andrer daran, der Steigeder Sohn. Ich und sein
Vater sind einig, und d' Hanni giebt sicher ihr Ja-
wort."
Klickingers Gesicht war in die Länge gegangen.
In seinen Zügen verriet sich deutlich, daß ihm ein
besonderer Wunsch eben zu einem hoffnungslosen ge-
worden. Er nickte. „Freilich wohl, das ist ein ander
Ding mit dem Steigeder Sohn wie mit mir," sagte
er harten Tones. „Der ist blutjung, und ich bin im
Altern, der ist reich, und ich hab' grab' mein gut's
Auskommen. Da halt' ich keinen Vergleich aus mit
so einem. Aber wissen kann man doch nicht, wie d'
Hanni meint, und ob ihr 's Leben in meinem kleinen
Häuserl nicht besser zustünd' als wie das auf'm großen
Hof."
Da zuckte es doch wne Heller Spott durch die ge-
furchten Züge des Schmiedmeisters. „Na, halt ja,
glauben möcht' man's schon, ein jung's Blut fänd'
mehr Freud' neben einem alten Gracker als wie mit
einem jungen Mann. Nach deinem Reden schaut's
so her."
Er lachte, der Schmied. Aber der Klickinger fand"
keine Freude an der spottenden Rede. „Wissen kann
man gar nichts," sagte er zornig, zog seine Brieftasche
hervor, fragte, was er schuldig wäre, und zahlte. Dann
trieb er sein Rößlein zum Weitersahren an.
Der Schmiedmeister aber streckte ihm eben die Rechte
hin und sagte lachend: „Geh, sei nicht dumm! Zwei
alte Freund' wie wir werden sich doch vertragen wegen
so einem dummen Dirndl!"
„Na, dumm ist sie nicht, die Hanni!" versetzte der
Fuhrmann grollenden Tones, aber er legte dann doch
seine Hand in die dargebotene. Die Peitsche fest in
der Rechten haltend und sie langsam bewegend, so
daß sie sachte, wie traurig, hin und her wippte, fuhr
er davon.
2.
Die Sonne ging unter. Sie warf über das Grind-
lingergütl noch einen letzten Schimmer, malte erst die
Hellen Mauern goldfarbig, nachher rötlich, so daß es
Illustrierte Welt.
aussah, als lodere vor dem Hause ein Feuerhaufen.
Genau so erschien der zuckende Schimmer. An den
Fenstern lockte er ein glühendes Blinken hervor. Nur
das Strohdach erschien noch immer so mißfarben und
häßlich, als läge es ohne Schein da, und der niedere,
schwärzliche Rauchfang hockte genau wie eine weltscheue,
dicke, garstige Zwergengestalt da oben.
Aus dem Hause trat einer: eine kleine, unansehn-
liche Bauerngestalt. Der Bauer selber. Sein ver-
grämtes, reich durchfurchtes Gesicht zeigte, daß er keiu
sorgloses Dasein führen durfte. Er blieb einen Augen-
blick vor der Thür stehen und sah nach dem Wege, der
den Hang hinunter ins Dorf führte. Er schien jemand
zu erwarten.
Und da kam auch einer, mit langsamen, lässigen
Schritten. Aber er mochte nicht derjenige sein, den
der Bauer erwartete, denn in dessen Gesicht fuhr plötz-
lich heißer Schrecken. Aus einmal wandte er sich jäh,
kurz um, und es sah aus, als wolle er ins Haus
zurückgehen. Der Vorsatz wurde aber nicht ausgeführt;
ein Schatten glitt über das Gesicht hin, es erschien
nun noch vergrämter wie vorhin. „Na, ich lauf'
nimmer davon! Einmal muß 's sein!" murmelten die
Lippen, und dann wandte sich der Mann wieder herum
und blickte dem Nahenden entgegen.
Der, der herankam, war ein großer, starker Mann.
Der Hochmut stand ihm ins Gesicht geschrieben, jetzt
aber lag eine seltsame Gier im Blick, der auf dem
kleinen Manu da hastete, und diese Gier ging nun
auch auf die Züge über und überbot den Hochmut. Es
zuckte um den schmallippigen, harten Mund, und die
Nasenflügel zitterten leise. Jäh aber wandelte sich der
Ausdruck von Gier in Spott. „Na, Grindlinger,
wärst schier wieder davong'lansen, gelt? Gut, daß 's
dich g'reut hat und bist dablieben! Denn g'nützt hätt'
es dich nix. Ich hätt' schon g'wartet auf dich, mein't-
wegen bis Mitternacht."
In dem Gesicht des andern wurde ein leises Zucken
bemerkbar; selbst die Lippen regten sich zitternd, da
sie jetzt sprachen. „Pressiert's so, Helmberger, was d'
reden willst mit mir?" lautete die fast leise gesprochene
Frage.
Der Große hob die Schultern ein wenig in die
Höhe, während er auf den kleinen Mann mit leichtem
Augenzwinkern niedersah. „Dir schon nicht, das merk'
ich. Aber mir. Ich wart' dir nimmer, ist schon acht
Tag' über d' Zeit."
Da sah der Grindlinger seitwärts hin, an dem
Sprecher vorüber. „Ja, ja, 's ist acht Tag' über d'
Zeit!" sagte er in stillem, gedrücktem Ton. „Aber ich
kann noch nicht zahlen, mußt mir noch ein wenig
warten."
Der Helmberger lachte, steckte die Daumen beider
Hände in die Armlöcher seiner Weste und stand so
recht breitspurig da. „Ein wenig — gelt, das wären
wieder so zwei bis drei Monat' bei dir?" sagte er
spottend. Dann hob er die Schultern ein wenig, so
daß der große Kopf etwas tiefer zwischen ihnen zu
stecken schien, und fuhr in langsamer, nachdrucksvoller
Sprechweise fort: „Na, überhaupis, ich muß dir sagen,
mir ist das Warten wegen deiner Zinsen schon zu
dumm. Ich will jetzt mein Geld z'ruckhaben, und zwar
in zwei Wochen."
Völlig farblos erschien jetzt das Gesicht des Grind-
lingers. Ein Rütteln ging durch seinen Körper, und
mit der Linken griff er nach der Hauswand hinüber,
als fürchte er zu fallen. Aus dem blutlosen Gesicht
schauten die Augen mit fremdem, starrem Blick in das
Gesicht des andern empor — so, als könne der Mann
nicht fassen, was da eben gesprochen worden. Kein
Laut drang über die Lippen, die sich im Schreck weiter
wie sonst im Sprechen geöffnet hatten. Bis ein grinsen-
des Lachen das Gesicht des Helmbergers verhäßlichte
und dieser sprach: „Hetze, ich werd' dich doch nicht so
arg verschreckt haben, daß d' deine Sprach' verlierst?
Duz sei so gut, schau nicht aus wie ein steinern's
Mandl! Sag mir lieber, ob d' zahlen kannst in zwei
Wochen." Die letzten Worte klangen schier gemütlich,
aber die seltsame Gier, die plötzlich wieder in dem
lauernden Blick des Mannes austauchte, verdarb die
Gemütlichkeit des Tones, ließ sie vielmehr als falsch
erkennen.
Jetzt drangen Laute über die starren Lippen des
Grindlingers, stöhnende Laute, und danach Worte voll
Qual, voll hilfloser Verzweiflung. „Jessas, zahlen!
— Ich zahlen? Zwei Wochen — o mein Gott! Das
Geld — das viele Geld —.wo soll ich's hernehmen?
. Wenn ich's nicht auf der Straßen find' — nachher —
nachher müßt' ich's stehlen, wenn ich's haben sollt'!
Jesus — o Jesus!"
Der Sprecher fuhr zusammen unter dem Hellen Auf-
lachen des andern; es ging wie schmerzhaft durch seinen
Leib. Rohe Worte folgten dem Lachen. „Haha, mein't-
wegen find'st es oder stiehlst es! Wenn ich nur grad'
das meinige krieg'. Wenn dich nicht erwischen laßt
beim Stehlen oder nicht sehen beim Finden, nachher
kann's schon gut abgehen. Sonst aber müßt' ich's
wieder herausgeben, was nicht dein g'hört!"
Im Gemüt des Grindlingers tauchte neben der
schier sinnlosen Angst ein schwaches Hoffen auf. Mit
flackerndem Blick sah er den andern an. „Hast g'spaßt,
gelt? Um eine Freud' zu haben an meinem Schreck
— gelt du?"
Da zeigte der Helmberger eine jäh verfinsterte
Miene. „Na, aber so was!" fuhr er schroff aus. „Ich
und mit so was spaßen! Wenn g'scheit wärst, thät'
dir so eine Dummheit nicht einfallen! In zwei Wochen
muß ich mein Geld haben, Punktum! Basta!"
Mit fuchtelnder Gebärde fuhren die kurzen Arme
des Grindlingers in der Luft herum, dann langten sie
blitzschnell nach vorwärts, die Hände packten etwas am
Leibe des andern — die eine einen Westenknopf, die
andre eine Rockklappe. Und da hielten sie fest, als
wären sie daran gewachsen. Ganz dicht stand der kleine
Mann vor dem andern und schaute mit flehendem Blick,
zitternder Angst in den Zügen, in das hochmütige Ge-
sicht. „Geh, du brauchst es doch nicht! Du nicht, das
weiß ich! Und hast allweil deine Zinsen 'kriegt, denk
doch dran! Und hör! Der Franzl kommt ja heim,
heut noch, der muß sich gleich umschauen und eine
nehmen. L>o eine, die was hat, ja! Und nachher
kriegst gleich dein ganz's Geld auf einmal. Aber so
lang, ja, so lang mußt mir schon zuwarten, Helm-
berger !"
Der aber schob mit beiden Händen den Sprecher
von sich und hielt ihn mit vorgestemmten Fäusten fern
von seinem Leibe. „Geh du, bleib weg!" stieß er her-
vor. „Ich mag das nicht, bin nicht gern mit einem
so auf der Näh'. Und — und übrigens —" er brach
ab, und seine Rechte fuhr plötzlich tastend über seine
Rocktasche/ Dann sprach er mit einem kurzen, gellen
Auslachen weiter: „Uebrigens hab'ich da meine Brief-
taschen stecken, und — ich lass' mich nicht eppat mit
meinem eignen Geld zahlen! Denn weil schon erst
g'red't hast vom Stehlen, da muß man fürsichtig sein!
Und jetzt haben wir ausg'red't! Wenn du nicht zahlen
kannst, in zwei Wochen, pfänd' ich dir 's Gütl!"
„Jesus!" Der Grindlinger wankte. Gleich darauf
schaute er zum Helmberger empor, regte die Lippen,
als wolle er etwas sagen, schloß sie aber jäh, als er
die grausame Kälte in den Zügen des andern erkannte,
und sich langsam umdrehend, ging er ohne Gruß ins
Haus hinein.
Lachend, mit schwerem, stampfendem Tritt ging der
Helmberger den Weg zurück, den er gekommen.
Eine geraume Weile später torkelte einer auf
schwanken Füßen denselben Weg dahin. Der Grind-
linger. Mit auf die Brust gesenktem Haupt. Als er
au einem reifenden Kornfeld vorüberkam, hielt er
plötzlich an, und sein Kopf hob sich. Das fahle Ge-
sicht wandte sich dem Felde zu, und in den Augen
brannte ein schmerzlicher Blick. „So ein Gott'ssegen,
wie Heuer ist! Und die Freud', die ich g'habt hab'!
Weil ich mich doch leichter thät' Heuer, 'bald das her-
innen wär'! Jetzt aber, jetzt" — die Zähne stießen
aufeinander wie im Fieberschauer — „zwei Wochen —!
Aus ist's mit der Herrlichkeit, was nutzt mich der
Gott'ssegen? Mir ist er keiner, mir nicht!" Und mit
erloschenem Blick kehrte er sich ab und wankte weiter,
dem Sohne entgegen, den er erwartete, der kommen
mußte, heute noch kommen — denn er mußte doch eine
Menschenseele haben, der alte, vom Leben zu früh müde
gewordene Mann; eine Menschenseele, der er sein Leid,
seinen Kummer, seine Verzweiflung mitteilen konnte,
die ihm tragen Helsen konnte, was ihm da zu schwer
werden wollte. Denn daheim in seinem Hose hatte
er wohl sein Weib, aber das lag seit zwei Jahren
von der Gicht beinahe völlig gelähmt zu Bette und
hatte ein schweres Gehör. Wollte er der etwas an-
vertrauen, dann vertraute er es gleichzeitig den
Mauern seines Hauses an, hinter denen die Dienst-
boten ihre Ohren hatten, alles zu hören, und ihre
Zungen, um alles zu beschwatzen. So hatte er sein
schweres Gemüt seit langem mit sich allein herum-
getragen, und die Frondienste, die das Leben von ihm
erforderte, lautlos geleistet. Jetzt aber trug er schwerer
denn je, und jetzt sehnte er sich nach dem Sohn.
Und der kam. Ein ernster, schöner Bursch, schlank
gewachsen, die Glieder kräftig und wohlgesormt. Er
trug die Soldatenmütze noch auf dem Kopfe, aber weit
zurückgeschoben, daß die grelle Abendröte voll auf sein
Gesicht traf — von der weißen Stirn, in die dunkles
Haar fiel, bis hinab zu den tiefroten Lippen, die ein
dunkles, feines Schnurrbärtchen zierte, und zu dem
wohlgeformten, kräftigen Kinn. Froh leuchteten die
Augen dem Vater entgegen, als sie den ersahen, und
die Rechte griff nach der Mütze, riß sie ab und schwenkte
sie. „Jetzt sind s' vorbei, die drei Jahrln, Vater!
Grüß Gott, grüß Gott!"
Aber da ersah der Bursch den seltsamen Gang des
Vaters, der danach war, als käme ein Halbtrunkener
daher. Das Aufleuchten im Blick verlor sich jäh. Mit
zwei Sprüngen stand der Bursch dicht vor dem Vater.
„Ja, Vater, was ist's denn? Kommst ja daher wie
— wie — ja, bist denn krank? Oder wär' mit der
Mutter was g'scheheu? Ha? Wenn doch der Vater
Sie hatte ihre Hand in seine gelegt, sie aber
schnellstens wieder zurückgezogen — sie wußte allzu gut,
was für einen harten Griff der Mann hatte. „Grüß
Gott!" sagte sie dabei. „Schaust grad' auch nicht
nach 'm Kranksein aus, Klickinger, mein' ich!"
„Na, der Aerger könnt' einen schon manchmal
fressen!" versetzte der Fuhrmann in seiner derben
Weise. „Eine Schererei ist's mit dem Botenfahren!
Gift und Gall' steigt einem oft bis in den Hals herauf.
Da bringt man dem einen zu wenig Geld vom Ver-
kauf heim, der ander' schimpft über die schäbig' War',
die man ihm wieder ausg'sucht hätt', der ander meint
gar, man hätt' ihn betrogen, und da soll ich mir nach-
her die ,abg'stohlenew Kreuzer oder Sechser! als Boten-
lohn anrechnen; er weiß aber ganz g'nau, daß er seine
Sach' bei Heller und Pfennig kriegt hat, nur ab-
schummeln möcht' er mich auf eine miserable Weis'!"
„Und du laßt dir's g'fallen?" fragte Hanni
lächelnd. „Ich mein', mit 'm Klickinger ist's nicht gut
spaßen! Das ist keiner von denen, die sich Herum-
drücken, bis sic wo einen unb'setzten Stuhl finden!"
Ueber des Fuhrmanns Gesicht zog ein Schmunzeln.
„Magst schon recht haben! Meine Sach', die mir zu-
g'hört, trau' ich mir schon zu begehren! Aber einen
Aerger giebt's halt doch bei der Sach', und der thut
einem nimmer gut, wenn man die Vierzig hinter
sich hat!"
Die Hanni lachte. „Na, wenn auch die Jahr'
nimmer, der Mann mag's schon noch ausnehmen mit
ein bißl Aerger, ziemt mich schier!"
Es war ein eigentümliches Glänzen in dem Blick,
mit dem der Fuhrmann jetzt das Mädchen betrachtete.
Er richtete sich straff auf und nickte. „Na ja, auf-
nehmen thu' ich's schon noch mit einem viel jüngeren!
Da kaust mir nicht so leicht einer d' Schneid' ab,
ja, ja!"
Hanni lachte und trat in die Schmiede ein. Sie
hatte den Vater etwas zu fragen. Sie mußte über-
laut reden, beinahe schreien, damit der Vater sie
während des Hämmerns hören konnte. Das Schmiede-
feuer daneben sprühte aus in zahllosen Funken und
Fünkchen, einzelne flogen wie winzige, flimmernde
Sternchen da- und dorthin, manche schwirrten um
Hannis Haupt, da sie sich aber in das rötlichbranne
Haar niedersetzen wollten, erloschen sie jäh. Auf dem
schönen, blühenden Mädchengesicht mit dem lebendigen
Ausdruck schwebte ein rosiger, glühender Schein und
machte es eigen reizvoll.
Sebastian Klickinger lehnte wieder am Thürrahmen.
Er starrte unverwandt in das Gesicht Hannis hinüber.
Als eine kleine Weile später Hanni wieder ins Haus
gegangen war und ihr Vater draußen bei dem Pferde
stand und den Huf aufschlug, da fuhr es Klickinger
plötzlich heraus: „Du, die Hanni möcht' ich haben!
Die wär' die rechte Frau für mich."
Der Schmiedmeister vollendete seine Arbeit schwei-
gend. Als er sich aufrichtete, schaute er Klickinger fest
an. „Sie ist nix für dich," versetzte er. „Ist ein
andrer daran, der Steigeder Sohn. Ich und sein
Vater sind einig, und d' Hanni giebt sicher ihr Ja-
wort."
Klickingers Gesicht war in die Länge gegangen.
In seinen Zügen verriet sich deutlich, daß ihm ein
besonderer Wunsch eben zu einem hoffnungslosen ge-
worden. Er nickte. „Freilich wohl, das ist ein ander
Ding mit dem Steigeder Sohn wie mit mir," sagte
er harten Tones. „Der ist blutjung, und ich bin im
Altern, der ist reich, und ich hab' grab' mein gut's
Auskommen. Da halt' ich keinen Vergleich aus mit
so einem. Aber wissen kann man doch nicht, wie d'
Hanni meint, und ob ihr 's Leben in meinem kleinen
Häuserl nicht besser zustünd' als wie das auf'm großen
Hof."
Da zuckte es doch wne Heller Spott durch die ge-
furchten Züge des Schmiedmeisters. „Na, halt ja,
glauben möcht' man's schon, ein jung's Blut fänd'
mehr Freud' neben einem alten Gracker als wie mit
einem jungen Mann. Nach deinem Reden schaut's
so her."
Er lachte, der Schmied. Aber der Klickinger fand"
keine Freude an der spottenden Rede. „Wissen kann
man gar nichts," sagte er zornig, zog seine Brieftasche
hervor, fragte, was er schuldig wäre, und zahlte. Dann
trieb er sein Rößlein zum Weitersahren an.
Der Schmiedmeister aber streckte ihm eben die Rechte
hin und sagte lachend: „Geh, sei nicht dumm! Zwei
alte Freund' wie wir werden sich doch vertragen wegen
so einem dummen Dirndl!"
„Na, dumm ist sie nicht, die Hanni!" versetzte der
Fuhrmann grollenden Tones, aber er legte dann doch
seine Hand in die dargebotene. Die Peitsche fest in
der Rechten haltend und sie langsam bewegend, so
daß sie sachte, wie traurig, hin und her wippte, fuhr
er davon.
2.
Die Sonne ging unter. Sie warf über das Grind-
lingergütl noch einen letzten Schimmer, malte erst die
Hellen Mauern goldfarbig, nachher rötlich, so daß es
Illustrierte Welt.
aussah, als lodere vor dem Hause ein Feuerhaufen.
Genau so erschien der zuckende Schimmer. An den
Fenstern lockte er ein glühendes Blinken hervor. Nur
das Strohdach erschien noch immer so mißfarben und
häßlich, als läge es ohne Schein da, und der niedere,
schwärzliche Rauchfang hockte genau wie eine weltscheue,
dicke, garstige Zwergengestalt da oben.
Aus dem Hause trat einer: eine kleine, unansehn-
liche Bauerngestalt. Der Bauer selber. Sein ver-
grämtes, reich durchfurchtes Gesicht zeigte, daß er keiu
sorgloses Dasein führen durfte. Er blieb einen Augen-
blick vor der Thür stehen und sah nach dem Wege, der
den Hang hinunter ins Dorf führte. Er schien jemand
zu erwarten.
Und da kam auch einer, mit langsamen, lässigen
Schritten. Aber er mochte nicht derjenige sein, den
der Bauer erwartete, denn in dessen Gesicht fuhr plötz-
lich heißer Schrecken. Aus einmal wandte er sich jäh,
kurz um, und es sah aus, als wolle er ins Haus
zurückgehen. Der Vorsatz wurde aber nicht ausgeführt;
ein Schatten glitt über das Gesicht hin, es erschien
nun noch vergrämter wie vorhin. „Na, ich lauf'
nimmer davon! Einmal muß 's sein!" murmelten die
Lippen, und dann wandte sich der Mann wieder herum
und blickte dem Nahenden entgegen.
Der, der herankam, war ein großer, starker Mann.
Der Hochmut stand ihm ins Gesicht geschrieben, jetzt
aber lag eine seltsame Gier im Blick, der auf dem
kleinen Manu da hastete, und diese Gier ging nun
auch auf die Züge über und überbot den Hochmut. Es
zuckte um den schmallippigen, harten Mund, und die
Nasenflügel zitterten leise. Jäh aber wandelte sich der
Ausdruck von Gier in Spott. „Na, Grindlinger,
wärst schier wieder davong'lansen, gelt? Gut, daß 's
dich g'reut hat und bist dablieben! Denn g'nützt hätt'
es dich nix. Ich hätt' schon g'wartet auf dich, mein't-
wegen bis Mitternacht."
In dem Gesicht des andern wurde ein leises Zucken
bemerkbar; selbst die Lippen regten sich zitternd, da
sie jetzt sprachen. „Pressiert's so, Helmberger, was d'
reden willst mit mir?" lautete die fast leise gesprochene
Frage.
Der Große hob die Schultern ein wenig in die
Höhe, während er auf den kleinen Mann mit leichtem
Augenzwinkern niedersah. „Dir schon nicht, das merk'
ich. Aber mir. Ich wart' dir nimmer, ist schon acht
Tag' über d' Zeit."
Da sah der Grindlinger seitwärts hin, an dem
Sprecher vorüber. „Ja, ja, 's ist acht Tag' über d'
Zeit!" sagte er in stillem, gedrücktem Ton. „Aber ich
kann noch nicht zahlen, mußt mir noch ein wenig
warten."
Der Helmberger lachte, steckte die Daumen beider
Hände in die Armlöcher seiner Weste und stand so
recht breitspurig da. „Ein wenig — gelt, das wären
wieder so zwei bis drei Monat' bei dir?" sagte er
spottend. Dann hob er die Schultern ein wenig, so
daß der große Kopf etwas tiefer zwischen ihnen zu
stecken schien, und fuhr in langsamer, nachdrucksvoller
Sprechweise fort: „Na, überhaupis, ich muß dir sagen,
mir ist das Warten wegen deiner Zinsen schon zu
dumm. Ich will jetzt mein Geld z'ruckhaben, und zwar
in zwei Wochen."
Völlig farblos erschien jetzt das Gesicht des Grind-
lingers. Ein Rütteln ging durch seinen Körper, und
mit der Linken griff er nach der Hauswand hinüber,
als fürchte er zu fallen. Aus dem blutlosen Gesicht
schauten die Augen mit fremdem, starrem Blick in das
Gesicht des andern empor — so, als könne der Mann
nicht fassen, was da eben gesprochen worden. Kein
Laut drang über die Lippen, die sich im Schreck weiter
wie sonst im Sprechen geöffnet hatten. Bis ein grinsen-
des Lachen das Gesicht des Helmbergers verhäßlichte
und dieser sprach: „Hetze, ich werd' dich doch nicht so
arg verschreckt haben, daß d' deine Sprach' verlierst?
Duz sei so gut, schau nicht aus wie ein steinern's
Mandl! Sag mir lieber, ob d' zahlen kannst in zwei
Wochen." Die letzten Worte klangen schier gemütlich,
aber die seltsame Gier, die plötzlich wieder in dem
lauernden Blick des Mannes austauchte, verdarb die
Gemütlichkeit des Tones, ließ sie vielmehr als falsch
erkennen.
Jetzt drangen Laute über die starren Lippen des
Grindlingers, stöhnende Laute, und danach Worte voll
Qual, voll hilfloser Verzweiflung. „Jessas, zahlen!
— Ich zahlen? Zwei Wochen — o mein Gott! Das
Geld — das viele Geld —.wo soll ich's hernehmen?
. Wenn ich's nicht auf der Straßen find' — nachher —
nachher müßt' ich's stehlen, wenn ich's haben sollt'!
Jesus — o Jesus!"
Der Sprecher fuhr zusammen unter dem Hellen Auf-
lachen des andern; es ging wie schmerzhaft durch seinen
Leib. Rohe Worte folgten dem Lachen. „Haha, mein't-
wegen find'st es oder stiehlst es! Wenn ich nur grad'
das meinige krieg'. Wenn dich nicht erwischen laßt
beim Stehlen oder nicht sehen beim Finden, nachher
kann's schon gut abgehen. Sonst aber müßt' ich's
wieder herausgeben, was nicht dein g'hört!"
Im Gemüt des Grindlingers tauchte neben der
schier sinnlosen Angst ein schwaches Hoffen auf. Mit
flackerndem Blick sah er den andern an. „Hast g'spaßt,
gelt? Um eine Freud' zu haben an meinem Schreck
— gelt du?"
Da zeigte der Helmberger eine jäh verfinsterte
Miene. „Na, aber so was!" fuhr er schroff aus. „Ich
und mit so was spaßen! Wenn g'scheit wärst, thät'
dir so eine Dummheit nicht einfallen! In zwei Wochen
muß ich mein Geld haben, Punktum! Basta!"
Mit fuchtelnder Gebärde fuhren die kurzen Arme
des Grindlingers in der Luft herum, dann langten sie
blitzschnell nach vorwärts, die Hände packten etwas am
Leibe des andern — die eine einen Westenknopf, die
andre eine Rockklappe. Und da hielten sie fest, als
wären sie daran gewachsen. Ganz dicht stand der kleine
Mann vor dem andern und schaute mit flehendem Blick,
zitternder Angst in den Zügen, in das hochmütige Ge-
sicht. „Geh, du brauchst es doch nicht! Du nicht, das
weiß ich! Und hast allweil deine Zinsen 'kriegt, denk
doch dran! Und hör! Der Franzl kommt ja heim,
heut noch, der muß sich gleich umschauen und eine
nehmen. L>o eine, die was hat, ja! Und nachher
kriegst gleich dein ganz's Geld auf einmal. Aber so
lang, ja, so lang mußt mir schon zuwarten, Helm-
berger !"
Der aber schob mit beiden Händen den Sprecher
von sich und hielt ihn mit vorgestemmten Fäusten fern
von seinem Leibe. „Geh du, bleib weg!" stieß er her-
vor. „Ich mag das nicht, bin nicht gern mit einem
so auf der Näh'. Und — und übrigens —" er brach
ab, und seine Rechte fuhr plötzlich tastend über seine
Rocktasche/ Dann sprach er mit einem kurzen, gellen
Auslachen weiter: „Uebrigens hab'ich da meine Brief-
taschen stecken, und — ich lass' mich nicht eppat mit
meinem eignen Geld zahlen! Denn weil schon erst
g'red't hast vom Stehlen, da muß man fürsichtig sein!
Und jetzt haben wir ausg'red't! Wenn du nicht zahlen
kannst, in zwei Wochen, pfänd' ich dir 's Gütl!"
„Jesus!" Der Grindlinger wankte. Gleich darauf
schaute er zum Helmberger empor, regte die Lippen,
als wolle er etwas sagen, schloß sie aber jäh, als er
die grausame Kälte in den Zügen des andern erkannte,
und sich langsam umdrehend, ging er ohne Gruß ins
Haus hinein.
Lachend, mit schwerem, stampfendem Tritt ging der
Helmberger den Weg zurück, den er gekommen.
Eine geraume Weile später torkelte einer auf
schwanken Füßen denselben Weg dahin. Der Grind-
linger. Mit auf die Brust gesenktem Haupt. Als er
au einem reifenden Kornfeld vorüberkam, hielt er
plötzlich an, und sein Kopf hob sich. Das fahle Ge-
sicht wandte sich dem Felde zu, und in den Augen
brannte ein schmerzlicher Blick. „So ein Gott'ssegen,
wie Heuer ist! Und die Freud', die ich g'habt hab'!
Weil ich mich doch leichter thät' Heuer, 'bald das her-
innen wär'! Jetzt aber, jetzt" — die Zähne stießen
aufeinander wie im Fieberschauer — „zwei Wochen —!
Aus ist's mit der Herrlichkeit, was nutzt mich der
Gott'ssegen? Mir ist er keiner, mir nicht!" Und mit
erloschenem Blick kehrte er sich ab und wankte weiter,
dem Sohne entgegen, den er erwartete, der kommen
mußte, heute noch kommen — denn er mußte doch eine
Menschenseele haben, der alte, vom Leben zu früh müde
gewordene Mann; eine Menschenseele, der er sein Leid,
seinen Kummer, seine Verzweiflung mitteilen konnte,
die ihm tragen Helsen konnte, was ihm da zu schwer
werden wollte. Denn daheim in seinem Hose hatte
er wohl sein Weib, aber das lag seit zwei Jahren
von der Gicht beinahe völlig gelähmt zu Bette und
hatte ein schweres Gehör. Wollte er der etwas an-
vertrauen, dann vertraute er es gleichzeitig den
Mauern seines Hauses an, hinter denen die Dienst-
boten ihre Ohren hatten, alles zu hören, und ihre
Zungen, um alles zu beschwatzen. So hatte er sein
schweres Gemüt seit langem mit sich allein herum-
getragen, und die Frondienste, die das Leben von ihm
erforderte, lautlos geleistet. Jetzt aber trug er schwerer
denn je, und jetzt sehnte er sich nach dem Sohn.
Und der kam. Ein ernster, schöner Bursch, schlank
gewachsen, die Glieder kräftig und wohlgesormt. Er
trug die Soldatenmütze noch auf dem Kopfe, aber weit
zurückgeschoben, daß die grelle Abendröte voll auf sein
Gesicht traf — von der weißen Stirn, in die dunkles
Haar fiel, bis hinab zu den tiefroten Lippen, die ein
dunkles, feines Schnurrbärtchen zierte, und zu dem
wohlgeformten, kräftigen Kinn. Froh leuchteten die
Augen dem Vater entgegen, als sie den ersahen, und
die Rechte griff nach der Mütze, riß sie ab und schwenkte
sie. „Jetzt sind s' vorbei, die drei Jahrln, Vater!
Grüß Gott, grüß Gott!"
Aber da ersah der Bursch den seltsamen Gang des
Vaters, der danach war, als käme ein Halbtrunkener
daher. Das Aufleuchten im Blick verlor sich jäh. Mit
zwei Sprüngen stand der Bursch dicht vor dem Vater.
„Ja, Vater, was ist's denn? Kommst ja daher wie
— wie — ja, bist denn krank? Oder wär' mit der
Mutter was g'scheheu? Ha? Wenn doch der Vater