Die infantile Wiederkehr des Totemismus
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eingesetzten Vaters ist eine harte geworden, die Herrschaft der
Autorität steht auf ihrer Höhe. Die unterworfenen Söhne haben
das neue Verhältnis dazu benützt, um ihr Schufdbewußtsein noch
weiter zu entlasten. Das Opfer, wie es jetzt ist, fällt ganz aus ihrer
Verantwortlichkeit heraus. Gott selbst hat es verlangt und ange-
ordnet. Zu dieser Phase gehören Mythen, in welchen der Gott
selbst das Tier tötet, das ihm heilig ist, das er eigentlich selbst ist.
Dies ist die äußerste Verläugnung der großen Untat, mit welcher
die Gesellschaft und das Schuldbewußtsein begann. Eine zweite Be-
deutung dieser letzteren Opferdarstellung ist nicht zu verkennen. Sie
drückt die Befriedigung darüber aus, daß man den früheren Vater-
ersatz zugunsten der höheren Gottesvorstellung verlassen hat. Die
flach allegorische Übersetzung der Szene fällt hier ungefähr mit ihrer
psychoanalytischen Deutung zusammen. Jene lautet: Es werde dar-
gestellt, daß der Gott den tierischen Anteil seines Wesens über-
windet1.
Es wäre indes irrig, wenn man glauben wollte, in diesen
Zeiten der erneuerten Vaterautorität seien die feindseligen Re-
gungen, welche dem Vaterkomplex zugehören, völlig verstummt.
Aus den ersten Phasen der Herrschaft der beiden neuen Vater-
ersatzbildungen, der Götter und der Könige, kennen wir vielmehr
die energischesten Äußerungen jener Ambivalenz, welche für die
Religion charakteristisch bleibt.
Frazer hat in seinem großen Werk »The Golden Bough« die
Vermutung ausgesprochen, daß die ersten Könige der latinischen
Stämme Fremde waren, welche die Rolle einer Gottheit spielten und
in dieser Rolle an einem bestimmten Festtage feierlich hingerichtet
wurden. Die jährliche Opferung<Variante: Selbstopferung) eines Gottes
scheint ein wesentlicher Zug der semitischen Religionen gewesen zu
sein. Das Zeremoniell der Menschenopfer an den verschiedensten
Steilen der bewohnten Erde läßt wenig Zweifel darüber, daß diese
Menschen als Repräsentanten der Gottheit ihr Ende fanden, und
in der Ersetzung des lebenden Menschen durch eine leblose Nach-
ahmung <Puppe> läßt sich dieser Opfergebrauch noch in späte Zeiten
verfolgen. Das theanthropische Gottesopfer, welches ich hier leider
nicht mit der gleichen Vertiefung wie das Tieropfer behandeln kann,
wirft das hellste Licht nach rückwärts auf den Sinn der älteren
Opferformen. Es bekennt mit nicht zu überbietender Aufrichtigkeit,
daß das Objekt der Opferhandlung immer das nämliche war, das-
selbe, was nun als Gott verehrt wird, der Vater also. Die Frage
1 Die Überwindung einer Göttergeneration durch eine andere in den My*
thologien bedeutet bekanntlich den historischen Vorgang der Ersetzung eines reli*
giösen Systems durch ein neues, sei es infolge von Eroberung durch ein Fremd*
volk oder auf dem Wege psychologischer Entwicklung. In letzterem Falle nähert
sich der Mythus den »funktionalen Phänomenen« im Sinne von Fl. Silberer. Dan
der das Tier tötende Gott ein Libidosymbol ist, wie C. G. Jung <1. c.) behauptet,
setzt einen anderen Begriff der Libido als den bisher verwendeten voraus und
erscheint mir überhaupt fragwürdig.
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eingesetzten Vaters ist eine harte geworden, die Herrschaft der
Autorität steht auf ihrer Höhe. Die unterworfenen Söhne haben
das neue Verhältnis dazu benützt, um ihr Schufdbewußtsein noch
weiter zu entlasten. Das Opfer, wie es jetzt ist, fällt ganz aus ihrer
Verantwortlichkeit heraus. Gott selbst hat es verlangt und ange-
ordnet. Zu dieser Phase gehören Mythen, in welchen der Gott
selbst das Tier tötet, das ihm heilig ist, das er eigentlich selbst ist.
Dies ist die äußerste Verläugnung der großen Untat, mit welcher
die Gesellschaft und das Schuldbewußtsein begann. Eine zweite Be-
deutung dieser letzteren Opferdarstellung ist nicht zu verkennen. Sie
drückt die Befriedigung darüber aus, daß man den früheren Vater-
ersatz zugunsten der höheren Gottesvorstellung verlassen hat. Die
flach allegorische Übersetzung der Szene fällt hier ungefähr mit ihrer
psychoanalytischen Deutung zusammen. Jene lautet: Es werde dar-
gestellt, daß der Gott den tierischen Anteil seines Wesens über-
windet1.
Es wäre indes irrig, wenn man glauben wollte, in diesen
Zeiten der erneuerten Vaterautorität seien die feindseligen Re-
gungen, welche dem Vaterkomplex zugehören, völlig verstummt.
Aus den ersten Phasen der Herrschaft der beiden neuen Vater-
ersatzbildungen, der Götter und der Könige, kennen wir vielmehr
die energischesten Äußerungen jener Ambivalenz, welche für die
Religion charakteristisch bleibt.
Frazer hat in seinem großen Werk »The Golden Bough« die
Vermutung ausgesprochen, daß die ersten Könige der latinischen
Stämme Fremde waren, welche die Rolle einer Gottheit spielten und
in dieser Rolle an einem bestimmten Festtage feierlich hingerichtet
wurden. Die jährliche Opferung<Variante: Selbstopferung) eines Gottes
scheint ein wesentlicher Zug der semitischen Religionen gewesen zu
sein. Das Zeremoniell der Menschenopfer an den verschiedensten
Steilen der bewohnten Erde läßt wenig Zweifel darüber, daß diese
Menschen als Repräsentanten der Gottheit ihr Ende fanden, und
in der Ersetzung des lebenden Menschen durch eine leblose Nach-
ahmung <Puppe> läßt sich dieser Opfergebrauch noch in späte Zeiten
verfolgen. Das theanthropische Gottesopfer, welches ich hier leider
nicht mit der gleichen Vertiefung wie das Tieropfer behandeln kann,
wirft das hellste Licht nach rückwärts auf den Sinn der älteren
Opferformen. Es bekennt mit nicht zu überbietender Aufrichtigkeit,
daß das Objekt der Opferhandlung immer das nämliche war, das-
selbe, was nun als Gott verehrt wird, der Vater also. Die Frage
1 Die Überwindung einer Göttergeneration durch eine andere in den My*
thologien bedeutet bekanntlich den historischen Vorgang der Ersetzung eines reli*
giösen Systems durch ein neues, sei es infolge von Eroberung durch ein Fremd*
volk oder auf dem Wege psychologischer Entwicklung. In letzterem Falle nähert
sich der Mythus den »funktionalen Phänomenen« im Sinne von Fl. Silberer. Dan
der das Tier tötende Gott ein Libidosymbol ist, wie C. G. Jung <1. c.) behauptet,
setzt einen anderen Begriff der Libido als den bisher verwendeten voraus und
erscheint mir überhaupt fragwürdig.