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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 2.1913

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Freud, Sigmund: Über einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und der Neurotiker, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.42095#0411

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Sigm. Freud

nach dem Verhältnis von Tier- und Menschenopfer findet jetzt eine
einfache Lösung. Das ursprüngliche Tieropfer war bereits ein Er-
satz für ein Menschenopfer, für die feierliche Tötung des Vaters,
und als der Vaterersatz seine menschliche Gestalt wieder erhielt,
konnte sich das Tieropfer auch wieder in das Menschenopfer ver-
wandeln.
So hatte sich die Erinnerung an jene erste große Opfertat als
unzerstörbar erwiesen, trotz aller Bemühungen sie zu vergessen, und
gerade als man sich von ihren Motiven am weitesten entfernen
wollte, mußte in der Form des Gottesopfers ihre unentstellte Wieder-
holung zutage treten. Welche Entwicklungen des religiösen Denkens
als Rationalisierungen diese Wiederkehr ermöglicht haben, brauche
ich an dieser Stelle nicht auszuführen. Robertson Smith, dem ja
unsere Zurückführung des Opfers auf jenes große Ereignis der
menschlichen Urgeschichte ferne liegt, gibt an, daß die Zeremonien
jener Feste, mit denen die alten Semiten den Tod einer Gottheit
feierten, als »commemoration of a mythical tragedy« aus-
gelegt wurden, und daß die Klage dabei nicht den Charakter einer
spontanen Teilnahme hatte, sondern etwas Zwangsmäßiges, von der
Furcht vor dem göttlichen Zorn Gebotenes an sich trug1. Wir glauben
zu erkennen, daß diese Auslegung im Rechte war, und daß die Ge-
fühle der Feiernden in der zugrunde liegenden Situation ihre gute
Aufklärung fanden.
Nehmen wir es nun als Tatsache hin, daß auch in der weiteren
Entwicklung der Religionen die beiden treibenden Faktoren, das
Schuldbewußtsein des Sohnes und der Sohnestrotz, niemals erlöschen.
Jeder Lösungsversuch des religiösen Problems, jede Art der Ver-
söhnung der beiden widerstreitenden seelischen Mächte wird all-
mählich hinfällig, wahrscheinlich unter dem kombinierten Einfluß von
kulturellen Änderungen, historischen Ereignissen und inneren psychE
sehen Wandlungen.
Mit immer größerer Deutlichkeit tritt das Bestreben des
Sohnes hervor, sich an die Stelle des Vatergottes zu setzen. Mit
der Einführung des Ackerbaues hebt sich die Bedeutung des Sohnes
in der patriarchalischen Familie. Er getraut sich neuer Äußerungen
seiner inzestuösen Libido, die in der Bearbeitung der Mutter Erde
eine symbolische Befriedigung findet. Es entstehen die Göttergestalten
des Ättis, Adonis, Tammuz u. a., Vegetationsgeister und zugleich
jugendliche Gottheiten, welche die Liebesgunst mütterlicher Gott-
heiten genießen, den Mutterinzest dem Vater zum Trotze durch-
setzen. Allein das Schuldbewußtsein, welches durch diese Schöpfung
1 Religion of the Semites, p. 412—413. »The mourning is not a sponta-
neous expression of sympathy with the divine tragedy but obligatory and enforced
by fear of supernatural anger. And a chief object of the mourners is to dis^
claim responsibility for the gods death — a point which has already come
hefore us in connection with theanthropic sacrifices, such as the »oxmurder at
Athens«.
 
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