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Sigm. Freud
Orpheus selbst — so stört uns hier doch die Abweichung, daß die
Mordtat an einem jugendlichen Gott vollzogen wird.
Im christlichen Mythus ist die Erbsünde der Menschen un-
zweifelhaft eine Versündigung gegen Gottvater. Wenn nun Christus
die Menschen von dem Druck der Erbsünde erlöst, indem er sein
eigenes Leben opfert, so zwingt er uns zu dem Schluß, daß diese
Sünde eine Mordtat war. Nach dem im menschlichen Fühlen tief-
gewurzelten Gesetz der Talion kann ein Mord nur durch die Opferung
eines anderen Lebens gesühnt werden,- die Selbstaufopferung weist
auf eine Blutschuld zurück1. lind wenn dieses Opfer des eigenen
Lebens die Versöhnung mit Gottvater herbeiführt, so kann das
zu sühnende Verbrechen kein anderes als der Mord am Vater ge-
wesen sein.
So bekennt sich denn in der christlichen Lehre die Menschheit
am unverhülltesten zu der schuldvollen Tat der Urzeit, weil sie nun
im Opfertod des einen Sohnes die ausgiebigste Sühne für sie ge-
funden hat. Die Versöhnung mit dem Vater ist um so gründlicher,
weil gleichzeitig mit diesem Opfer der volle Verzidit auf das Weib
erfolgt, um dessen Willen man sich gegen den Vater empört hatte.
Aber nun fordert auch das psychologische Verhängnis der Ambi-
valenz seine Rechte. Mit der gleichen Tat, weldre dem Vater die
größtmögliche Sühne bietet, erreicht auch der Sohn das Ziel seiner
Wünsche gegen den Vater. Er wird selbst zum Gott neben, eigent-
lich an Stelle des Vaters. Die Sohnesreligion löst die Vaterreligion
ab. Zum Zeichen dieser Ersetzung wird die alte Totemmahlzeit als
Kommunion wieder belebt, in welcher nun die Brüderschar vom
Fleisch und Blut des Sohnes, nicht mehr des Vaters, genießt, sich
durch diesen Genuß heiligt und mit ihm identifiziert. Unser Blick
verfolgt durch die Länge der Zeiten die Identität der Totemmahlzeit
mit dem Tieropfer, dem theanthropischen Menschenopfer und mit
der christlichen Eucharistie und erkennt in all diesen Feierlichkeiten
die Nahwirkung jenes Verbrechens, welhes die Menshen so sehr
bedrückte, und auf das sie doch so stolz sein mußten. Die christliche
Kommunion ist aber im Grunde eine neuerliche Beseitigung des
Vaters, eine Wiederholung der zu sühnenden Tat. Wir merken,
wie berehtigt der Satz von Frazer ist, daß »the Christian com=-
munion has absorbed within itself a sacrament whidi is doubtless
far older than Christianity«2,
7.
Ein Vorgang wie die Beseitigung des Urvaters durch die
Briidershar mußte unvertilgbare Spuren in der Geschichte der Mensch^
1 Die Selbstmordimpulse unserer Neurotiker erweisen sich regelmäßig als
Selbstbestrafungen für Todeswünsche, die gegen andere gerichtet sind.
2 Eating the God, p. 51. . . . Niemand, der mit der Literatur des Gegen*
Standes vertraut ist, wird annehmen, daß die Zurückführung der christlichen Korn*
munion auf die Totemmahlzeit eine Idee des Schreibers dieses Aufsatzes sei.
Sigm. Freud
Orpheus selbst — so stört uns hier doch die Abweichung, daß die
Mordtat an einem jugendlichen Gott vollzogen wird.
Im christlichen Mythus ist die Erbsünde der Menschen un-
zweifelhaft eine Versündigung gegen Gottvater. Wenn nun Christus
die Menschen von dem Druck der Erbsünde erlöst, indem er sein
eigenes Leben opfert, so zwingt er uns zu dem Schluß, daß diese
Sünde eine Mordtat war. Nach dem im menschlichen Fühlen tief-
gewurzelten Gesetz der Talion kann ein Mord nur durch die Opferung
eines anderen Lebens gesühnt werden,- die Selbstaufopferung weist
auf eine Blutschuld zurück1. lind wenn dieses Opfer des eigenen
Lebens die Versöhnung mit Gottvater herbeiführt, so kann das
zu sühnende Verbrechen kein anderes als der Mord am Vater ge-
wesen sein.
So bekennt sich denn in der christlichen Lehre die Menschheit
am unverhülltesten zu der schuldvollen Tat der Urzeit, weil sie nun
im Opfertod des einen Sohnes die ausgiebigste Sühne für sie ge-
funden hat. Die Versöhnung mit dem Vater ist um so gründlicher,
weil gleichzeitig mit diesem Opfer der volle Verzidit auf das Weib
erfolgt, um dessen Willen man sich gegen den Vater empört hatte.
Aber nun fordert auch das psychologische Verhängnis der Ambi-
valenz seine Rechte. Mit der gleichen Tat, weldre dem Vater die
größtmögliche Sühne bietet, erreicht auch der Sohn das Ziel seiner
Wünsche gegen den Vater. Er wird selbst zum Gott neben, eigent-
lich an Stelle des Vaters. Die Sohnesreligion löst die Vaterreligion
ab. Zum Zeichen dieser Ersetzung wird die alte Totemmahlzeit als
Kommunion wieder belebt, in welcher nun die Brüderschar vom
Fleisch und Blut des Sohnes, nicht mehr des Vaters, genießt, sich
durch diesen Genuß heiligt und mit ihm identifiziert. Unser Blick
verfolgt durch die Länge der Zeiten die Identität der Totemmahlzeit
mit dem Tieropfer, dem theanthropischen Menschenopfer und mit
der christlichen Eucharistie und erkennt in all diesen Feierlichkeiten
die Nahwirkung jenes Verbrechens, welhes die Menshen so sehr
bedrückte, und auf das sie doch so stolz sein mußten. Die christliche
Kommunion ist aber im Grunde eine neuerliche Beseitigung des
Vaters, eine Wiederholung der zu sühnenden Tat. Wir merken,
wie berehtigt der Satz von Frazer ist, daß »the Christian com=-
munion has absorbed within itself a sacrament whidi is doubtless
far older than Christianity«2,
7.
Ein Vorgang wie die Beseitigung des Urvaters durch die
Briidershar mußte unvertilgbare Spuren in der Geschichte der Mensch^
1 Die Selbstmordimpulse unserer Neurotiker erweisen sich regelmäßig als
Selbstbestrafungen für Todeswünsche, die gegen andere gerichtet sind.
2 Eating the God, p. 51. . . . Niemand, der mit der Literatur des Gegen*
Standes vertraut ist, wird annehmen, daß die Zurückführung der christlichen Korn*
munion auf die Totemmahlzeit eine Idee des Schreibers dieses Aufsatzes sei.