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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 6.1920

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Lorenz, Emil: Der politische Mythus: Probleme und Vorarbeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.25677#0053
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Der politische Mythus

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schlossen wird, denen jener unterworfen ist, so ergibt sich die
weitere Aufgabe, den Herrscher versuchsweise in Beziehung zu
setzen zu den übrigen Personen, die vorzugsweise von jener ambi-
valenten Bewertung betroffen werden. Unter diesem Gesiditspunkte
ist es klar, daß er als eine Erneuerung der Vater-Imago anzusehen
ist. Zugleich fällt es uns ein, daß diese Ineinssetzung im Traum
und Mythus bereits vor sich gegangen ist,- eine psychologische
Entwicklung, die von Otto Rank im »Mythus von der Geburt
des Helden« geschildert wurde. Es wäre nur noch erforderlidt,
diese psychologisch erschlossene Entwicklung an der Hand der
Kulturgeschichte ins Einzelne zu verfolgen.

Der leitende Faden, der uns durch die Mannigfaltigkeit dieser
Erscheinungen hindurchgeleitet, ist die Erwägung, daß es eine
Stufenreihe von Autoritäten ist, die auf diese Weise zu einer
begrifflichen Einheit verbunden wird. Dieser Gesichtspunkt gibt uns
nun ein Mittel in die Hand, das von Freud <a. a. O, S. 47) ge-
stellte Problem, wieso die Gefühlseinstellung gegen die Herrscher
einen so mächtigen unbewußten Beitrag von Feindseligkeit enthalten
sollte, ein Stüdcchen zu fördern.

Sämtliche Autoritäten, zu denen der Mensch während seines
Lebens in Beziehung tritt, kommen darin überein, daß sie entweder
unser Handeln oder unser Denken in seinem (scheinbar) natur-
gemäßen, d, h. dem Lustprinzip folgenden Lauf behindern. Zieht
man nun in Betradtt, daß es auf der anderen Seite einen letzthin
wieder aus demselben Prinzip stammenden Willen, sich führen zu
lassen, gibt, so wäre damit ein labiler Gefühlszustand gegeben, von
der jedoch keiner der beiden Pole an sich unbewußt zu sein brauchte.
Vielmehr ließe sich denken, daß sie sich in einem durch die je-
weiligen Erlebnisse bedingten Oszillieren befänden. Dieser Zustand
mag nun in vielen Fällen wirklich statthaben. Daß jedoch einer der
beiden Pole (es braucht nicht immer der negative zu sein) dauernd
unbewußt bleibt, dazu bedarf es eines anderen Prinzips, beziehungs-
weise einer affektiven Macht.

Dieses Prinzip aber ist das der Stetigkeit, demzufolge nichts,
was jemals als erster Eindrude uns affektiv erregt hat, völlig ver^
schwinden kann, sondern bestimmend auf sämtliche ähnliche Erleb-
nisse des späteren Lebens einwirkt, die damit samt und sonders zu
mehr dimensionalen Größen werden. Dies geschieht in concreto so,
daß nicht nur die Erlebnisformen, sondern auch die Inhalte samt
den daran haftenden Affekten auf die späteren Glieder der Reihe
übertragen werden, So bildet die VaterHmago den Hintergrund,
der alle späteren Autoritäten überschattet. Und diese haben teil an
der aus dem Ödipuskomplexe stammenden unbewußten Ver-
stärkung von Liebe und Haß, die ihnen unter anderen Umständen
nicht zukäme.

Daß dieser vielberufene Komplex hier kein bloßes asylum
ignorantiae ist, geht noch aus anderen Zügen hervor, die ein
 
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