Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften (7.1921)

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P. C. van der Wolk

DerUrgedanke der Volkszeremonie war und ist ein individueller.
Bekannt ist der Aussprudi: Solange nodi ein MensA lebt, lebt auch
der UrmensA nodi. Demgemäß dürfen wir auA sagen: Solange noA
ein MensA am Leben ist, lebt noA die ganze MensAheit mit all
ihren Sitten, BräuAen, seltsamen Zeremonien, bizarren Ritualen.
Die PsyAoanalyse maAt es evident, daß durA das Studium
des Neurotikers, durA das Studium der Entstehung von Zwangs-
handlungen das Wesen und die Entstehung manAer Volkszeremonien
aufgeklärt wird. Aber derartige Zeremonien wurzeln gewöhnliA in
der fernen .grauen Vorzeit,- d. h. sie sind in ferner Vergangenheit
als offizieller Kultus entstanden und geformt worden. Aber der
zugrundeliegende Gedanke offenbart siA noA heutigestags im Indi-
viduum, und zwar durAaus unabhängig vom VolksbrauA selbst.
Wenn heute irgend eine uralte Zeremonie völlig der Vergessenheit
anheimhele, z. B. dadurA, daß die Gehirne beim DurAgang der
Erde durA den SAweif eines Kometen vergiftet würden, so würde
sie von heute auf morgen wieder aus eigener Kraft genau ähnliA
aus der Zwangshandlung irgend eines religiös Überspannten neu
entstehen. Denn die Volkszeremonie, der offizielle Dienst der
Gottheit, ist ein sekundäres,- das Primäre ist der Zwangsgedanke,
der dem Leben der MensAenseele inhärent ist und siA heute noA
in eben derselben Weise manifestiert. Die große Kraft und Bedeutung
der psyAoanalytisAen UntersuAung liegt darin, daß sie das Wesen
der Volks- und ReligionsbräuAe zu erforsAen vermag. Aber es
liegt auf der Hand, daß solA eine Zwangshandlung, wenn sie einmal
zur Volkszeremonie geworden ist, durA philosophisAe Zutaten, durA
VersAönerungssuAt, durA religiöse Umwälzungen und namentliA
durA Kombination mit anderen Zeremonien, durA VernaAlässigung
und manAe andere Faktoren stark modifiziert wird. Die meisten sind
entstellt, bis zur UnkenntliAkeit verstümmelt, nur bruAstückweise auf
uns gekommen und niAt am wenigsten bei der Übernahme von
BräuAen. GewöhnliA ist die BrforsAung des Wesens der Volks-
rituale an der Hand des TatsaAenmaterials Nervenkranker und Irr-
sinniger ein SuAen, ein Kombinieren, ein feines Herumtasten in der
etwaigen Bedeutung überlieferter Fragmente, alter Literaturreste, alter
Symbole,- spielte ja die Symbolik im Altertum, wo jene BräuAe ent-
standen sind, eine so sehr hervorragende Rolle. Aber sei es auA
ein feinfühliges Tasten, ein sAarfsinniges Kombinieren und öfters
vielleiAt auA ein Irren,- der Grundgedanke steht unumstößliA fest:
die psyAoanalytisAe ForsAung kann früher oder später die alte,
unverständliAe, entartete Volkszeremonie, Ritual oder ähnliAe
Gebilde aufklären.
Die Kenntnis der psyAoanalytisAen Resultate sowie die
Kenntnis der psyAoanalytisAen Methode werden bald für den
modernen Ethnologen Grundsteine einer WissensAaft bilden.
Derjenige, der völlig außerhalb jener neuen, obgleiA welt-
erobernden WissensAaft steht, wird anfängliA einigen Äußerungen