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Dr. Alfred Winterstein
Der Sammter.
Von Dr. ALFRED WiNTERSTEtN.
T \ie Bestätigungen, die den Wahrheiten der PsyAoanalyse aus
sder schönen Literatur erwachsen, haben im Laufe der letzten
-B—Jahre immer mehr an Wert verloren. Je größere Verbreitung
die — oft uneingestandene — Beschäftigung der Künstler mit der
Psychoanalyse gefunden hat. Man darf vielleicht gegenwärtig unter
den Dichtern dreierlei Typen unterscheiden: der erste schafft auch
heute noch völlig naiv* aus dem Unbewußten, der zweite hält sich
zwar beim Produzieren die Psychoanalyse ängstliA vom Leibe —
ob mit unbedingtem Erfolge, muß bezweifelt werden —, wird aber
seine Kenntnis der Trieblehre bei einer anderen Gelegenheit, z. B.
als Kritiker, betätigen, der dritte Typus di&tet sozusagen naA
psydioanalytisAem Rezept.
Zu der ersten Gattung, den aus diAterisAer Intuition gezeugten
Kunstwerken, die unbewußt psyAoanalytisAen Erkenntnissen Ge-
stalt und Leben geben, gehört, wie mir sAeint, die Erzählung »Der
Sammlern von Viktor Fleischer (bei E. P. Tal Co., 1920>.
Die durA eine ganze Anzahl treffender BeobaAtungen und feiner
Einzelzüge ausgezeiAnete Novelle bildet eine sAöne Illustration zu
der psyAoanalytisAen iheorie von der Pathogenese der Paranoia
und enthält auA eine wertvolle SAilderung narzißtisAer und .anaL
erotisAer Charakterzüge, deren künstlerisAe Bewältigung im alf-
gemeinen auf größere SAwierigkeiten stößt als die diAterisAe Be-
handlung des Ödipuskomplexes.
Die Charakterstudie »Der Sammlern nimmt siA, ähnliA wie
Schnitzlers »Doktor Gräsler — Badeärzte oder Alfred v. Bergers
»Hofrat Eysenhardte, das Problem des Mannes von fünfzig Jahren
in einer seiner vielen Gestaltungen zum Gegenstände,- denn wenn-
gleiA jeder direkte Hinweis auf das Alter des Helden der Erzählung,
des pensionierten Hofrates Baumgartner, fehlt, dürfen wir dennoch
aus guten Gründen vermuten, daß er siA in jener auA für das
Sexualleben des Mannes kritisAen Lebenszeit befindet, die naA dem
vierten Jahrzehnt einzusetzen pflegt.
Jeder Leser sollte nun, bevor er meinen Ausführungen weiter
folgt, die Erzählung unmittelbar auf siA wirken lassen,- keine Inhalts-
angabe vermöAte nämliA den Eindrude von Eris Ae und Lebens-
t Ich meine: naiv in bezug auf die Psychoanalyse.
Dr. Alfred Winterstein
Der Sammter.
Von Dr. ALFRED WiNTERSTEtN.
T \ie Bestätigungen, die den Wahrheiten der PsyAoanalyse aus
sder schönen Literatur erwachsen, haben im Laufe der letzten
-B—Jahre immer mehr an Wert verloren. Je größere Verbreitung
die — oft uneingestandene — Beschäftigung der Künstler mit der
Psychoanalyse gefunden hat. Man darf vielleicht gegenwärtig unter
den Dichtern dreierlei Typen unterscheiden: der erste schafft auch
heute noch völlig naiv* aus dem Unbewußten, der zweite hält sich
zwar beim Produzieren die Psychoanalyse ängstliA vom Leibe —
ob mit unbedingtem Erfolge, muß bezweifelt werden —, wird aber
seine Kenntnis der Trieblehre bei einer anderen Gelegenheit, z. B.
als Kritiker, betätigen, der dritte Typus di&tet sozusagen naA
psydioanalytisAem Rezept.
Zu der ersten Gattung, den aus diAterisAer Intuition gezeugten
Kunstwerken, die unbewußt psyAoanalytisAen Erkenntnissen Ge-
stalt und Leben geben, gehört, wie mir sAeint, die Erzählung »Der
Sammlern von Viktor Fleischer (bei E. P. Tal Co., 1920>.
Die durA eine ganze Anzahl treffender BeobaAtungen und feiner
Einzelzüge ausgezeiAnete Novelle bildet eine sAöne Illustration zu
der psyAoanalytisAen iheorie von der Pathogenese der Paranoia
und enthält auA eine wertvolle SAilderung narzißtisAer und .anaL
erotisAer Charakterzüge, deren künstlerisAe Bewältigung im alf-
gemeinen auf größere SAwierigkeiten stößt als die diAterisAe Be-
handlung des Ödipuskomplexes.
Die Charakterstudie »Der Sammlern nimmt siA, ähnliA wie
Schnitzlers »Doktor Gräsler — Badeärzte oder Alfred v. Bergers
»Hofrat Eysenhardte, das Problem des Mannes von fünfzig Jahren
in einer seiner vielen Gestaltungen zum Gegenstände,- denn wenn-
gleiA jeder direkte Hinweis auf das Alter des Helden der Erzählung,
des pensionierten Hofrates Baumgartner, fehlt, dürfen wir dennoch
aus guten Gründen vermuten, daß er siA in jener auA für das
Sexualleben des Mannes kritisAen Lebenszeit befindet, die naA dem
vierten Jahrzehnt einzusetzen pflegt.
Jeder Leser sollte nun, bevor er meinen Ausführungen weiter
folgt, die Erzählung unmittelbar auf siA wirken lassen,- keine Inhalts-
angabe vermöAte nämliA den Eindrude von Eris Ae und Lebens-
t Ich meine: naiv in bezug auf die Psychoanalyse.