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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 7.1921

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Hug-Hellmuth, Hermine von: Vom wahren Wesen der Kinderseele: vom "mittleren" Kinde
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https://doi.org/10.11588/diglit.28545#0092
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Dr. Hermine Hug-HeHmuth

Vom wahren Wesen der Kinderseete.
Redigiert von Dr. H. HUG^HBLLMUTH.
Vom s>mittleren<K Kinde.
Von Dr. HERMINE HUG^HBLLMUTH.
X"V^7*ir sind gewohnt zu hören, daß dem »einzigen« Kinde aus seiner
\A/ Sonderstellung in der Familie eine ganz eigenartige Entwicklung
erwachse, die keineswegs als günstige zu bezeichnen und von den
Eltern nicht beabsichtigt und erwartet ist. Durch ihre verzärtelnde Liebe,
die es zum Mittelpunkt des Hauses macht, verwöhnt, sucht das »Einzige«
allerorten ein gleiAes Übermaß von Neigung. Sein Streben, überall Hahn
im Korb zu sein, seine Unfähigkeit, siA anderen Kindern anzupassen,
maAen es unbeliebt und verschärfen den Gegensatz zwischen der liebe-
geschwängerten Atmosphäre daheim und der gefühlskälteren weiteren Um-
welt. Die Frühreife, zu der das geschwisterlose Kind sich im steten ein-
seitigen Verkehr mit den Erwachsenen entwiAelt, wird von den Eltern in
der Regel als Anzeichen einer ungewöhnlich hohen Begabung, einer großen
Bestimmung im Leben gewertet und die EnttäusAung ist groß, wenn die
Originalität seiner AussprüAe erlisAt, sobald das »Einzige« in die SAule
kommt. In dem neuen Kreise, in dem es eins unter vielen wird, vermißt
es zum ersten Male die gewohnte ÜbersAätzung seines IA. Es fühlt siA
zurü&gesetzt. Häufig will es durA VordringliAkeit BeaAtung erzwingen,-
gelingt ihm dies niAt, dann wird es empfindliA, widerspenstig gegen die
Lehrer, reAthaberisA, unverträgliA gegen die MitsAüler. Es bietet im
Kleinen das Bild des asozialen MensAen, der es dereinst wird. Oft versagt
es in Bälde im Lernen, weil es dank der aussAließliAen GesellsAaft der
ErwaAsenen »sAon alles weiß« — kurz das verhätsAelte, verzogene
Wunderkind wandelt siA in ein sAwer erziehbares, »nervöses« Kind, das
früher oder später sAlimmen SAiffbruA leidet an den Klippen des sozialen
Lebens.
In reAt ähnliAer Weise vollzieht siA das SAiAsal des »Lieblings^
kindes«. VielleiAt wird ihm das ZureAtfinden im Leben noA sAwerer,
weil siA das GlüA seines Kinderdaseins auf der Zurü&setzung der Ge-
sAwister aufbaute und weil es also überall zu seiner Zufriedenheit die
Bevorzugung gegenüber GleiAbereAtigten brauAt. Streit und Mißgunst der
GesAwister läßt es seine Ausnahmestellung doppelt lastvoll empfinden und
die gleiAe Konstellation suAt es sein ganzes Leben.
Die psyAoanalytisAe ForsAung hat wiederholt darauf hingewiesen,
daß auA dort, wo mehrere GesAwister unter den freundliAsten Lebens^
bedingungen aufwaAsen, niAt das paradiesisAe GlüA herrsAt, das der
Laie so gern dem Kindergemüt andiAten möAte. Wir wissen, daß das
 
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