Psychoanalytische Gesichtspunkte zur Psychogenese der Moral etc. 237
PsyAoanatytische Gesichtspunkte zur PsyAogenese
der Mora), insbesondere des moratisAen Aktes'.
Von Dr. CARL MÜLLER^BRAUNSCHWBIG, Berlin.
T ^he iA an die eigentliAe Unterst! Aung herangehe, lassen Sie
T——1 miA deren Gegenstand umsAreiben. Was wollen wir unter
^Mnral hier verstehen? Man spriAt von der Moral einer Zeit
oder eines Volkes. In diesem unbestimmten Sinne wollen wir Moral
hier niAt verstanden wissen, sondern in dem Sinne eines Lebens
und Handelns gemäß bestimmten Normen oder Idealen.
Dieses Leben naA Normen trägt zum Teil einen habituellen
Charakter. Bs fällt niAt weiter auf, wenn der gegenwärtige Kultur^
mensA im allgemeinen niAt stiehlt und mordet. Man könnte Moral
in diesem Sinne statisA nennen. Die BetraAtung dieser habituellen
statisAen Moral verdunkelt nun aber ein Moment, um das es uns
hier besonders zu tun ist, iA meine den ursprüngliAen Spannungs-
Aarakter des MoralisAen, den Charakter einer Spannung zwisAen
dem fordernden Ideal und dem siA zunäAst resistent verhaltenden
Triebleben.
Diese Äußerung der Moral, die wir die dynamisAe nennen
könnten, zeigt siA mehr in außergewöhnliAen Situationen eines
inneren Konfliktes. Wir mögen uns hier erinnern an das KantisAe
Beispiel des Depositums^, in welAem jemand in der Lage wäre,
ohne die geringste äußere UnannehmliAkeit fürAten zu brauAen,
ein ihm anvertrautes Gut an siA zu nehmen, siA aber durA die
bloße Vorstellung der PHiAtwidrigkeit einer solAen Handlung dazu
bestimmen läßt, es dem Willen des verstorbenen Depositärs gemäß
zu verwenden. Oder wir mögen uns vorstellen, daß wir in die
Lage versetzt werden, über einen verhaßten Rivalen eine gutaAt-
liAe Äußerung zu tun. Wir wissen, daß ein kleines eingesAobenes
Wort, eine winzige Geste genügen könnte, bei dem siA BrkundL
genden einen Eindrudt hervorzurufen, der wohl unserem Haß ent-
spreAen und unserem Vorteil zugute kommen, aber niAt unserem
GereAtigkeitsgefühl genügen würde. Jeder, der die mensAliAe Natur
im allgemeinen und siA selbst im besonderen besser, als das durA-
sAnittliA der Fall ist, kennt, wird solAe Situationen in siA erlebt
* Vortrag, gehaiten in der Beriiner Ortsgruppe am 11. November 1920.
2 Kritik der praktischen Vernunft 1. T., 1. B., 1. Hauptst., § 4.
PsyAoanatytische Gesichtspunkte zur PsyAogenese
der Mora), insbesondere des moratisAen Aktes'.
Von Dr. CARL MÜLLER^BRAUNSCHWBIG, Berlin.
T ^he iA an die eigentliAe Unterst! Aung herangehe, lassen Sie
T——1 miA deren Gegenstand umsAreiben. Was wollen wir unter
^Mnral hier verstehen? Man spriAt von der Moral einer Zeit
oder eines Volkes. In diesem unbestimmten Sinne wollen wir Moral
hier niAt verstanden wissen, sondern in dem Sinne eines Lebens
und Handelns gemäß bestimmten Normen oder Idealen.
Dieses Leben naA Normen trägt zum Teil einen habituellen
Charakter. Bs fällt niAt weiter auf, wenn der gegenwärtige Kultur^
mensA im allgemeinen niAt stiehlt und mordet. Man könnte Moral
in diesem Sinne statisA nennen. Die BetraAtung dieser habituellen
statisAen Moral verdunkelt nun aber ein Moment, um das es uns
hier besonders zu tun ist, iA meine den ursprüngliAen Spannungs-
Aarakter des MoralisAen, den Charakter einer Spannung zwisAen
dem fordernden Ideal und dem siA zunäAst resistent verhaltenden
Triebleben.
Diese Äußerung der Moral, die wir die dynamisAe nennen
könnten, zeigt siA mehr in außergewöhnliAen Situationen eines
inneren Konfliktes. Wir mögen uns hier erinnern an das KantisAe
Beispiel des Depositums^, in welAem jemand in der Lage wäre,
ohne die geringste äußere UnannehmliAkeit fürAten zu brauAen,
ein ihm anvertrautes Gut an siA zu nehmen, siA aber durA die
bloße Vorstellung der PHiAtwidrigkeit einer solAen Handlung dazu
bestimmen läßt, es dem Willen des verstorbenen Depositärs gemäß
zu verwenden. Oder wir mögen uns vorstellen, daß wir in die
Lage versetzt werden, über einen verhaßten Rivalen eine gutaAt-
liAe Äußerung zu tun. Wir wissen, daß ein kleines eingesAobenes
Wort, eine winzige Geste genügen könnte, bei dem siA BrkundL
genden einen Eindrudt hervorzurufen, der wohl unserem Haß ent-
spreAen und unserem Vorteil zugute kommen, aber niAt unserem
GereAtigkeitsgefühl genügen würde. Jeder, der die mensAliAe Natur
im allgemeinen und siA selbst im besonderen besser, als das durA-
sAnittliA der Fall ist, kennt, wird solAe Situationen in siA erlebt
* Vortrag, gehaiten in der Beriiner Ortsgruppe am 11. November 1920.
2 Kritik der praktischen Vernunft 1. T., 1. B., 1. Hauptst., § 4.