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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 10.1924

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Heft 2 u. 3
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Róheim, Géza: Die Sedna-Sage
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https://doi.org/10.11588/diglit.36527#0172
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160 Dr. Geza Röheim

wegen ihrer Sünden (Übertretungen der Tabus) im vergangenen Jahre
gerügt, es wird ihnen aber zugleich gute Gesundheit und reiche Beute in
Aussicht gestellt, wenn sie sich künftighin bessern. Sie verspricht den
Leuten durch den Mund der Angakut, daß sie bald zu Besuch kommen
werde. Diese sind mit der Harpune in Bereitschaft, um Sedna wie eine
Seehündin zu fangen. Sie erscheint auch, gleitet aber wieder zurück in
die Meerestiefe. Die Leute versuchen ihre Ankunft durch Frauenaustausch
zu beschleunigen. Nun fährt die Seele des Angakut hinunter zu Sedna und
sticht sie mit einem großen Messer. Wenn er aus seinem Trancezustand
erwacht und sein Messer mit Blut bedeckt ist, wird dies als günstiges
Zeichen betrachtet.
Im kommenden Jahr wird es genug zu essen geben, denn Sedna ist
den Menschen freundlich gesinnt, wenn es ihnen gelungen ist, sie zu
schneiden. Die Eskimo können freilich diese merkwürdige Lust, die Sedna
das Geschnittenwerden bereitet, nicht recht erklären: sie sagen nur, die
Göttin fühle sich danach bedeutend wohler und es sei dasselbe, wie wenn
man einer Durstenden Wasser reiche.* Diese Angaben beziehen sich auf
die Einwohner des Baffinlandes und der Hudsonbai; es ist dem hinzuzufügen,
daß genau dieselbe Zeremonie bei den Zentralstämmen beobachtet wird,
jedoch nicht mit dem Zweck, um Sedna heranzulocken, sondern um sie
zu vertreiben. Am Herbstfest erscheinen die Totengeister angeführt von
Sedna, der Herrin der Unterwelt, und ihrem Vater, der über die toten
Inuit herrscht. Den Schamanen liegt es ob, die Geister zu verjagen und
die Sedna zu vertreiben. Auf dem Boden der Hütte wird ein Seehundsloch
gemacht. Zwei Schamanen warten nun mit der Seehundsharpune, bis die
Sedna erscheint. Wenn sie dann kommt, wird sie verwundet und kehrt in
die Unterwelt zurück. Nachdem Sedna und die bösen Geister verjagt worden
sind, veranstaltet jung und alt ein großes Fest. Sie müssen jedoch alle
auf der Hut sein und die Schutzamulette auf den Kapuzen tragen, denn
alle fürchten sich vor der Wut der verwundeten Sedna. Diese Amulette
sind aus den ersten Kinderkleidern hergestellt A Von Kapitän Much erfahren
wir weitere wichtige Einzelheiten: Obwohl die Sedna hier nicht vertrieben
sondern herangelockt wurde, wird sie an dem Tage nach der Schneide-
zeremonie doch genau wie sonst gefürchtet. Jeder trägt ein Amulett aus
der Haut des Tieres hergestellt, welche die Mutter benützte, um den
1) F. Boas: The Eskimo of Baffin Land and Hudson Bay. Bull. Am. Mus. Nat.
Hist. XV. 1301, igg.
2) F. Boas: The Central Eskimo. VI. Annual Report. 604.
 
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