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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 11.1925

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Heft 4
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Hermann, Imre: Gustav Theodor Fechner: Vortrag in der Ungarischen Psychoanalytischen Vereinigung, 1924
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https://doi.org/10.11588/diglit.36528#0426

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410 Dr. Imre Hermann

befriedigten Betätigungswunsche. Bei den Säuglingen kultureller Menschen ist
die (adäquate) Befriedigung der Handzone hauptsächlich auf die Zeit der
einzelnen Nahrungsaufnahmen an der Brust beschränkt^ Da zeigt sie also
schon eine Verknüpfung mit der Mundzone.^ Und es kann theoretisch
abgeleitet werden, daß diese Verknüpfung eigentlich schon phylogenetisch vor-
handen und das eigentlich Primäre ist. Man kann die Theorie aufstellen, daß
die Mundzone mit der Handzone ein einheitliches erogenes System
bildet, das Mund-Hand-System, welches quasi als ein kommunizierendes
Gefäß aufzufassen ist, mit zwei empfindlichen Enden, mit ständigem Ver-
kehr zwischen diesen Enden, so daß die Libidospannung hier und dort
zugleich wachsen oder sinken kann; gewisse Ereignisse können aber auch
asymmetrische Wirkungen — das Vollaufen eines Endes mit Leerwerden
des anderen, also gleichsam auf Kosten des anderen Endes — ausüben.3
Diese Theorie läßt dann verstehen, wieso dichterische und zeichnerische Be-
gabung oft isoliert, oft aber auch in einer Person vereinigt vorkommt; wenn
man ferner noch annimmt, daß die Begabungen durch ihre organisch fakulto-
genen Grundlagen vererbt werden und daß dieses einheitliche System von
Mund-Hand in der Vererbung ebenfalls als Einheit fungiert, so werden die Be-
gabungswandlungen innerhalb mehrerer Generationen, aber auch das Fest-
halten an derselben Begabung — für die genannten Arten der Begabung —
dem Verständnisse näher gebracht.
Fechner war Dichter, Schriftsteller, Denker und Forscher. Welche
Grundlagen dieser Begabungen finden wir nun bei ihm vor? Was wissen
wir von der Entwicklung des Mund-Hand-Systems bei ihm? Hier muß man
sich eben mit indirekten Beweisen begnügen und versuchen, ob denn durch
die Annahme, dieses System sei bei Fechner stärker erogenisiert gewesen
und diese Erotik sei zur — teilweisen — Sublimierung gelangt, die Daten
einheitlich zusammengefaßt werden können.

1) Direkte Beobachtungen an Säuglingen haben mich belehrt, daß die Anklammerungs-
lust des Säuglings eine eminent große ist; sie gibt sich in speziellen Formen des
Wonnesaugens an den Fingern und in Schlafstellungen kund.
2) Direkte Beobachtungen bei einigen Säuglingen zeigten, daß die Finger — bis zu
einem gewissen Alter — während der Nahrungsaufnahme erektionsartige Haltung
und Spannung einnehmen.
g) Dieses einheitliche Zusammensein einer Qualität in einem System ist nicht
zu verwechseln mit der Amphimixis von Ferenczi (Versuch einer Genitaltheorie,
1924). Letzteres Sckicksal der Erotismen kann ein Ergebnis in einem zwei Quali-
täten vereinheitlichendem, zusammengesetztem System werden und soll eine Misch-
qualität hervorrufen können (eine organisch-libidinöse Gestalt höherer Ordnung).
 
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