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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 31.1920

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Frank, Willy: Kunst-Theorie und Kunst-Wollen
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https://doi.org/10.11588/diglit.10458#0125

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KUNST-THEORIE UND KUNST-WOLLEN

gfd anken zur relativität in der kunst

jbsenläßtin einem seiner Dramen sagen: »Ewige Wahr-
heiten? Es gibt keine ewigen Wahrheiten. Eine nor-
male Wahrheit wird zehn, höchstens fünfzehn Jahre alt.«
— Die K unst liefert uns dafür vielleicht die klarsten
ö eispiele. Kunst und Kunsthandwerk nehmen erfahrungs-
gemäß etwa alle fünfzehn Jahre eine neue Richtung,
»ese neuen Wendungen sind bald mehr, bald weniger
a'astrophal. Sie ergreifen manchmal die ganze Kunst-
gesinnung einer Zeit, manchmal nur einzelne Einsichten
und Verfahren. Gemeinsam aber ist ihnen allen das Be-
dürfnis, sich theoretisch zu begründen, d. h. sie berufen
sich für ihre Neuerungen auf allgemeine Wertsetzungen
es Geistes und zeigen alle die Neigung, sich als allge-
meine und endgültige Wahrheiten vorzustellen. In Wirk-
lichkeit sind sie durchaus irrational, sie sind Willens-
anderungen der Zeiten, die nicht aus irgendwie be-
wußten Erwägungen kommen. Sie tauchen so unbegründet
auf, wie im Einzelmenschen Neigungen und Triebe auf-
tauchen. Wenn sie aber da sind, dann rufen sie sofort
den Verstand zu Hilfe und verlangen von ihm, daß er
S1e durch verstandesmäßige Begründung stütze. Sie be-
nehmen sich — um ein Beispiel aus niederer Sphäre
heranzuziehen — ähnlich wie die Moden. Es ist noch
„e Extravaganz der Kleidung aufgetreten, ohne daß
gefällige Feuilletonisten sich fanden, die die vernunft-
mäßige (ästhetische oder hygienische) Begründung dazu
gaben. Jedem, der ein Stück Kunstgeschichte selbst
erlebt hat, fällt auf, daß man in der Kunst immer die
schlüssigsten Beweise findet für jede künstlerische Zeit-
Neigung. Der Wille der Zeiten setzt sich mit derbster
Gewalt durch; er akzeptiert den Verstand nur als Hand-
tanger zu seiner eigenen Verherrlichung.

*

Dabei kommt es zu den sonderbarsten Widersprüchen,
jm Jahre 1896 läßt sich beispielsweise eine Abhand-
lung über Innen-Ausbau folgendermaßen vernehmen:
• • • • »Hier begegnen wir nun einem Mißstande, der er-
freulicher Weise immer mehr verschwindet. Es ist dies
der aus der Rokokozeit an uns überlieferte weiße Öl-
arbenanstrich, der uns Türen und Fensterrahmen
mehr aus Porzellan hergestellt erscheinen läßt, als aus
dem Material, aus welchem sie wirklich angefertigt sind,
nämlich aus Holz. Jetzt ist man denn endlich wieder so-
weit gekommen, daß man dem Material sein Recht läßt,
mdem man Metall wie Metall, Holz wie Holz und Stein
Wie Stein behandelt, und Türen resp. Fenster mit Holz-
arbenanstrich und Maserung versieht . . .«

Seit einer Reihe von Jahren ist Holzmaseranstrich
Uf Türen verpönt; wir verurteilen sie als Vortäuschung
einer Sache, die nicht vorhanden ist. Der weiße Öl-
arbenanstrich steht, bezw. stand dagegen in höchster
unst. Das Beispiel ist besonders lehrreich, weil das
Sument für den Maser-Anstrich vom selben Stand-
Punkt ausgeht wie das neue Argument gegen ihn.
eide richten sich gegen die »Täuschung«. Nur sieht
as erste die Täuschung darin, daß die Maserung des
olzes durch den glatten Anstrich unterschlagen wird;
je andere darin, daß durch den Anstrich eine Maserung
«^gezaubert wird, die nicht da ist. Wir halten es für

eminent materialgemäß, geringes Holz durch glatten An-
strich zu decken. Eine Zeit aber, die keine ruhige Fläche
im Raum dulden mochte und im weitesten Maße mit
Imitationen arbeitete, zimmerte sich, wie man sieht, ein
ganz tüchtiges Argument zurecht, um mit ihm die Material-
gemäßheit ihres Verfahrens zu beweisen. Man fühlt hier
sehr deutlich, wie irgendwie der Wille der Epoche
trotzig in seiner Tiefe verharrt, unzugänglich für jede
Erwägung, die seinen Neigungen nicht entgegenkommt.
Was heute Gemeinplatz ist, hätte man damals nicht ver-
standen. Und was heute Gemeinplatz ist, wird — das
ist die nächste Folge daraus — in wenigen Jahren wieder
nicht verstanden werden. — 1896 schrieb der französische
Architekt Schoellkopf: »Die Natur verfährt anders als
die gewöhnlichen Architekten. Die Zweige eines Baumes
sind mit dem Stamm nicht durch eine Linie, sondern

durch modellierte Formen verbunden.....Augen und

Mund, die man mit den Fenstern in einer Fassade ver-
gleichen kann, befinden sich nicht an beliebigen Stellen
des Gesichtes, sondern sind durch höchst organische
Modellierungsverhältnisse motiviert.« Das liest sich gut.
Man könnte gotische Architektur damit stützen. Aber
Schoellkopf verteidigt mit diesem Argument einen bitter-
bösen Pariser Jugendstil-Palast, der so wild, zeitbefangen
und sinnlos ist (unserer heutigen Anschauung nach!) wie
Bauten und Möbel aus der damaligen Zeit von Seimers-
heim, Dufrene, Majorelle, Lemmen usw. Man könnte
solche Beispiele natürlich noch beliebig vermehren.

Als Gewinn werden sie alle die Einsicht liefern, daß
die Kraft, die die Künste vorantreibt, eine tiefere Kraft
ist als verstandesmäßige Erwägung; daß Kunsttheorien
nicht Beweise, nur Helfer sind; daß wir kein anderes
Mittel haben, in der Kunst das von uns Geforderte zu
leisten, als entschlossenes Mitgehen mit dem mächtigen
Strom des Zeitwillens; daß keine Berufung auf ver-
nunftmäßige Argumente uns von der Verpflichtung ent-
bindet, freudig Bürger unserer Zeit zu sein und
mutig aus ihrem Geist und Willen heraus zu arbeiten;
daß alle Kunst ihr Ewiges immer nur in zeitlich be-
dingten Realisierungen hervorbringt. . . . willy frank.

Ä

ALTER UND NEUER STIL. Den Titel der »Inter-
X~\ nationalen Kunstgewerbeausstellung 1922 in Paris«
hat der Stadtrat Louis Aucoc folgendermaßen festgelegt:
»Exposition des arts decoratifs et industriels«. Die jungen
Künstler wünschten im Titel das Wort »moderne« auf-
genommen zu haben, jedoch die Möbelindustriellen des
Faubourg Saint-Antoine haben durchgesetzt, daß dieses
Wort nicht im Titel geführt wird, da, wie die »Action
francaise« schreibt, die Nachahmung alter Stilarten
vielfach schöne Möbel hervorbringe. In der »Action
francaise« griff L. Dimier den Stadtrat Aucoc heftig an,
da er die Absicht habe, die Deutschen zu der Ausstellung
einzuladen, und weil seine Trabanten Bonnier, Pascal
Forthuny und Vauxelles die Ausstellung auf das moderne
Kunstgewerbe zu beschränken und damit gleichzeitig
»die Überlegenheit der Deutschen« auf der geplanten
Pariser Ausstellung zu sichern versuchten!.......r.
 
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