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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 31.1920

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Ritter, Heinrich: Grundempfindung des Kunsthandwerks
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https://doi.org/10.11588/diglit.10458#0346

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INNEN-DEKORATION

ARCHITEKT FELIX KRÜGER— KÖLN

ERKER IN DER DIELE. HAUS K. IN V.

GRUNDEMPFINDUNG DES KUNSTHANDWERKS

Die eigentliche Entscheidung über den Wert einer ge-
werblichen Form fällt häufig nicht das Auge,
sondern das Tastgefühl. Alle Kunst ist auf den Men-
schen eingestellt. Aber die gewerbliche Form hat die
innigste Beziehung zu seiner Körperlichkeit. Die
Stuhllehne steht in ständigem Verkehr mit unsrer Hand,
die Tischplatte mit dem Arm, die Sofalehne mit dem
Schulterblatt, alle Kastenmöbel mit Größe und Volumen
unsres Körpers. In noch höherem Grad gilt das alles für
die kleineren Dinge, die ausschließlich auf den Verkehr
mit der menschlichen Hand angewiesen sind. Der Leuch-
ter muß wissen, daß dieses einzige Glied des menschlichen
Körpers, mit dem er in Fühlung kommt, Ballen hat und Höh-
lungen, Fingerglieder von bestimmter Länge und Maße. Die
Tabak- und Zigarrendose muß darauf bedacht sein, durch
diese Hand leicht hindurchzugleiten und richtig zwischen
Daumen und vier Fingerspitzen zu stehen, wenn sie
präsentiert wird. Das Buch, die Flasche, die Tasse und
Kanne, der Tintenlöscher, das Messer und die Gabel, das
Petschaft und all die hundert Dinge des täglichen Ge-
brauchs leben und -weben im Tastgefühl als in dem Ele-
ment, das sie erschafft, verändert, richtet und bewertet.

Der Begriff Form ist vor allem auf das Auge ein-
gestellt. Aber für die Mehrzahl der kunstgewerblichen
Formen tritt an dessen Stelle der Tast-Sinn. Es ist eine
Art körperhaften Sehens, was die Hand vornimmt, wenn

sie eine Stuhllehne oder einen Türgriff nach Wohlgefühlen
der Tastempfindung abspürt. Das Auge sieht nicht für die
Hand. Diese bildet sich ihr Urteil nach den einzigen Wahr-
nehmungen, von denen und in denen sie lebt, den Wahr-
nehmungen von Widerstand, Härte, Glätte, Schwere,
Wärme und den entsprechenden Kontrasten. Und
sie läßt sich nur genügen, wenn die Angepaßtheit des
Gegenstandes an ihre eigene Struktur bis auf das
Äußerste getrieben ist. Der Tastsinn ist für
ästhetische Lustgefühle nicht weniger empfänglich als
das Auge, dabei auch nicht weniger empfindlich für Un-
reife einer Form. Er dringt auf »Endgiltigkeit« einer
Sache, auf Reife einer Form vielleicht noch unnach-
giebiger als das Auge. Und wenn noch so viel Werk-
kunst da ist: von echter Werk k u 11 u r kann erst dann
gesprochen werden, wenn Verstöße gegen die Ansprüche
des Tastsinns als ebenso belastend gelten wie die Ver-
stöße gegen die Anforderungen des Auges. . . h. ritter.

Ä

DIE REINE GESINNUNG. Ein gutes Hand-
werk und eine große Kunst entstehen nur auf
dem Boden einer reinen Gesinnung. Das, was
wir unter Handwerk verstehen müssen und das mit
künstlerischer Tätigkeit eigentlich völlig identisch ist,
ist der Wille, mit größter Versenkung und
Liebe Formen zu schaffen......... hans poelzig.
 
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