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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 31.1920

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Jaumann, Anton: "Bau-Wende", [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10458#0184

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INNEN-DEKORATION

DEUTSCHE WERKSTÄTTEN M. B. H. —HELLER AU

EMPFANGSZIMMER MIT DE-WE-BÜCHERSCHRANK

»BAU-WENDE«

n.

Die Architektur war bisher zu zwei Dritteln
Technik. Sie litt darunter, aber sie ließ sich
beugen. Die Not ward zur Tugend ausgerufen. Man
opferte vor Material und Zweck, und der Baumeister
erntete Lob, je steinerer, eiserner sein Haus wirkte, je
mehr ihm eine harmonische Befriedigung aller Nutz-
Zwecke gelungen. Selbstim Kunsthandwerk hatte der
ödeste Rationalismus gesiegt; als Qualitätsarbeit galt
(oder gilt), was technisch einwandfrei, zweckmäßig und
materialgerecht. Keine Brücke führt von da zur Kunst!

Und vollends der Expressionist kann diese Linie nicht
weiterführen. Er hat in der Malerei den Zwang der
Materie und des Gegenständlichen gebrochen, in der
Architektur wird er ebenso den freiformenden Geist
über Zweck und Stoff zum Siege führen. Schon hat
Poelzig eine Eisen- und Glaskonstruktion zur traumhaften
Theaterdekoration umgedichtet. Hört nicht auf ihre
Worte! Der Künstler bricht durch! Wie verzaubertes
Alpenglühen leuchtet dieses Schauspielhaus im Abend-
schein auf, eine Überwindertat. Hier ist ein Anfang, der
euch Mut macht. Und nun will ich euch sagen, daß ihr
jadieMaterie gar nicht kennt, daß ihr die Wichtigkeit
derZwecke maßlos überschätzt. Seht den roten Sand-
steinbruch in praller Sonne — ein Hochofen ist harmlos
gegen die wogende, stürzende, brechende Wucht! Wo

ist die wahre Natur des Steines sichtbarer, beim Grab-
steinhändler, wo die toten Brocken liegen, oder im
Abendglühen der Dolomiten? Für den Künstler ist der
Stein nicht ein Mineral von soviel Dichte, Härte, spezi-
fischem Gewicht, wie in den Büchern steht. Im Stein
schichten wir die Gewalten der Urzeit, tausendgrädiges
Glühen, Gaurisankar-Drucke. Stoff ist gebannte
Energie, sagt die neue Erkenntnis. Laßt uns Energien
schichten mit den Gluten des Steins, mit der strömenden
Starre des Eisens! Sieht das nüchterne Auge die Materie
richtiger oder das trunkene des Künstlers? Ist die Sand-
grube eine öde Aushöhlung oder ist sie die brennende,
klaffende Wunde im Leib der Erde, als die Van Gogh
sie sah? Van Gogh sah das Wogen und Weben, das
Flammen und Brechen in der Landschaft, er steht am
Anfang unseres Weges. Wer mit solchen sehenden
Augen Stein und Stoff gegenübertritt, wird Statik und
dürre Formeln vergessen, wird als Künstler bauen.

Laßt euch nicht von der sogenannten Wirklichkeit
tyrannisieren! Es ist alles Schein und für den Künstler
erst recht. Wir leben in einer Welt, die wir nicht kennen,
wovon nur einzelne Strahlenwellen unsere Sinne treffen:
Gut so! Ziehen wir die Konsequenzen! Hausen wir
zwischen Linien undFarben,bauen wirDimensionen!
Die Welt ist ein Spiel von Farben und Gefühlen. So
bauen wir halt Farben und G e f ü h 1 e! Glaubt nicht, daß
die Materie anderes will als bunten Schein. Wozu der
 
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