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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 31.1920

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Michel, Wilhelm: Aktivität im Ornament
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https://doi.org/10.11588/diglit.10458#0283

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INNEN-DEKORATION

269

GARTENARCHITEKT HERM. KOEN1G — HAMBURG

KINDERSPIELPLATZ. GARTEN W.-BLANKENESE

AKTIVITÄT IM ORNAMENT

Naturalismus und Impressionismus waren orna-
mental unergiebig. Sie gipfelten im Nach-Emp-
finden der malerischen Gesamtheit der Erscheinung. Sie
waren hauptsächlich aufnehmend und linienscheu ge-
stimmt. Sie verherrlichten als Haupttugend des Künst-
lers die passive Reiz-Empfänglichkeit. Das Ornament
aber ist wesentlich tätiger und geistiger Art. Es beruht
auf Abstraktionen, und diese setzen schon dem Wort-
sinne nach die bewußte Tätigkeit des Abstrahierens
voraus. Diese tätige Gesinnung ist im Expressionis-
mus wieder zu Worte gekommen. Daher seine starke
Beziehung zur Linie, daher seine umfassend neue Aus-
deutung der Formen, sein unablässiges Ausrufen eines
neuen Weltbildes, mit dem er alsbald aus der Malerei
auf die Glaskünste, dann auf die Stickerei übergegriffen
hat, um nun den ganzen weiten Umkreis architektoni-
schen und kunstgewerblichen Formens zu erfassen. Eine
ornamentale Gesinnung ist da, so grundlegend neu,
daß jede kleinste ihrer Äußerungen den Geist spiegelt,
der im Ganzen wirksam ist. Es reizt, die Hauptlinien
in der Physiognomie dieses Geistes nachzuzeichnen.

Wo alte Ornamentik aufgelöste, passive Stim-
mung in weichen, blühenden Kurven vortrug, erleben
wir im neuen Ornament Zusammenballung, Härte,
männliche Aktivität. Der Expressionismus bevorzugt
die scharf gebrochene Linie, den spitzen Winkel, im
Einzelnen wie in der ganzen Komposition. Die ge-

brochene Linie ist Symbol des Scharfen, Aktiven,
Geistigen. Die leitende Idee des alten Ornaments war
letzten Endes der Kreis; rund ausschwingende Har-
monie, genießerisch einlullend, versöhnend. Die leitende
Idee des neuen Ornaments ist das spitzwinklige
Dreieck: Aufruf, Entzweiung, Einseitigkeit, grund-
sätzliches Aufgeben der runden Ganzheit zugunsten
der geschärften Tat .... Keilform, Lanzenform,
Stimmungswert des Spitzen, Stechenden, Schneidenden,

des einseitigen Zusammenraffens zur Tat..........

Mit dem alten Ornament verbinden sich Empfindungs-
vorstellungen der Wärme; das neue ist kalt, wenn auch
gelegentlich durchaus heiter und leicht. Das alte lebt
im Begriff der Ruhe. Es sendet Linien aus, um sie in
liebenden Spiralen wieder heimzurufen. Das neue
Ornament ist ganz Ausstoß, Bewegung, verhält sich
zum früheren wie die auffahrende Rakete zur Bogenlampe.
Irgend etwas von Form-Sprengendem ist in ihm; seine
Form ist gotisch bewegter Ausbruch, gegenüber der be-
scheidenen, heute hausbacken erscheinenden Befriedigung
des älteren Ornaments. Als echtes Kind des expressio-
nistischen Menschen hat es den Begriff des Ruhevollen,
Harmonischen aufgegeben und sich auf den Stimmungs-
wert der Vereinseitigung festgelegt; auf das Ganze
deutet es nur durch seine drang- und strebensvolle Be-
wegung. Ja, es liegt in diesem Ornament ein neues
Lebensgefühl: das Ideal des ausgeglichenen Voll-
 
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