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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 31.1920

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Michel, Wilhelm: Erziehung zur Aufnahme
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https://doi.org/10.11588/diglit.10458#0311

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INNEN-DEKORATION

297

architekt otto biel-mainz

wohn- und esszimmer

ERZIEHUNG ZUR AUFNAHME

Das neue Deutschland hat sich — wenigstens theore-
tisch — mit einem wahren Feuereifer auf das Problem
der Heranbildung von Künstlern und Kunstgewerblern
gestürzt. Aber wie steht es mit der Erziehung der
Aufnehmenden? Es scheint, hier soll es beim Alten
bleiben. Es scheint, man glaubt immer noch an die aus-
schließliche erziehliche Wirksamkeit der Ausstellung und
der Qualitätshebung in der Waren-Erzeugung. Es scheint,
man hält Weiteres für überflüssig, man glaubt, es sei
jedem Menschen von Natur das fertige Organ zur Er-
kenntnis des Guten mitgegeben, sodaß er ohne Schärfung
des Formsinns imstande sei, als Aufnehmender das Tüch-
tige vom Minderwertigen zu unterscheiden.

Ein Irrtum! Nichts tut gerade dem deutschen Volk
mehr not als Heranbildung zum Ablesen von Form und
Farbe. Nichts ist dringlicher als die Bekämpfung der
Form-Blindheit, unter der weite Volkskreise leiden
und die den Künstler dazu verdammt, ewig in taubes
Ohr zu sprechen und in unbereitete Gemüter. Könnte
die Heranbildung von Formschaffenden ein so
wichtiges und schwieriges Problem sein, wenn das große
Geheimnis »Form« so klar zu Tage läge? Hat der
Künstler Erziehung nötig, so kann sie auch dem Auf-
nehmenden nicht überflüssig sein!.............

¥

Es fehlt häufig schon an den einfachsten seelischen
Handgriffen, die die innere Bereitschaft zum Form-
Sehen erst herstellen: jene innere Stillegung und geheime
Abdämpfung des Selbst, jene Einstellung auf das rein
Sinnliche, jenes Sich-Zusammenraffen zum Hinhören,
Aufmerken, Eingehen auf das vom Künstler Gegebene,
jenes Aufnehmen in Auge und Gemüt zugleich, mit dem
alles Verhalten zur Kunst beginnt. Von da ist immer
noch ein beträchtlicher Schritt zum herzlichen Auffassen
der Form in ihrer Einzigkeit und in ihrem Ausdrucks-
wert, zum Ausklingenlassen der Farben, die durch die
Seele spielen wie reich gegriffene Akkorde. Da müssen

die Nerven bloßgelegt und beweglich gemacht werden,
bis sie soweit sind, daß das Bauwerk, das schöne Gerät
sich ebenso unmittelbar dem Auge aufzwingen wie der
Ton dem Ohr. Das wahre und erzogene Verhalten den
»stummen« Künsten gegenüber ist so, wie es Wacken-
roder einmal schildert:

»Ich bin mir bewußt, daß öfters, wenn ich (mit anderen
Gedanken beschäftigt) durch irgendein schönes und großes
Säulenportal ging, die mächtigen majestätischen Säulen,
mit ihrer lieblichen Erhabenheit, unwillkürlich meine
Blicke zu sich wendeten, und mein Inneres mit einer
eigenen Empfindung erfüllten, daß ich mich innerlich vor
ihnen beugte, und mit aufgelöstem Herzen und mit
reicherer Seele weiter ging.«..................

Es genügt, dies als Ideal aufzustellen, um einzusehen,
wie viel hier am deutschen Volk noch zu tun ist. Form
und Qualität sind kein Ungefähr, das irgendwie aus dem
Nebelhaftenkommt, gesetzlos und phantastisch wie Träume
der Nacht. Sie entstehen und bestehen aus lauter Gesetz
und festem, geistigem Stoff und vieles an ihnen ist lehrbar.
Das haben unsere Schulen zu leisten: das Kind schon
vor Formprobleme zu stellen, damit es einen Blick tue
in das geistige Tun und Schöpfen, das beim Formwerden
stattfindet, und damit es später erkenne, wo ihm Form
und wo ihm Unform entgegentritt. Das bloße Zeigen,
selbst mit Erklärung verbunden, hilft da nicht viel. Es
wird erst dann wertvoll, wenn das Organ vorgebildet
und arbeitsfähigist. Das Entscheidende bleibt: selber
sich mühen ums Schaffen, damit das von Andern Ge-
schaffene Sprache und Ton erhaltet Wilhelm michel.

£

Wir müssen wieder begreifen, daß eine große Kunst
auch begeisternden Inhalt braucht und mit der
Volksseele in enger Fühlung stehen muß, wenn sie nicht
artistisch entarten soll. Wir müssen der Kunst wieder
mit Ehrfurcht dienen..............hans poelzig.
 
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