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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 31.1920

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Michel, Wilhelm: Die entseelende Maschine, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10458#0371

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INN EN-DEKORATION

357

KURHAUS DAVOS. PROF. MAX OBERMAYER SOFAWAND IM MUSIKSAAL. SPIEGEL: TERRAKOTTA

eine große Arbeit — mit einem sehr kleinen Ergebnis.
»Wenn Du ein Triebwerk hier hättest«, rief Tse-Kung,
»könntest Du in einem Tage Dein Stück Land hundert-
fach bewässern mit ganz geringer Mühe. Möchtest Du
nicht eines besitzen?« »Was ist das«, fragte der Gärtner.
»Es ist ein Hebel aus Holz«, antwortete Tse-Kung, »der
hinten schwer und vorne leicht ist. Er zieht Wasser aus
dem Brunnen, wie Du es mit Deinen Händen tust, aber
in stetig überfließendem Strom. Er wird Ziehstange
genannt.« Der Gärtner sah ihn ärgerlich an, lachte und
sprach: »Dieses habe ich von meinem Lehrer gehört:
die listige Hilfsgeräte haben, sind listig in ihren Geschäften,
und die listig in ihren Geschäften sind, haben List in
ihren Herzen, und die List in ihren Herzen haben, können
nicht rein und unverderbt bleiben, und die nicht rein und
unverderbt bleiben, sind ruhelos im Geiste, und die ruhelos
im Geiste sind, in denen kann Ta o nicht wohnen. Nicht,
daß ich diese Dinge nicht kennte; aber ich würde mich
schämen, sie zu benützen. Geh deines Wegs und störe
meine Arbeit nicht länger I«...............

Man muß wohl zugeben, daß dies nicht europäisch
gedacht ist. Es ist vielmehr eine bewußte Absage an
Europa, gegeben zu einer Zeit, da der Osten von Europa
noch nicht das Mindeste wußte. Es ist prophetische
Schilderung einer historischen Situation, die dieser Jünger
des Tao viele Jahrhunderte vorher hat kommen sehen.
Ist dieser Tse-Kung, der zu dem alten Gärtner kommt

und ihm die Ziehstange empfiehlt, nicht Europa selbst,
das zu den östlichen Völkern kommt, um ihnen seine
Kultur anzubieten und nötigenfalls aufzuzwingen? Und
spricht nicht aus der Antwort des Gärtners der Geist,
der nachmals aus dem Opiumkrieg, aus den verzweifelten
Boxeraufständen sprach? Auch zeitlos und religiös kann
man diese schöne Parabel des Ostens lesen, als fromme
Weigerung, Menschenwürde und Seelenheil hinzugeben
um schnellvergänglichen, materiellen Vorteils willen . . .

*

Wichtiger ist für uns hier, daß dieses Gleichnis,
verdichtet, ungefähr alles enthält, was vom Standpunkt
des Geistes gegen die Technik, vom Standpunkt des
Handwerks gegen die Maschine einzuwenden ist. Es
wird gesagt, Tao kann nicht wohnen im Herzen derer,
die listige Hilfsgeräte haben. Man muß wissen, daß Tao
nicht bloß Gott bedeutet, sondern überhaupt alles, was
Seinsgrund, Leben, Echtheit, Weltgültigkeit in Dingen
und Wesen heißt. Der alte Gärtner zieht die Hand-
arbeit vor, weil er sich nicht der Weltanschauung der
Maschine ausliefern will. Es scheint mir schlechterdings
bewundernswert, wie dieser alte Chinese in zwei Sätzen
die notgedrungene Beziehung der Maschine zu dem ihr
entsprechenden Seelenzustand darzulegen vermochte, eine
Beziehung, die unsrem Zeitalter, uns Europäern erst nach
langer, schmerzlicher Erfahrung und nach riesenhafter
Auftürmung sozialen und seelischen Elends — zum Teile
wenigstens — klar geworden ist. . . . (schluss auf seite 36i.
 
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