376
INNEN-DEKORATION
ENTWURF VON ARCHITEKT MAX HILL
WOHNSTUBE MIT SCHREIBTISCH-NISCHE
STIL-SCHONHEIT DER KLEIN-WOHNUNG
Viele werden in den kommenden Zeiten kleinere Woh-
nungen beziehen und nur um dieser Tatsache willen
wird man sie bemitleiden wollen. Zu Unrecht; handelt
es sich nicht darum, notwendige Schlaf- und Wohnräume
einzubüßen, so dürfen die Größenverhältnisse sich be-
trächtlich vermindern. Anspruchsloser wird der Lebens-
rahmen, keineswegs aber braucht er weniger verfeinert,
weniger künstlerisch ansprechend zu sein. Bei richtiger
Handhabung kann in den allermeisten Fällen das kleinere
Heim sogar harmonischer, gediegener wirken........
¥
Wer mit ästhetisch geschulten Augen jemals in nied-
rigen alten Räumen, etwa des 15.—17. Jahrhunderts ge-
lebt hat, erfreute sich an dem wohnlichen Gesamtein-
druck, dem Linienreiz: da ging die Decke mit der Wand
zusammen, die Menschen nahmen proportional ihre rich-
tige Stellung ein. Auch in Dorf zimmern, Bauernschenken
zeigt sich jene befriedigende Linienwirkung, wie sie viele,
ohne sich Rechenschaft abzulegen, auf Reisen und Aus-
flügen bei kleinen Leuten bewundert haben. Gewiß waren
weitläufige Prunkräume der Vergangenheit ästhetisch
erfreulich, aber wie kunstvoll gliederte man die Wände,
zielbewußt wurden diese durch Spiegel, eingelassene Re-
präsentations-Bildnisse zusammengehalten, die Tür-Linien
durch Supraporten und Geranke bis zur Decke verlängert;
das floß ineinander über, das hatte Stil. Für gewöhnlich
wurden aber auch damals große Räume nicht bewohnt;
in den Schlössern gab es allerliebste kleine Wohnzim-
merchen. Sie waren behaglich, intim; Möbel, Bilder und
Gerät, alles war abgestimmt, und in der Abgeschlossen-
heit solcher Räume hat sich zum weitaus größten Teil
das Leben selbst unserer reichsten Vorfahren abgespielt.
Da kommt der Einwand — unsere hygienischen An-
sprüche haben sich außerordentlich gehoben: dumpfe,
kleine Stuben können und sollen uns nicht mehr genügen.
Der Einwand ist jedoch hinfällig; in deutschen hochherr-
schaftlichen Wohnungen kann man leider schlechtgelüftete,
aber imposant hohe Räume antreffen, wogegen in vor-
nehmen Londoner Mayfair-Viertel die Häuschen unseren
Anschauungen gemäß puppenhaft klein sind, man jedoch
jedes Haus durchwandern könnte, ohne auf ein einziges
ungelüftetes Zimmer — das dort als das untrügliche
Merkmal kleiner Leute gilt — zu stoßen. Es ist keines-
wegs schwer, auch kleinen Räumen in einwandfreier Weise
Luft zuzuführen; sehr zweckmäßig sind jene altmodischen,
breiten niedrigen Fenster, deren obere und untere Schei-
ben sich jeweils nach Bedarf öffnen lassen. Selbstver-
ständlich kann ein stickiger kleiner Raum unleidlicher als
ein großer werden, maßgebend ist jedoch nicht die Kubik-
fläche, sondern die sorgsame Zufuhr frischer Luft!
Die Überschätzung der Raumgröße hat in erstaun-
licher Weise Wurzel gefaßt. Besieht man Häuser un-
serer Künstler oder Dichter oder anderer Berühmtheiten
INNEN-DEKORATION
ENTWURF VON ARCHITEKT MAX HILL
WOHNSTUBE MIT SCHREIBTISCH-NISCHE
STIL-SCHONHEIT DER KLEIN-WOHNUNG
Viele werden in den kommenden Zeiten kleinere Woh-
nungen beziehen und nur um dieser Tatsache willen
wird man sie bemitleiden wollen. Zu Unrecht; handelt
es sich nicht darum, notwendige Schlaf- und Wohnräume
einzubüßen, so dürfen die Größenverhältnisse sich be-
trächtlich vermindern. Anspruchsloser wird der Lebens-
rahmen, keineswegs aber braucht er weniger verfeinert,
weniger künstlerisch ansprechend zu sein. Bei richtiger
Handhabung kann in den allermeisten Fällen das kleinere
Heim sogar harmonischer, gediegener wirken........
¥
Wer mit ästhetisch geschulten Augen jemals in nied-
rigen alten Räumen, etwa des 15.—17. Jahrhunderts ge-
lebt hat, erfreute sich an dem wohnlichen Gesamtein-
druck, dem Linienreiz: da ging die Decke mit der Wand
zusammen, die Menschen nahmen proportional ihre rich-
tige Stellung ein. Auch in Dorf zimmern, Bauernschenken
zeigt sich jene befriedigende Linienwirkung, wie sie viele,
ohne sich Rechenschaft abzulegen, auf Reisen und Aus-
flügen bei kleinen Leuten bewundert haben. Gewiß waren
weitläufige Prunkräume der Vergangenheit ästhetisch
erfreulich, aber wie kunstvoll gliederte man die Wände,
zielbewußt wurden diese durch Spiegel, eingelassene Re-
präsentations-Bildnisse zusammengehalten, die Tür-Linien
durch Supraporten und Geranke bis zur Decke verlängert;
das floß ineinander über, das hatte Stil. Für gewöhnlich
wurden aber auch damals große Räume nicht bewohnt;
in den Schlössern gab es allerliebste kleine Wohnzim-
merchen. Sie waren behaglich, intim; Möbel, Bilder und
Gerät, alles war abgestimmt, und in der Abgeschlossen-
heit solcher Räume hat sich zum weitaus größten Teil
das Leben selbst unserer reichsten Vorfahren abgespielt.
Da kommt der Einwand — unsere hygienischen An-
sprüche haben sich außerordentlich gehoben: dumpfe,
kleine Stuben können und sollen uns nicht mehr genügen.
Der Einwand ist jedoch hinfällig; in deutschen hochherr-
schaftlichen Wohnungen kann man leider schlechtgelüftete,
aber imposant hohe Räume antreffen, wogegen in vor-
nehmen Londoner Mayfair-Viertel die Häuschen unseren
Anschauungen gemäß puppenhaft klein sind, man jedoch
jedes Haus durchwandern könnte, ohne auf ein einziges
ungelüftetes Zimmer — das dort als das untrügliche
Merkmal kleiner Leute gilt — zu stoßen. Es ist keines-
wegs schwer, auch kleinen Räumen in einwandfreier Weise
Luft zuzuführen; sehr zweckmäßig sind jene altmodischen,
breiten niedrigen Fenster, deren obere und untere Schei-
ben sich jeweils nach Bedarf öffnen lassen. Selbstver-
ständlich kann ein stickiger kleiner Raum unleidlicher als
ein großer werden, maßgebend ist jedoch nicht die Kubik-
fläche, sondern die sorgsame Zufuhr frischer Luft!
Die Überschätzung der Raumgröße hat in erstaun-
licher Weise Wurzel gefaßt. Besieht man Häuser un-
serer Künstler oder Dichter oder anderer Berühmtheiten