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Jahrbücher für Kunstwissenschaft — 4.1871

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Rahn, J. R.: Zwei mittelalterliche Gemäldezyklen im Canton Graubündten: Reisebericht aus der Schweiz
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https://doi.org/10.11588/diglit.49880#0126

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]]§ Zwei mittelalterliche Gemäldecyklen im Canton Graubündten.
drei bis vier Streifen getheilt, deren jeder eine Anzahl Felder enthält.
Diese Bildflächen aber sind alle von verschiedener Grösse, je nach dem
Umfange der dargestellten Gegenstände, oder nach der Vorliebe, mit welcher
der Künstler dieselben behandelt hat. Ebenso willkürlich sind mehr als
einmal die der Zeit nach entlegensten Ereignisse neben einander gereiht;
so drängt sich das Opfer Abrahams mitten zwischen die vertriebenen
Voreltern und den Brudermord hinein. Auf die alttestamentarischen
Begebenheiten an der nördlichen Langwand folgen unmittelbar fremde
legendarische Geschichten, und die Fortsetzung der darunter geschilderten
Passion muss man auf der gegenüberliegenden Südseite suchen. Ein
bestimmtes System, wie etwa die in den mittelalterlichen Bilderkreisen so
beliebte Gegenüberstellung des alten und neuen Bundes, liegt hier keines-
wegs zu Grunde, vielmehr ist die Regellosigkeit eine so allgemeine und
consequente, dass man annehmen muss, es seien diese Gemälde, wenn
nicht aus verschiedener Zeit, so doch nur langsam und mit grösseren
Unterbrechungen ausgeführt worden. Für eine gewisse Planlosigkeit in
der Wahl der Gegenstände spricht denn auch die Wiederholung ein-
zelner Scenen. Der Crucifixus z. B. ist zweimal im Schiff und noch
ein drittes Mal im Chore dargestellt. Im Langhause ist die Lebens-
geschichte des Heilandes bis zum jüngsten Gerichte in aller Ausführlichkeit
behandelt und dann auf einmal wieder sieht man im Chore, wie Christus
dem ungläubigen Thomas erscheint.
Die Auffassung der Scenen ist in der Regel eine sehr herkömmliche
und wörtlich gebundene. So bereits in der Schöpfungsgeschichte, Gott
Vater der die Gestirne erschafft, hält einen weissen Nimbus in seiner
Linken, in welchem 'Sonne und Mond von Sternen umgeben dargestellt
sind. Adam steigt aus einem gewaltigen Erdklumpen empor, und Mitleid
erweckt es beinahe, wie Eva auf dem folgenden Bilde als ein kleines
zappelndes Figürchen aus der Rippe ihres Gatten hervorgezogen wird.
Schon viel stattlicher erscheint sie nach der Vertreibung aus dem Paradiese;
die Ahnmutter Eva hat sich mit einem ehrsamen bürgerlichen Anzuge
versehen, sie hält einen Säugling an der Brust und spinnt emsig dazu,
ein älteres Kind ergötzt sich mit einer Puppe und sitzt zu Adams Füssen,
der mit der Hacke arbeitet. Bei Kain und Abel ist der Unterschied des
Charakters schon in der Kleidung ausgesprochen. Der fromme Bruder
hält seine Garbe aufrecht in die Höhe, wo Gott Vater ihm mit segnender
Geberde erscheint. Kain aber ist schon besessen. Ein kleiner gelber
Teufel reisst ihn an den Haaren und erfüllt den heulenden Bösewicht
mit einem solchen Schrecken, dass er die umgestürzte Garbe blind-
lings auf die Flamme wirft. Daneben ist Abel unter den Streichen
 
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