Die Portale von Schloss Tirol und Zenoburg bei Meran.
Ein mehrwöchentlicher Aufenthalt in Meran im Herbst 1867 führte
den Unterzeichneten auf ein genaueres Studium der bekannten Portal-
sculpturen der Schlösser Tirol und Zenoburg, hervorragender Denkmäler
mittelalterlicher Kunst aus der ersten Hälfte der- romanischen Zeit. Die
kleine tirolische Stadt bot von kunstgeschichtlichen Hilfsmitteln mehr, als
erwartet werden konnte; hauptsächlich lieferte die Bibliothek des „Vereins
für christliche Kunst“, der meist aus Geistlichen besteht, die im Folgen-
den citirten .Nachschlagewerke. Eine gedrängte Abhandlung entstand,
welche, in der „Meraner Zeitung“ abgedruckt, einigermassen durch Separat-
abzüge verbreitet, doch im Wesentlichen unbekannt blieb: möge es deshalb
dem Verfasser vergönnt sein, den Inhalt derselben hier zu reproduciren.
In allen Schriften, welche zur Enträthselung und geschichtlichen Er-
kenntniss der genannten Bau- und Bildwerke sich darboten, musste der
eigentlich kunstgeschichtliche Gesichtspunkt vermisst werden; vor Allem
lag den sogenannten „Deutungen“ des Sinnes fast überall die selbstver-
ständlich geltende Voraussetzung zu Grunde, dass jedes einzelne der
plastischen Ornamente einen allegorischen „Sinn“ habe und damit in den
allegorischen Gesammtsinn des Ganzen eintrete, dem es angehört. So
hatte noch im J. 1858 der würdige Pfarrer Thaler in Kuens, ein um
tirolische Alterthumsforschung wohlverdienter Mann, zunächst in den
„tirolischen Monatsblättern“ des Ritters von Alpenburg, denn in einem
besonderen Heftchen (Innsbruck, bei Felic. Rauch), die Ansicht durch-
zuführen gesucht, dass die Figuren des Rittersaalportales von Schloss
Tirol die „Erschaffung der Welt“ darstellen, wobei die mancherlei gestalten
und ungestalten animalischen Gebilde gar leicht unter der allgemeinen
Kategorie „lebende Wesen“ unterkamen. Am Kapellenportal ferner sollte
nach ihm „ein Kopf mit grossen, weit geöffneten Augen, der von den
Krallen eines Ungeheuers, das von hinten Löwe, vornen Raubvogel ist,
festgehalten und mit dem Schnabel zerhackt wird, die Augenlust oder
Habsucht andeuten, durch die der Mensch in des Teufels Fallstricke und
Ein mehrwöchentlicher Aufenthalt in Meran im Herbst 1867 führte
den Unterzeichneten auf ein genaueres Studium der bekannten Portal-
sculpturen der Schlösser Tirol und Zenoburg, hervorragender Denkmäler
mittelalterlicher Kunst aus der ersten Hälfte der- romanischen Zeit. Die
kleine tirolische Stadt bot von kunstgeschichtlichen Hilfsmitteln mehr, als
erwartet werden konnte; hauptsächlich lieferte die Bibliothek des „Vereins
für christliche Kunst“, der meist aus Geistlichen besteht, die im Folgen-
den citirten .Nachschlagewerke. Eine gedrängte Abhandlung entstand,
welche, in der „Meraner Zeitung“ abgedruckt, einigermassen durch Separat-
abzüge verbreitet, doch im Wesentlichen unbekannt blieb: möge es deshalb
dem Verfasser vergönnt sein, den Inhalt derselben hier zu reproduciren.
In allen Schriften, welche zur Enträthselung und geschichtlichen Er-
kenntniss der genannten Bau- und Bildwerke sich darboten, musste der
eigentlich kunstgeschichtliche Gesichtspunkt vermisst werden; vor Allem
lag den sogenannten „Deutungen“ des Sinnes fast überall die selbstver-
ständlich geltende Voraussetzung zu Grunde, dass jedes einzelne der
plastischen Ornamente einen allegorischen „Sinn“ habe und damit in den
allegorischen Gesammtsinn des Ganzen eintrete, dem es angehört. So
hatte noch im J. 1858 der würdige Pfarrer Thaler in Kuens, ein um
tirolische Alterthumsforschung wohlverdienter Mann, zunächst in den
„tirolischen Monatsblättern“ des Ritters von Alpenburg, denn in einem
besonderen Heftchen (Innsbruck, bei Felic. Rauch), die Ansicht durch-
zuführen gesucht, dass die Figuren des Rittersaalportales von Schloss
Tirol die „Erschaffung der Welt“ darstellen, wobei die mancherlei gestalten
und ungestalten animalischen Gebilde gar leicht unter der allgemeinen
Kategorie „lebende Wesen“ unterkamen. Am Kapellenportal ferner sollte
nach ihm „ein Kopf mit grossen, weit geöffneten Augen, der von den
Krallen eines Ungeheuers, das von hinten Löwe, vornen Raubvogel ist,
festgehalten und mit dem Schnabel zerhackt wird, die Augenlust oder
Habsucht andeuten, durch die der Mensch in des Teufels Fallstricke und