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Jones, Owen; Jones, Owen [Hrsg.]
Grammatik der Ornamente — London: Day, 1856

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https://doi.org/10.11588/diglit.17930#0171
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KELTISCHE ORNAMENTE.

festen Fuss gefasst hatte, ja sogar, dass die alten brittischen Eeligionslehrer in manchen wichtigen Lehr-
punkten von diesem Abgesandten des grossen St. Gregorius abwichen. Dies ergeht aufs deutlichste aus
manchen noch erhaltenen künstlerischen Leistungen. St. Grregorius schickte nach England mehrere
Exemplare der heiligen Schrift, von denen gegenwärtig noch zwei vorhanden sind: eins in der bodläischen
Bibliothek zu Oxford, und das andere in der Bibliothek des Corpus Christi College zu Cambridge. Beide
diese in Italien verfertigte Evangelienbücher sind in der runden, in jenem Lande gebräuchlichen Handschrift
geschrieben, und ohne alle Verzierung. Selbst die grossen Buchstaben am Anfang eines jeden Evangeliums
unterscheiden sich kaum von der übrigen Schrift des Textes; doch sind die ersten zwei Zeilen mit rother
Tinte geschrieben, und vor jedem der Evangelien befand sich das Bildniss des Evangelisten (von welchem
jedoch nur das des heiligen Lucas erhalten ist), der sitzend dargestellt war unter einem runden auf Marmor-
pfeilern ruhenden Bogen, mit classisch angeordnetem Blattwerk verziert. So verhält es sich mit den
meisten alten italienischen Handschriften, die ganz von Verzierungen entblösst sind.

Wie ganz anders ist es aber in jenen ältesten Manuscripten von denen man gewiss weiss, dass sie in den
brittischen Inseln geschrieben wurden. Auf diese Handschriften stützen wir hauptsächlich unsere Theorie
des unabhängigen Ursprungs der keltischen Ornamente, deshalb erachten wir es für nöthig uns auf einige
paläographische Details einzulassen, zum Beweise des hohen Alterthums dieser unschätzbaren Documente,
da so mancher Zweifel über deren ehrwürdige Antiquität geäussert worden ist. Es ist wahr, dass die Hand-
schriften nicht datirt sind, doch findet man in manchen derselben die Namen der Schreiber, und diese Namen
haben wir in den frühesten Annalen identificirt, wodurch wir in den Stand gesetzt wurden, die Epoche zu be-
stimmen, in welcher das Manuscript verfertigt worden ist. Auf diese Weise ist es mit hinlänglicher Sicher-
heit bestimmt worden, dass die autographischen Evangelien von St. Columba, das Leabhar Dhimma oder Evan-
geliarium des St. Dimma Mac Nathi, die bodläischen von Mac Kegol geschriebenen Evangelien und das Buch
von Armagh, spätestens aus dem neunten Jahrhundert herrühren. Ein anderer ebenso befriedigender Beweis
des hohen Alterthums dieser Bände ergeht aus der unvergleichlichen Sammlung der gleichzeitigen angelsäch-
sischen Freiheitsbriefe, von der Hälfte des siebenten Jahrhunderts bis zur normannischen Eroberung, die sich
im brittischen Museum und in andern Bibliotheken befinden, denn, wie Astle bemerkt, " obgleich die Frei-
heitsbriefe freier und fliessender geschrieben sind als die Bücher derselben Zeitalter, so ist doch die Aehnlich-
keit zwischen den Freiheitsbriefen und den im selben Jahrhundert geschriebenen Büchern ganz unverkenn-
bar, und sie authentisiren sich gegenseitig." Man vergleiche z. B. das Cottonische MS. Vespasian, A 1, welches
allgemein als der Psalter des heiligen Augustin bekannt ist, mit den Freiheitsbriefen des Sebbi, Königs der
Ostsachsen, vom Jahre 670 (Casley's Catal. of MSS. p. xxiv.), oder mit dem des Lotarius, Königs von Kent,
datirt von Keculver, im Jahre 679 ; und andererseits wieder den Freiheitsbrief Aethelbald's 769, mit den
Evangelien Mac Eegol's oder St. Chad's, so wird man unfehlbar zum Schluss gelangen, dass die Manuscripte
und die Freiheitsbriefe gleichzeitig sind.

Ein drittes Zeugniss der grossen Antiquität unserer alten National-Manuscripte lässt sich aus dem Um-
stand ableiten, dass viele dieser Handschriften noch an verschiedenen Orten im Auslande aufbewahrt werden,
wo sie die irischen und sächsischen Missionäre vor Zeiten eingeführt hatten. Dass unsere Landsleute zahl-
reiche Klöster in den verschiedenen Theilen Europas gestiftet haben, wird in der Geschichte hinlänglich
beurkundet; und als Beispiel dürfen wir nur den Irländer St. Gallus anführen, dessen Name nicht nur
dem von ihm gegründeten Kloster, sondern dem ganzen schweizerischen Canton beigelegt wurde, in welchem
das Kloster gelegen ist. Unter den gegenwärtig in der öffentlichen Bibliothek gesammelten Büchern jenes
Stiftes, befinden sich einige der ältesten Manuscripte von Europa, nebst einer Anzahl von Bruchstücken aus
mehreren prächtig verzierten Bänden, die in den brittischen Inseln verfertigt, und lange als Keliquien des
Stifters zu St. Gallen heilig verehrt wurden. Ebenso wird das Evangelienbuch des heiligen Bonifaz zu
Fulda mit frommer Sorgfalt aufbewahrt. Das Evangeliarium des Irländers St. Kilian, des Apostels von
Franken, wurde, mit seinem Blute gefärbt, in seinem Grabe entdeckt, und wird seit dieser Zeit zu Würzburg

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