1.2 Methode
Ein konstituierendes Merkmal toter Sprachen ist, daß sie ihr Sprachmaterial ausschließlich
als niedergeschriebene Texte zur Verfügung halten. Den Sprachen, die in Texten vorliegen, kann
man gewissermaßen zwei Ebenen der Betrachtung abgewinnen:
Die eine ist die materielle Realisierung, hier die optische; sie ist lesbar, ihre Elemente sind
meist identifizierbar und größere Syntagmen abgrenzbar, paradigmatische (welche Klassen
stehen an gleicher Stelle im Kontext) und syntagmatische (welche Klassen stehen vorher und
nachher) Beziehungen können bestimmt werden. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied
zwischen toten oder anderen unbekannten Sprachen, für die linguistische Verfahren entwickelt
worden sind. Entstammt das Sprachmaterial einem bestimmten Zeitschnitt - in der „Syn-
chronie" treffen sich die Forderungen der Sprachwissenschaft mit den Erfordernissen der Philo-
logie (Schenkel 1974, 44 ff.) —, darf man damit rechnen, daß die Elemente in einem System-
zusammenhang stehen, in dem sich Formen und Formenklassen gegenseitig bestimmen. Schließ-
lich darf man grundsätzlich davon ausgehen, daß schriftliche Realisierung von Sprache auch
bei den Ägyptern alle Informationen enthält, die notwendig sind: Beim Lesen hat der Ägypter
dem Ägyptologen gegenüber fast keine Vorteile!
Demgegenüber steht die Ebene des Inhalts. Niemand kann uns sagen, was ein Syntagma
bedeutet. Die Kenntnis von Einzelelementen ist abhängig von der Kenntnis dessen, worauf sie
sich beziehen, die Bedeutung von größeren Komplexen ergibt sich nicht als Summe der Be-
deutungen der Einzelelemente, sondern ist „synthetisch" zusammengesetzt; schließlich dient
das Kontextverständnis der Aufhellung von Einzelbedeutungen, die dann wiederum das Kon-
textverständnis beeinflussen, ebenso wie die Bedeutung der Einzelelemente von der Funktion
ihrer grammatischen Formen bestimmt wird, die Einzelbedeutung die Funktion bedingt, Funk-
tion plus Einzelbedeutung die Kenntnis vom systematischen Zusammenhang und dieser sie,
kurzum: Die Erschließung des Inhalts der Texte ist der philologisch-historischen Methode
anheimgegeben und dem „hermeneutischen Zirkel" unterworfen.
Da die Einzelelemente (Wörter, Verbalformen, usw.) in einen Regelkreis von Einflüssen
gestellt sind, deren Gewicht allzuoft - wie die Geschichte ihrer Erforschung zeigt — nicht ab-
zuschätzen ist, mache ich mir folgendes Verfahren zu eigen:
Die zwei Ebenen werden trotz ihrer vielfältigen Beziehungen theoretisch voneinander
getrennt gesehen. Auf der Ebene der Grammatik wird als kleinste Einheit etwas herausgegriffen,
dessen Struktur man über die Distribution seiner Elemente bestimmen kann und das als „Satz"
bezeichnet werden soll. In der Ebene der Semantik wird als Korrelat des Satzes die „Äußerung"
als eine relativ abgeschlossene Aussage herausgegriffen und bei ihr das bestimmt, was man ihre
„logische Struktur" nennen könnte.
Praktisch arbeitet das Verfahren dann wie folgt: Die Struktur der Äußerung, die einer er-
kannten grammatischen Struktur zugeordnet werden konnte und einem gegebenen Kontext
konform geht, wird verallgemeinert und immer dann als gültig angesetzt, wenn die entspre-
chende Satzstruktur wieder auftritt; das Ergebnis einer solchen Generalisierung der entspre-
chend zugehörigen Aussage wird dann im konkreten Einzelfall daraufhin geprüft, ob es auch
dem neuen Kontext konform geht (Extrapolation). Auf diese Weise ist außerdem der Schlüssel
für die Untersuchung der Frage gefunden, welche Veränderung in der Äußerung welcher Ver-
änderung des Satzes entspricht und umgekehrt.
Die Darstellung selbst ist an die der Generativen Transformationsgrammatik angelehnt,
bzw. an die Generative Transformationsgrammatik, wie ich sie adaptiert habe (vgl. Gragg
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Ein konstituierendes Merkmal toter Sprachen ist, daß sie ihr Sprachmaterial ausschließlich
als niedergeschriebene Texte zur Verfügung halten. Den Sprachen, die in Texten vorliegen, kann
man gewissermaßen zwei Ebenen der Betrachtung abgewinnen:
Die eine ist die materielle Realisierung, hier die optische; sie ist lesbar, ihre Elemente sind
meist identifizierbar und größere Syntagmen abgrenzbar, paradigmatische (welche Klassen
stehen an gleicher Stelle im Kontext) und syntagmatische (welche Klassen stehen vorher und
nachher) Beziehungen können bestimmt werden. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied
zwischen toten oder anderen unbekannten Sprachen, für die linguistische Verfahren entwickelt
worden sind. Entstammt das Sprachmaterial einem bestimmten Zeitschnitt - in der „Syn-
chronie" treffen sich die Forderungen der Sprachwissenschaft mit den Erfordernissen der Philo-
logie (Schenkel 1974, 44 ff.) —, darf man damit rechnen, daß die Elemente in einem System-
zusammenhang stehen, in dem sich Formen und Formenklassen gegenseitig bestimmen. Schließ-
lich darf man grundsätzlich davon ausgehen, daß schriftliche Realisierung von Sprache auch
bei den Ägyptern alle Informationen enthält, die notwendig sind: Beim Lesen hat der Ägypter
dem Ägyptologen gegenüber fast keine Vorteile!
Demgegenüber steht die Ebene des Inhalts. Niemand kann uns sagen, was ein Syntagma
bedeutet. Die Kenntnis von Einzelelementen ist abhängig von der Kenntnis dessen, worauf sie
sich beziehen, die Bedeutung von größeren Komplexen ergibt sich nicht als Summe der Be-
deutungen der Einzelelemente, sondern ist „synthetisch" zusammengesetzt; schließlich dient
das Kontextverständnis der Aufhellung von Einzelbedeutungen, die dann wiederum das Kon-
textverständnis beeinflussen, ebenso wie die Bedeutung der Einzelelemente von der Funktion
ihrer grammatischen Formen bestimmt wird, die Einzelbedeutung die Funktion bedingt, Funk-
tion plus Einzelbedeutung die Kenntnis vom systematischen Zusammenhang und dieser sie,
kurzum: Die Erschließung des Inhalts der Texte ist der philologisch-historischen Methode
anheimgegeben und dem „hermeneutischen Zirkel" unterworfen.
Da die Einzelelemente (Wörter, Verbalformen, usw.) in einen Regelkreis von Einflüssen
gestellt sind, deren Gewicht allzuoft - wie die Geschichte ihrer Erforschung zeigt — nicht ab-
zuschätzen ist, mache ich mir folgendes Verfahren zu eigen:
Die zwei Ebenen werden trotz ihrer vielfältigen Beziehungen theoretisch voneinander
getrennt gesehen. Auf der Ebene der Grammatik wird als kleinste Einheit etwas herausgegriffen,
dessen Struktur man über die Distribution seiner Elemente bestimmen kann und das als „Satz"
bezeichnet werden soll. In der Ebene der Semantik wird als Korrelat des Satzes die „Äußerung"
als eine relativ abgeschlossene Aussage herausgegriffen und bei ihr das bestimmt, was man ihre
„logische Struktur" nennen könnte.
Praktisch arbeitet das Verfahren dann wie folgt: Die Struktur der Äußerung, die einer er-
kannten grammatischen Struktur zugeordnet werden konnte und einem gegebenen Kontext
konform geht, wird verallgemeinert und immer dann als gültig angesetzt, wenn die entspre-
chende Satzstruktur wieder auftritt; das Ergebnis einer solchen Generalisierung der entspre-
chend zugehörigen Aussage wird dann im konkreten Einzelfall daraufhin geprüft, ob es auch
dem neuen Kontext konform geht (Extrapolation). Auf diese Weise ist außerdem der Schlüssel
für die Untersuchung der Frage gefunden, welche Veränderung in der Äußerung welcher Ver-
änderung des Satzes entspricht und umgekehrt.
Die Darstellung selbst ist an die der Generativen Transformationsgrammatik angelehnt,
bzw. an die Generative Transformationsgrammatik, wie ich sie adaptiert habe (vgl. Gragg
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