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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 37.1921-1922

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Simon, Karl: J. A. Carstens und die Romantik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14154#0224

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J. A. CARSTENS UND DIE ROMANTIK

Von Karl Simon

Carstens erscheint dem allgemeinen Bewußt-
sein als der Klassizist strengster Observanz,
und eine Vorstellung dünner Höhenluft, in der
wir heutzutage nicht mehr zu atmen vermögen,
pflegt sich bei dieser Bezeichnung einzustellen.
Und doch wird Carstens unmittelbar von der
Romantik abgelöst. Sollten nicht etwa geheime
Fäden irgendwie die beiden miteinander ver-
binden, manches von der in die Romantik ein-
mündenden späteren Entwicklung bei ihm vor-
gebildet sein? — Die Frage ist noch nicht auf-
geworfen worden; müßte sie aber bejaht werden,
so würden wir ganz gewiß Carstens und seine
Wirkung besser verstehen.

Was seine Darstellungen angeht, so scheint
es keiner Worte zu bedürfen, daß er sich
stofflich aufs engste an die Antike anlehnt; sie
ist das große Reservoir, aus dem er wieder
und wieder seine Themen schöpft. Und so kann
sein Biograph Fernow*), wie es scheint, mit
vollem Recht behaupten: „er übte seine Kunst
nur an Gegenständen des heidnischen Alter-
tums". Ganz stimmt das nun aber doch nicht;
Fernow hatte im wesentlichen nur Carstens'
römische Zeit im Auge, und bei seiner eigenen
Geistesrichtung mußte ihm das Klassische vor
allem wichtig erscheinen.

Aber außer dem Klassischen ist es auch die
große Bewegung der nordisch-germanischen
Literatur, die in ihren verschiedenen Stoff-
kreisen Carstens zur Darstellung gedrängt hat.

So beschäftigen ihn mehrfach in seiner
früheren Zeit Entwürfe zur nordischen Mytho-
logie, so der Tod Baldurs nach dem Wegtams-
lied der Edda (1780; verschollen), und nach
Joh. Ewalds Trauerspiel „Baldurs Tod" war eine
Zeichnung mit Darstellung Lokis entworfen,
wie er dem Hother erscheint.

Macphersons Ossian übt seine Zaubergewalt
auch auf ihn aus; eine „Schlachtszene in
Ossianischem Geschmack" in Kopenhagen
stammt aus dem Jahre 1781. In der Lübecker
Zeit sind entstanden zwei weitere Entwürfe nach
Ossian: der Geist Kathmors, und Ossian und
Alpin zur Harfe singend.

Und es ist auch nicht so, daß nachher in
Rom diese Dinge völlig verschwinden, wenn sie
auch stark zurücktreten; zwei Jahre vor seinem
Tode entsteht der phantastische Kampf Fingais
mit dem Geiste von Loda. Wie im „Werther"
Ossian eng verbunden mit Klopstock erscheint,

•) Fernow: Carstens, Leben und Werke. Herausgegeben
und ergänzt von Herraan Riegel. Hannover 1867.

so hat auch dieser Carstens in der Zeit des
Lübecker Aufenthalts wenigstens zu einem ver-
schollenen Entwurf angeregt: Hermann emp-
fängt, aus der Schlacht zurückkehrend, von
Thusnelda den Kranz, wie überhaupt Klop-
stock auch später noch zu den Lieblingsschrift-
stellern des Künstlers gehört.

Daneben entstehen Entwürfe christlichen
Inhalts: 1777 Adam und Eva nach Milton, der ihn
auch späterhin noch beschäftigt. Der 1789 ent-
standene Sturz der Engel ist gleichfalls von
Milton inspiriert. Die Skizze eines Verdammten
(1780) ist vielleicht gleichfalls mit Milton in
Zusammenhang zu bringen, ebenso die Blei-
stiftzeichnung mit Kain und Abel.

Daß diese Gegenstände nicht zufälliger Laune
des Künstlers, sondern einer bestimmten inneren
Richtung entsprechen, zeigt seine durch A. W.
Schlegels Übersetzung in den Schillerschen
„Hören" angeregte Beschäftigung mit Dante, als
deren Frucht die Darstellung der Hölle mit dem
Kreis der Liebenden, worunter Francesca von
Rimini, entsteht (1796). — So ist also Carstens
als Dante-Illustrator Vorgänger von P. Cornelius.
Auch Zeitgenössisches geht nicht leer aus.

Aus dem Jahre 1788 stammt wahrscheinlich
eine Zeichnung mit Hüon und Scherasmin
nach Wielands Oberon, und als er längst in
Rom ist, entwirft er (1796) eine Zeichnung zur
Hexenküche in Goethes Faust, die dieser acht
Jahre früher gleichfalls in Rom gedichtet hatte.
Auch hier ist Carstens ein Vorläufer von Cor-
nelius, der auch noch hier in Rom an seinen
Faustkompositionen arbeitet. Für die Bekannt-
schaft mit Schillerschen Werken ist ein Zeug-
nis vorhanden: Eine bisher ungedeutete Zeich-
nung im Weimarer Museum enthält zweifellos
eine Illustration zu Karl Moors ersten Worten
der zweiten Szene des ersten Aktes: „dakrabbeln
sie nun, wie die Ratten auf der Keule des Her-
kules . . ."; zwei Gelehrte, die sich die Keule
des Herkules besehen.

Auch Shakespeare findet in Carstens seinen
Interpreten, wenn auch nur in der Darstellung
einer Ermordung in einem unechten Stück, dem
„Trauerspiel in Yorkshire".

Und wie die Literatur, so übt auch die Ge-
schichte seiner Zeit Einfluß auf ihn aus. Friedrich
der Große ist es, dessen Gestalt ihn mehrfach
beschäftigt. 1788 zeichnet er den König, mit
seiner Begleitung von einem Bauern mit La-
terne durch einen Wald geführt.

Den Versuch eines Historienbildes gibt die

Die Kunst für Alle. XXXVH. April 1922

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