alten Monarchie überstanden, unter seinem
Dach haben sehr hohe Gäste damals monate-
lang geweilt, von dort zieht er ab und zu
wieder in die veränderte beschmutzte Welt
hinaus.
In der Mitteilung an seine Freunde, die Richard
Wagner vor gerade 70 Jahren beim Beginn des
Nibelungenwerkes niedergeschrieben, spricht er
von drei Gaben, die die drei Nomen dem Sohn
bringen, den das schöne Meerweib Wachhilde
dem König Wiking geboren hatte. Nach Lei-
besstärke und Weisheit bringt die dritte ihre
Gabe dar: den nie zufriedenen Geist, der stets
auf Neues sinnt—„diese eine verschmähte Gabe
bietet uns allen bei unserer Geburt die jugend-
liche Norn an — und durch sie allein können
wir einst alle .Genies' werden. Jetzt in unserer
erziehungssüchtigen Welt führt nur noch der
Zufall uns diese Gabe zu — der Zufall, nicht
erzogen zu werden". Dieses Glück, nicht er-
zogen worden zu sein, hat der Künstler Carl
Anton Reichel gründlich ausgekostet. Seine
ganze Kunst ist, befruchtet von den Reflexen
aller alten Kulturen, doch eigentlich die eines
Autoditakten, der sich selbst sein Handwerks-
zeug bereitet, sich seine Technik schafft und
seine Formensprache als Ausdruck eines höchst
persönlichenBekenntnisses sucht. Voraus gingen
malerische Versuche, vor allem in der ihm lie-
genden Temperatechnik — Porträts — stili-
sierte Landschaften — sehr strenge Akte von
einer erstaunlichen Kenntnis des Körpers; eine
Reihe dekorativer Bilder entstand damals, eines
davon in der Modernen Staatsgalerie in Wien.
Der Krieg überraschte ihn in Köln, wo er auf
der Werkbundausstellung fünf Wochen lang
die russischen Tänzerinnen belauscht und die
vibrierende Gelenkigkeit ihrer Körper studiert.
Überall sucht er die große Linie. Ganz von
selbst führt ihn das zu einer flächigen Behand-
lung, zur Geltendmachung der großen Akzente
und Gegensätze — farbige Holzschnitte von
einer Wirkung wie die eingelegten Bilder und
Holzintarsien auf den Chorstuhlrückwänden und
den Sakristeischränken der lombardischen Künst-
ler des frühen Cinquecento schienen ihm zeit-
weilig die gegebene Sprache. Die Körper auf
diesen Holzschnitten wie diesen Malereien haben
noch etwas von der Exaktheit des Anatomen
und zugleich des Anthropologen und darüber
hinaus einen ganz besonderen starken Rhyth-
mus. Schon damals — noch vor den Radie-
rungen — nannte Hans W. Singer in seiner
„Modernen Graphik" den Zeichner Reichel „den
interessantesten Graphiker unter den Öster-
reichern". Im Spätherbst 1913 kauft er eine
alte Kupferdruckpresse — und 1915 eine ganz
vorzügliche neue — und fängt zu radieren an.
Jetzt hatte er endlich die ihm gemäße ganz
persönliche Form entdeckt, die für das ani-
malisch Greifbare, wie für die dünnen Spinn-
gewebe seiner halbwachen Träume gleicher-
maßen eine Ausdrucksmöglichkeit enthielt.
Das Oeuvre des Radierers ist ein beträcht-
liches ; es umfaßt heute 279 Blatt. Im Anfang
stark geätzt, selten auch mit Verwendung von
Aquatinta, seit 1915 fast nur mit der kalten
Nadel, sehr viel auf Zink. Er hat seine Radie-
rungen durchweg selbst gedruckt auf wunder-
volle alte Papiere, jedes Blatt liebevoll pflegend,
in ganz kleiner Auflage, mancher Plattenzu-
stand existiert nur als piece unique. Die Kupfer-
stichkabinette der Hofbibliothek in Wien, in
Dresden, München, Leipzig, Köln, Hamburg,
Hannover, Hagen usw. haben ihn gesammelt. Mit
Zeichnungen ist er in der Albertina in Wien,
im Folkwang-Museum in Hagen, in München,
Stuttgart, Elberfeld vertreten, die größten Samm-
lungen seines radierten Werkes finden sich in
der Kollektion des Regierungsrates Dr. Heinrich
Stinnes in Köln (des gewaltigen Hugo kunst-
sinnigen Bruders) und des Kommerzienrats Vogel
in Chemnitz; Hans Tietze in Wien, Max Lehrs
und Hans W. Singer in Dresden, Georg Swar-
zenski in Frankfurt haben unter den ersten die
starke und aparte künstlerische Note in ihm
verstanden.
Sieht man dies radierte Werk durch, so findet
man scheinbar sehr verschiedene Handschriften,
die der allzusehr auf den Begriff der Periodisie-
rung eingeschworene kunstgeschichtliche Adept
vielleicht als ein Hintereinander ansprechen
würde, während sie als Ausdruck eines sehr
verschiedenen etat d'äme nebeneinander her-
laufen, als Ober- und Unterströmung, die untere
Melodie gleichsam daneben auf einem zweiten
Manuale gespielt. Von diesen Schöpfungen des
Traumwandlers möchte ich zuerst reden. Der
Künstler ging davon aus, daß jeder Empfindung
auch irgendein Vorstellungsäquivalent ent-
sprechen müsse, und er suchte ganz bewußt
(verba ipsius magistri) diese Empfindungen
durch die motorischen Ganglien in zielgerichtete
formale Vorstellungen zu übertragen. Man denkt
an die seltsamen und verworrenen Träume eines
Fieberkranken, an die Phantasien eines Eksta-
tikers, der den Weltuntergang divinatorisch in
der Formzertrümmerung seiner künstlerischen
Welt vorerlebt. In den tiefsten Schichten des
Unterbewußtseins sind für den Künstler uralte
Rassenerinnerungen aufgespeichert — atavi-
stische Gewalten werden lebendig: etwas wie
die mythenbildende Kraft primitiver Völker
spricht hier, die Gespensterangst, die atembe-
klemmende Furcht vor dem geheimnisvoll un-
verstandenen Wirken unsichtbarer Dämonen.
Dach haben sehr hohe Gäste damals monate-
lang geweilt, von dort zieht er ab und zu
wieder in die veränderte beschmutzte Welt
hinaus.
In der Mitteilung an seine Freunde, die Richard
Wagner vor gerade 70 Jahren beim Beginn des
Nibelungenwerkes niedergeschrieben, spricht er
von drei Gaben, die die drei Nomen dem Sohn
bringen, den das schöne Meerweib Wachhilde
dem König Wiking geboren hatte. Nach Lei-
besstärke und Weisheit bringt die dritte ihre
Gabe dar: den nie zufriedenen Geist, der stets
auf Neues sinnt—„diese eine verschmähte Gabe
bietet uns allen bei unserer Geburt die jugend-
liche Norn an — und durch sie allein können
wir einst alle .Genies' werden. Jetzt in unserer
erziehungssüchtigen Welt führt nur noch der
Zufall uns diese Gabe zu — der Zufall, nicht
erzogen zu werden". Dieses Glück, nicht er-
zogen worden zu sein, hat der Künstler Carl
Anton Reichel gründlich ausgekostet. Seine
ganze Kunst ist, befruchtet von den Reflexen
aller alten Kulturen, doch eigentlich die eines
Autoditakten, der sich selbst sein Handwerks-
zeug bereitet, sich seine Technik schafft und
seine Formensprache als Ausdruck eines höchst
persönlichenBekenntnisses sucht. Voraus gingen
malerische Versuche, vor allem in der ihm lie-
genden Temperatechnik — Porträts — stili-
sierte Landschaften — sehr strenge Akte von
einer erstaunlichen Kenntnis des Körpers; eine
Reihe dekorativer Bilder entstand damals, eines
davon in der Modernen Staatsgalerie in Wien.
Der Krieg überraschte ihn in Köln, wo er auf
der Werkbundausstellung fünf Wochen lang
die russischen Tänzerinnen belauscht und die
vibrierende Gelenkigkeit ihrer Körper studiert.
Überall sucht er die große Linie. Ganz von
selbst führt ihn das zu einer flächigen Behand-
lung, zur Geltendmachung der großen Akzente
und Gegensätze — farbige Holzschnitte von
einer Wirkung wie die eingelegten Bilder und
Holzintarsien auf den Chorstuhlrückwänden und
den Sakristeischränken der lombardischen Künst-
ler des frühen Cinquecento schienen ihm zeit-
weilig die gegebene Sprache. Die Körper auf
diesen Holzschnitten wie diesen Malereien haben
noch etwas von der Exaktheit des Anatomen
und zugleich des Anthropologen und darüber
hinaus einen ganz besonderen starken Rhyth-
mus. Schon damals — noch vor den Radie-
rungen — nannte Hans W. Singer in seiner
„Modernen Graphik" den Zeichner Reichel „den
interessantesten Graphiker unter den Öster-
reichern". Im Spätherbst 1913 kauft er eine
alte Kupferdruckpresse — und 1915 eine ganz
vorzügliche neue — und fängt zu radieren an.
Jetzt hatte er endlich die ihm gemäße ganz
persönliche Form entdeckt, die für das ani-
malisch Greifbare, wie für die dünnen Spinn-
gewebe seiner halbwachen Träume gleicher-
maßen eine Ausdrucksmöglichkeit enthielt.
Das Oeuvre des Radierers ist ein beträcht-
liches ; es umfaßt heute 279 Blatt. Im Anfang
stark geätzt, selten auch mit Verwendung von
Aquatinta, seit 1915 fast nur mit der kalten
Nadel, sehr viel auf Zink. Er hat seine Radie-
rungen durchweg selbst gedruckt auf wunder-
volle alte Papiere, jedes Blatt liebevoll pflegend,
in ganz kleiner Auflage, mancher Plattenzu-
stand existiert nur als piece unique. Die Kupfer-
stichkabinette der Hofbibliothek in Wien, in
Dresden, München, Leipzig, Köln, Hamburg,
Hannover, Hagen usw. haben ihn gesammelt. Mit
Zeichnungen ist er in der Albertina in Wien,
im Folkwang-Museum in Hagen, in München,
Stuttgart, Elberfeld vertreten, die größten Samm-
lungen seines radierten Werkes finden sich in
der Kollektion des Regierungsrates Dr. Heinrich
Stinnes in Köln (des gewaltigen Hugo kunst-
sinnigen Bruders) und des Kommerzienrats Vogel
in Chemnitz; Hans Tietze in Wien, Max Lehrs
und Hans W. Singer in Dresden, Georg Swar-
zenski in Frankfurt haben unter den ersten die
starke und aparte künstlerische Note in ihm
verstanden.
Sieht man dies radierte Werk durch, so findet
man scheinbar sehr verschiedene Handschriften,
die der allzusehr auf den Begriff der Periodisie-
rung eingeschworene kunstgeschichtliche Adept
vielleicht als ein Hintereinander ansprechen
würde, während sie als Ausdruck eines sehr
verschiedenen etat d'äme nebeneinander her-
laufen, als Ober- und Unterströmung, die untere
Melodie gleichsam daneben auf einem zweiten
Manuale gespielt. Von diesen Schöpfungen des
Traumwandlers möchte ich zuerst reden. Der
Künstler ging davon aus, daß jeder Empfindung
auch irgendein Vorstellungsäquivalent ent-
sprechen müsse, und er suchte ganz bewußt
(verba ipsius magistri) diese Empfindungen
durch die motorischen Ganglien in zielgerichtete
formale Vorstellungen zu übertragen. Man denkt
an die seltsamen und verworrenen Träume eines
Fieberkranken, an die Phantasien eines Eksta-
tikers, der den Weltuntergang divinatorisch in
der Formzertrümmerung seiner künstlerischen
Welt vorerlebt. In den tiefsten Schichten des
Unterbewußtseins sind für den Künstler uralte
Rassenerinnerungen aufgespeichert — atavi-
stische Gewalten werden lebendig: etwas wie
die mythenbildende Kraft primitiver Völker
spricht hier, die Gespensterangst, die atembe-
klemmende Furcht vor dem geheimnisvoll un-
verstandenen Wirken unsichtbarer Dämonen.