JOSEF ANTON KOCH
DANTES „GÖTTLICHE KOMÖDIE". FEGEFEUER
6. GES. (VIRGIL WEIST DANTE AUF BEATRICE)
DANTE UND DIE BILDENDE KUNST
ZUM SECHSHUNDERTJÄHRIGEN TODESTAG VON DANTE, 14. SEPTEMBER 1921
Sonett an Dante
,.0 war ich Er, sollt ich was er erleben!
Für sein Exil, vereint mit seiner Kraft,
Wollt ich das größte Glück der Erde geben."
Michelangelo
Die Bildhaftigkeit des großen Dichtwerks der
Göttlichen Komödie hat früh die Phantasie
bildender Künstler machtvoll angeregt. Auch
von Dantes Schöpferkraft kann gelten: Ihr
anderen sagt Worte, er sagt Dinge. Seinen
moralischen und religiösen Gedanken vermag
er die Hoheit der Vision zu verleihen, und
die Unmittelbarkeit seines starken anschauli-
chen Erlebens hallt in dem unerhört plasti-
schen Ausdruck bis in das letzte Wort hinein
nach. Jene unter- und überirdische Welt von
Hölle und Himmel, er hatte sie gesehen. Er-
schütternde Wahrheit ist der erste Eindruck
dieses Werkes. So und nicht anders mußte
jene Welt der Schrecken und Seligkeiten aus-
sehen. Das Volk verstand dies, und Anekdoten
spiegeln den Eindruck, der — echt volkstüm-
lich — das Dichtwerk auf die Person überträgt.
Frauen in Verona, so berichtet Boccaccio,
welche den Dichter vorübergehen sahen, sagen:
„Seht ihr den da, welcher in die Hölle geht
und zurückkehrt, wann es ihm gefällt, und
Kunde von denen da drunten hier herauf-
bringt .. . und siehst du nicht, wie er ge-
bräunt ist von der Hitze und dem Qualm, die
da drunten sind." Als Dichter der Hölle ist
er lebendig geblieben. Und jene volkstümliche
Vorstellung hat auch das Dantebildnis ge-
schaffen, welches mehr Typus als Individuum ist.
Ein zeitgenössisches Dantebildnis ist uns
nicht überliefert. Jenes über Gebühr bekannt
gewordene Bildnis auf dem Paradiesfresko im
Bargello in Florenz, das Giotto zum Urheber
haben soll und 1840 unter der Tünche nach
Jahrhunderten hervorgeholt wurde, konnte nur
von einer Zeit so überschätzt werden, die in
Dante den seligen Wanderer durch das Para-
dies an der Seite Beatrices in romantischer
53
DANTES „GÖTTLICHE KOMÖDIE". FEGEFEUER
6. GES. (VIRGIL WEIST DANTE AUF BEATRICE)
DANTE UND DIE BILDENDE KUNST
ZUM SECHSHUNDERTJÄHRIGEN TODESTAG VON DANTE, 14. SEPTEMBER 1921
Sonett an Dante
,.0 war ich Er, sollt ich was er erleben!
Für sein Exil, vereint mit seiner Kraft,
Wollt ich das größte Glück der Erde geben."
Michelangelo
Die Bildhaftigkeit des großen Dichtwerks der
Göttlichen Komödie hat früh die Phantasie
bildender Künstler machtvoll angeregt. Auch
von Dantes Schöpferkraft kann gelten: Ihr
anderen sagt Worte, er sagt Dinge. Seinen
moralischen und religiösen Gedanken vermag
er die Hoheit der Vision zu verleihen, und
die Unmittelbarkeit seines starken anschauli-
chen Erlebens hallt in dem unerhört plasti-
schen Ausdruck bis in das letzte Wort hinein
nach. Jene unter- und überirdische Welt von
Hölle und Himmel, er hatte sie gesehen. Er-
schütternde Wahrheit ist der erste Eindruck
dieses Werkes. So und nicht anders mußte
jene Welt der Schrecken und Seligkeiten aus-
sehen. Das Volk verstand dies, und Anekdoten
spiegeln den Eindruck, der — echt volkstüm-
lich — das Dichtwerk auf die Person überträgt.
Frauen in Verona, so berichtet Boccaccio,
welche den Dichter vorübergehen sahen, sagen:
„Seht ihr den da, welcher in die Hölle geht
und zurückkehrt, wann es ihm gefällt, und
Kunde von denen da drunten hier herauf-
bringt .. . und siehst du nicht, wie er ge-
bräunt ist von der Hitze und dem Qualm, die
da drunten sind." Als Dichter der Hölle ist
er lebendig geblieben. Und jene volkstümliche
Vorstellung hat auch das Dantebildnis ge-
schaffen, welches mehr Typus als Individuum ist.
Ein zeitgenössisches Dantebildnis ist uns
nicht überliefert. Jenes über Gebühr bekannt
gewordene Bildnis auf dem Paradiesfresko im
Bargello in Florenz, das Giotto zum Urheber
haben soll und 1840 unter der Tünche nach
Jahrhunderten hervorgeholt wurde, konnte nur
von einer Zeit so überschätzt werden, die in
Dante den seligen Wanderer durch das Para-
dies an der Seite Beatrices in romantischer
53