Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Kunstgewerbe in Elsaß-Lothringen — 6.1905-1906

DOI Artikel:
Hoerth, Otto: Ein Metzer Elfenbeinbischofsstab
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6481#0132
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
I 22

Otto Hcerth : Ein Metzer Elfenbeinbisclwfsstab.

Beschreibung : Über der getrie-
benen, ornamentierten Metallhülse, die
nach oben in einer kelchartigen Zwinge
in Form eines Knospenkapitells sich
öffnet, ragt der glatte, unskulpierte Teil
des Elfenbeinschaftes noch um ein Weniges
hervor, um mit einer runden, pfühlartig
profilierten Platte abzuschließen, deren
Durchmesser dem des Kelchrandes der
Zwinge ungefähr gleich ist. Mit diesem
fast um das Doppelte verstärkten, sich
aber mählig verjüngenden Querschnitt
steigt der Stab dann um soviel weiter
empor, als die Höhe eines hier in Ganz-
relief herausgearbeiteten, auf das linke
Knie leicht hingesunkenen Engels beträgt,
der ein schmales, flaches, oben in den
Krückbogen übergehendes Zierstützglied
vor sich hin hält. Auf der so geschaffenen,
kraftvollen Basis setzt nun die charakte-
ristische Krümmung ein, die in einem
ziemlich eng eingezogenen, in sich ge-
schlossenen Bogen verläuft. Rebenblätter
in Hochrelief überkleiden diesen letzteren
Teil aufs reichste, sodaß er den Eindruck
eines Kranzes macht; in seinem nahezu
kreisrunden Felde umfaßt er auf Vorder-
und Rückseite je eine Komposition in
Ganzrelief, deren drei Figuren mit dem
Rücken jeweils zusammenstoßen. Auf der
einen Seite erkennen wir zwischen zwei
stehenden, ihr zugewandten kerzenhal-
tenden Engeln die ebenfalls stehende Ge-
stalt der jugendlichen, gekrönten Gottes-
mutter, auf dem linken Arm das ihr einen
Apfel hinweisende Kind, auf das sie in sich
versunken hinsieht. Auf der Rückseite
gewahren wir in der Mitte den Gekreu-
zigten ; der Körper, nur von den Nägeln
noch gehalten, hängt schlaff hernieder, so-
daß die Oberschenkel beinahe einen rechten
Winkel zum Balken bilden. Die Gestalt ist
samt dem Haupte, das schwer vornüber-
liegt, ganz nach links, Maria zugekehrt, die
mit gesenkter Stirn, den Blick auf Christi
Antlitz gerichtet, dasteht; die Rechte hält
wohl ein Buch ; die andere Hand ist mit
der Gebärde schmerzlicher Überraschung
vor die Brust erhoben. Auf der andern
Seite ist Johannes postiert; er legt die

Linke bekümmert an die Wange, mit
scheinbar verwundert aufhorchender Miene
nach Christi abgekehrtem Antlitz hinüber-
blickend.

Wir haben es hier also nicht mit be-
liebigen, typisch erstarrten Sujets, nicht
mit nur zur Ausfüllung eines Rundfelds
dienenden Lückenbüßern zu tun, sondern
mit ganz bedeutsamen Erscheinungen
formaler und seelischer Gestaltungskunst.
Die zweite Scene ist so eigentümlich
sprechend, daß man ihr die Worte:
Weib, siehe, das ist dein Sohn — die
der Gekreuzigte mit Beziehung auf den
Jünger an Maria richtet — zu unterlegen
versucht sein möchte. . . Beide Kompo-
sitionen sind für die Umrahmung erdacht:
die Dreizahl erlaubte eine symmetrische
Verteilung in das Kranzfeld und die Be-
deutung jeweils der Hauptfigur forderte
von selbst eine volle Ausnützung der
höheren Mittelpartie unter dem Bogen-
scheitel. In statischem Feingefühl ist fer-
ner der Schwerpunkt jeweils nach der
Innenseite verlegt: sowohl die Madonna
und das Kind als auch der Gekreuzigte
gravitieren nach innen. Allerdings kann
nicht entgehen, daß die beiden äußeren
Figuren, insbesondere die des zu klein
geratenen Engels keine besonders glück-
liche Lösung der Raumteilung darstellen.
Ich glaube kaum, daß der Künstler diesen
Verstoß gegen die dekorativ bedingte
Symmetrie begangen hat, um zwei Engel
verschiedenen Alters anzubringen;
vielmehr ist ganz klar, daß er, etwas
sorglos von innen nach außen arbeitend,
sich für die letzte Figur im Platze be-
schränkt sah. Er hat sich nun damit
geholfen, daß er sie mit den Schultern
sich leicht gegen den umrahmenden
Bogen anlehnen und die Füße etwas
vorstemmen läßt; ein unleugbar gelungener,
genrehafter Zug, der aber nur dann
wirksam in Erscheinung tritt, wenn man
den Engel für sich betrachtet. . . Durch
das Aussparen war zugleich auch die
Lage der rückliegenden Figuren bestimmt,
und so kommt es, daß trotz verkleinerter
— übrigens unter sich hier völlig gleicher
 
Annotationen