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der übereinem grauen Kleid einen dunkelroten Schultermantel
trägt, kniet ein kleines Stifterpaar auf dem braun und grau
gewürfelten Plattenboden. Nahe dem Mund des Stifters setzt
ein Schriftband an und weht mit der Bitte empor: O ■ Jhesy ■ fily
Dei • misere • mei, O Jesu, Sohn Gottes, erbarme dich meiner.
Und wie eine Antwort erscheint beidseits des Kreuznimbus
„pax vobis", der Friede sei mit euch.

Der Renovator ornamentierte 1610 nach seinem Zeitge-
schmack die Agraffe des Mantels und das Kreuz, auch über-
malte er das Christusantlitz und den Grund. Den zierlichen Stif-
terfiguren hat er am wenigsten angetan.13
Die größten Tafeln, Flügelbilder eines verlorenen Altarschrei-
nes, verdienen auch die intensivste Aufmerksamkeit. Ihre Rück-
seite - ehemals Schauseite des an Werktagen geschlossenen
Altars - trägt die Verkündigung des Erzengels Gabriel an Maria.
Diese sehr beschädigt überkommenen Bilderhaben eine groß-
flächige Restaurierung hinter sich. Hier jedoch sehen wir die
Festtagsseite, also die ehemals inneren Bilder der Flügel. Fast
makellos die Szenen unter dem goldenen Himmel: links die
9 Geburt Christi und rechts die Anbetung der Könige (um 1500, je
Tafel 140x93 cm). Die Geburtsszene wiederholt eine Komposi-
tion, die Robert Campin für zwei Generationen nördlich der
Alpen vorentworfen hat (Geburt Christi, Dijon, Musee des
Beaux-Arts, um 1430). Auch die Ulmer Malerei hat sie bis um
1500 respektiert, denn ihr gehört der Maler dieser Tafeln an. Die
Kalkfelsen der Alb, die Weite Oberschwabens und die Zacken-
gebirge der fernen Alpen sind seine heimatlichen Zutaten.
Wenn wir uns nicht täuschen, tritt der Maler in der Gestalt des
Königs Melchior sogar selbst im Bild auf; porträthafte Züge cha-
rakterisieren ihn. Er scheint ein Mann mittlerer Jahre gewesen
zu sein, wofür auch seine durchdachte und gereifte Malerei
spricht. Weitere Leistungen seiner Hand sind jedoch bis heute
nicht nachweisbar. Anschließend zwei weitere Flügelbilder
eines Passionsaltares (Kreuzigung und Beweinung Christi, um
1500, je Tafel 107x43 cm, 1969 aus dem Kunsthandel erwor-
ben), ebenfalls mit den Kennzeichen altschwäbischer Malerei.
Die gut gemalten Figurengruppen erinnern in ihrer dichten und
konzentrierten Darstellung, wobei ein sorgfältiges Helldunkel
die Plastizität beschreibt, an Bernhard Strigel, der in seiner Früh-
zeit auch schlanke Hochformate vorzog. In derWiedergabe der
Landschaftsgründe entfernt sich diese Malerei - hier wahr-
scheinlich von anderer Hand ausgeführt - weit von dem
genannten Memminger Maler. Die Wolkenscheiben über den
Kreuzen sind möglicherweise erst in der 2. Hälfte des 16. Jahr-
hunderts eingesetzt, um hier nach mutmaßlicher Abnahme
einer geschnitzten Bogenblende eine Blindstelle zu füllen.
13 Die wahre Länge Christi, AltemGmünderBildgutdürftedieTafelmitderMarterdesApos-
1485 tels Judas Thaddäus entstammen (um 1500, 66x49 cm). 33
 
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