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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 65.1914-1915

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Steinlein, Stephan: Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik in Leipzig, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8768#0036

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staatswirtschaftliche Erweiterung des modernen
Horizonts."

Nicht weil viel Nachgeschehenes nachentdeckt worden,
kann und muß Geschichte von Zeit zu Zeit umge-
schrieben werden, sondern weil neue Ansichten
sich ergeben, andere Standpunkte sich ermöglichen,
vergangenes aus eine neue Weise zu überschauen
und zu beurteilen. Erst unsere Zeit erlebte Preyers
Bemühungen um die Erforschung der Rinder-
psyche, in unseren Tagen erst konnte das an sich
flache Schlagwort vom „Jahrhundert des Rindes"
entstehen, und der versuch gemacht werden, im
elementaren Rinderzeichenunterricht an jene Fähig-
keiten anzuknüpfen, welche den Möglichkeiten nach
in so frühen Altersstufen wirklich gegeben sind, statt
Forderungen zu stellen, die ein Abstraktionsver-
mögen verlangten, das in einem reiferen Alter
erst sich im Reim entfaltet. Durch Kenntnis und
Beachtung der Art und weise dessen, was das frei-
willig einem Spieltrieb gehorchende Rind an „Runst"
in verschiedenen Stufen seines Alters zu produ-
zieren gewillt ist und völlig aus Eigenstem vermögend
gestaltet, ergab sich für die Betrachtung vergangener
Epochen primitiver, aus fernen „Kindertagen des
Geschlechts" stammender Runstübungen, ein Ana-
logon, ein neuer Standpunkt, den die Geschichte
der Runst bis dahin nicht als hypothetisches Mittel
zu werten und anzuwenden vermochte.

Neue Vergleichsmöglichkeiten lassen nun über-
raschend offenbare Verwandtschaft heute entstehen-
der Rinderschöpfungen mit der Darstellungsweise
primitiver Kunstfertigkeit überall erkennen, und
noch in den technisch vollendeten assyrischen und
ägyptischen Reliefs und Malereien tritt eine Auf-
fassung des Typisierend-Lharakteristischen zutage,
die im wesentlichen jener vollkommen verwandt ist,
die in bestimmten Altersstufen aus dem vermögen
jeden Rindes von heute sich prinzipiell gleich
manifestiert.

will man nicht mehr als einen heuristisch verwert-
baren Tropus darin sehen, analogisierend dem
singulären Individuum Rind, ein „Rindheitsalter
der Menschheit" entsprechend gleichzusetzen, so
kann man ebensowohl eine Kindheit vou Nationen,
Völkern undRassen hypostasierend, an alle „frühen",
„kindlichen" Lharakter tragenden Runstschöpfungen
herantretend zu Einsichten gelangen, welche weit-
tragende Gesichtspunkte für ein tieferes Eindringen
und Verständnis subtilster Stilprobleme eröffnen.
Die alte Frage, wie weit und in welchem Sinne
Runst Nachahmung der Natur ist, rückt damit in
ein neues Stadium, ein völlig gewandeltes und
fruchtbareres.

Abermals möchte man wünschen, einer groß-
gearteten Zusammenstellung solchen Materials bei
einer anderen Veranstaltung wieder zu begegnen,
von noch weittragenderen Gesichtspunkten geleitet,
als sie für die Zwecke dieser Ausstellung versucht
werden konnten. Wer solchen Problemen nahe
genug steht, ist des Erfolges gewiß, der von solchen
Bemühungen sich unbedingt und zuversichtlich
erhoffen läßt. In Leipzig führten von dieser höchst
zu beachtenden Grundausstellung für den selb-
ständig Achtsamen wohl allgemeine Fäden weiter,
aber doch nicht in wünschenswerter, unmittelbar
wirkender Folge.

IV.

Die Schriftentwicklung ward von den vorgeschicht-
lichen Perioden an, deren besonderer Anteil durch
Pros. Weule, dem Direktor des Museums für
Völkerkunde in Leipzig, zusammengestellt wurde,
bis in die abschließenden Zeiten, bis zur Erfindung
der mechanischen Vervielfältigung heraus in leben-
digster weise anschaulich gemacht. Die Übersicht
von den Zentral- und Ostasiatischen, den Mittel-
meerkulturen über die Antike bis in die neueste
Zeit reichend, die mit einem kapellenartigen Raum
des modernen Rulturverlegers abschloß, war durch
den Museuinsdirektor vr. Schramm, Vr. Weise und
vr. Birch-ksirschfeld zusammengestellt worden. Die
Reichhaltigkeit und Sorgfalt der Auswahl jeder
einzelnen, besonders aber der griechisch-römischen
und mittelalterlichen Abteilungen sieht man, wie
so vieles andere, mit Bedauern wieder aufgelöst.
Beschreibstoffe: Papyrusrolle und Papyrusbuch,
Pergamentbuch und Pergamentrollen waren aus-
gestellt, aber auch Schreibgeräte der alten Griechen
und Römer: Stilus, Lalamus, Tintenfaß in um-
fassender weise.

Vergrößerungen mittelalterlicher Miniaturen ver-
anschaulichten die Tätigkeit der Schreiber jener
Zeiten. In einem Diorama trat dem Beschauer
eine alte Schreibstube vor Augen, in dem sich alles
zur Herstellung eines Buches im Mittelalter Nötige
befand. Die Räume, die von der Erfindung der
mechanischen Vervielfältigung bis zur Entfaltung
der modernen Technik reichten, eröffnete eine
völlig eingerichtete alte Druckwerkstätte, Originale
und Kopien nach den ersten Drucken der Mainzer
Offizin und eine internationale Sammlung von
Inkunabeln, Drucke vor dem Jahre t500, schlossen
sich an. Eine Zusammenstellung von Buchhändler-
porträts, Verlegersigneten und Buchhändleranzeigen
ermöglichten einen Überblick auf das rasche Auf-
blühen und die internationale Verbreitung der

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