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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 65.1914-1915

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Dirr, Adolf: Vom Hausgewerbe im Pamir
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https://doi.org/10.11588/diglit.8768#0080

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sehr weit verbreiteten stelzenartigen Pantoffeln
(qabqab der Araber, geta der Japaner), die zum
Gehen auf schmutzigen Straßen oder auf dem
heißen Boden der Bäder bestimmt sind*).

Der chauxtwert der Rickmersschen Sammlung liegt
in den zahlreichen Gegenständen der männlichen
und der weiblichen Tracht; es sind Schleier, chemd-
einsätze, Armelvorstöße, Stirnbinden, Gürteltücher
und Wollstrümpfe, von den Stickereien erregen
das lebhafteste Interesse die Schleier, LaZban oder
ru-ban, ru-i-ban genannt, d. h. Augen-, Gesichts-
bedeckung. Sie werden von den grauen nur bei
besonders festlichen Gelegenheiten getragen2 2 *)); früher
sollen sie mehr im Gebrauch gewesen sein. Auch
Graf A. A. Bobrinskoj, der in seinem Werk
Ornament gol-nyLbDaciSiKov l)arvara(Moskau *900)
eine Reihe solcher Schleier in farbigen Tafeln
wiedergibt, schreibt (S. \?), er hätte auf seiner
Reise nur f-r Stück auftreiben können, was sich
dadurch erkläre, daß sie von jeher nur in beschränktem
Gebrauch gewesen seien, eben bloß von wohl-
habenderen Frauen und jetzt ausschließlich bei be-
sonderen Gelegenheiten getragen würden. Die
Eingeborenen selbst betrachten die Schleier als
altes Familiengut, das wohlbehütet von Mutter
auf Tochter vererbt wird. Noch jetzt werden solche
Schleier nach alten Mustern hier und da gestickt,
aber sie stehen sowohl in der Sorgfältigkeit der
Arbeit als in den Farben weit hinter den andern
zurück.

Das Münchner Museum besitzt elf Stück, darunter
einige hervorragend schöne ältere. (S. 9 t, 92 u.
Farbtafel). Ein solcher Schleier besteht aus einem
leichten, matä genannten weißen Gewebe von einer
mittleren Seitenlänge von 60X?o cm, das in bunter
Seidenstickerei verschiedene Muster zeigt; nie fehlt
darunter) ein stilisierter Vogel, der gewöhnlich in
einem Band um den Rand herumlänft, jedoch auch
im Mittelfelde vorkommt, und zwar so, daß zwei
Vögel anr oberen Rande in der Mitte sich gegen-
überstehen, zwischen ihnen ein baumartiges Ge-
bilde. Bisweilen sind zwei Vögel, die sich gegen-
überstehen, mit den Unterkörpern verschmolzen;
fast auf sämtlichen mir bekannten Exemplaren
stehen zwischen den übrigen Vögeln dreieckige Fi-
guren, die man kaum anders deuten kann, denn
als Fundamente oder Rudimente des erwähnten

*) F. v. Schwarz (Turkestan, S.4Z9) sagt, daß in die konischen
Absätze der kfolzschuhe je ein eiserner Nagel eingeschlagen
wird, um im Gebirge das Ansgleiten auf Glatteis zu ver-
meiden.

2) Semenow a. a. G. S. 30.

Baumes*), um so mehr als an mehreren Exem-
plaren sämtliche Vögel durch Bäume voneinander
getrennt fmb2).

Der übrige Raum des Schleiers ist bis auf den
gleich zu erwähnenden durchbrochenen Teil mit
verschiedenen gleichfalls gestickteir Mustern ans-
gefüllt, unter denen auf dem einen Eck stehende
(Quadrate, ferner Rauten, Sterne und andere
Figuren sich findeit. Die Ränder dieser Figuren
sind nie glatt, sondern immer gezackt oder sonst
nrit verästelten Verlängerungen der Seitenlinien
oder der Diagonalen versehen. Es ist unmöglich,
sie alle genau zu beschreiben, weil alle Schleier
verschieden sind und nur einige wenige Grnamente
bei allen durchgeführt sind (Vogel, Dreieck usw.).
Die meisten Schleier sind nur an der Stelle, wo
sie an den Augen aufliegen, in einem länglichen
Rechteck (ca. öXfocm) durchbrochen; hier ist in
Lsohlsaumtechnik ein Gittermuster hergestellt. Air
einem unserer Stücke (S. 92) und an zwei von
Bobrinskoj reproduzierten (Tafel s) ist indessen der
durchbrochene Teil sehr groß geworden, so daß nur
ein ca. 8 cm breiter Rand mit Stickereien bedeckt
ist (an unserem Exemplar keinevögel). Die Schleier
werden gewöhnlich mit irgendeinem billigen Stoff
gefüttert; an den Münchner Exemplaren sind es
fast immer russische oder bucharische geblümte oder
sonst gemusterte Kattune. Schleier und Futter
werden durch eine dunkelbraune angewebte Rand-
borte zusammengehalten. Zum Befestigen um
den Kopf dienen gewobene, gemusterte Litzen
mit CZuasten; sie laufen von den oberen Ecken aus2).
Rber die vorbereitenden Arbeiten zur Herstellung
eines solchen Schleiers erlauben mir ein ange-
fangenes Exemplar und persönliche Mitteilungen
des cherrn Rickmers ein paar Worte zu sagen. Auf
dem angefangenen Stück ist in sehr feinen kleinen

*) Dieser wächst in einigen Exemplaren ans einem solchen
dreieckigen Fundament heraus; in andern sind Baum und
Fundament voneinander unabhängig.

2) Ls kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß wir es hier
mit den, „Lebensbaum" zu tun haben. Das Motiv ist uralt
und sehr weit gewandert, tüan findet es schon auf Siegel-
zylindern aus dem babylonisch-assyrischen Kulturkreis (Bo-
brinskoj verweistdafür auf perrot et Chipiez I I, Fig. 566).
ferner in Persien, tzndien, Sizilien. Es ist auch in die russische
Volkskunst übergegangen, worauf Bobrinskoj unter Berufung
auf v. Stasov, Rußkij narodnyj Ornament aufmerksam
macht, (vgl. besonders Tafel 37, $6, 47, 53 a, 57.) vielfach
findet man statt der Vögel Greifen, Sphinxe und andere
Fabeltiere, von allen diesen Varianten sind auch bei St a so w
gute Beispiele zu finden.

3) Nur an zwei Münchner Stücken, weshalb sich nichts Genaueres
sagen läßt. Nach Semenow werden sie mit zwei seidenen,
quastentragenden Schnüren festgebunden. Bei Bobrinskoj
tragen nur zwei Exemplare Schnüre mit (puasten.

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